5 AZR 505/20 – Das Verfahren, das sich hinter diesem Aktenzeichen des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt verbirgt, hat – ohne Zweifel – das Zeug, die ambulante häusliche Pflege in Deutschland gehörig durchzurütteln und auf eine völlig neue Basis zu stellen. Denn der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat sich seit dem 11.11.2020 letztinstanzlich mit der Revision eines Urteils des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 17. August 2020 (Aktenzeichen 21 Sa 1900/19) zu befassen, das es in sich hat. In diesem Verfahren wurden vom Gericht einer bulgarischen Haushaltshilfe, die über eine deutsche Vermittlungsagentur angeworben in Deutschland Senioren 24 Stunden – rund um die Uhr gepflegt und betreut hat, nicht nur der Anspruch auf den deutschen Mindestlohn sondern auch eine tägliche Arbeitszeit von 21 Stunden bestätigt. Sollte das Bundesarbeitsgericht dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg folgen, dann könnte dies Grundlage für eine von vielen Seiten schon lange geforderte leistungsgerechte Vergütung und faire Leistungsgestaltung in der 24-Stunden-Pflege sein. Gleichzeitig könnte ein solches Urteil helfen, den Weg für eine gesetzliche Regelung dieser wichtigen Betreuungsform in der Langzeitpflege zu ebnen. 

Denn fast schon gebetsmühlenhaft wird darauf hingewiesen, dass bis auf wenige Ausnahmen fast alle dieser 24-Stunden-Arbeitsverhältnisse einer, wenn nicht illegalen, dann doch zumindest alle rechtlichen Graubereiche ausnützenden Schattenwirtschaft zuzurechnen sind. Mehr als 600.000 dieser mittel- und osteuropäischen Haushaltshilfen soll es in Deutschland geben. Sie machen das sozialpolitische Credo „ambulant vor stationär“ und die Familienpflege erst möglich. Dabei ist die „Polnische Perle“ zum Synonym dieser Betreuungsform geworden. „Live-Ins“ werden sie auch genannt, da sie mit den zu betreuenden Personen unter einem Dach leben. 

Diese Betreuungskräfte und Haushaltshilfen sind weitestgehend selbst in ihren elementarsten Rechten eingeschränkt. Die Beispiele dafür sind Legion und selbstredend auch der Politik bekannt. Doch Anzeichen daran etwas zu ändern, ließen sich trotz dem einen oder anderen öffentlichen Lippenbekenntnis bisher nicht erkennen. Die illegale, irreguläre und / oder ausbeuterische Beschäftigung einer mittel- und osteuropäischen Haushaltshilfe gilt weithin eher als ein Kavaliersdelikt. Und viele Haushaltungen, die eine solche Hilfe in Anspruch nehmen, verlassen sich auf die Aussagen der vermittelnden Agenturen oder Firmen aus dem Ausland, dass „alles völlig legal sei“. 

Experten weisen auf das Dilemma hin, dass die Privatsphäre in der ambulanten Pflege und der verfassungsrechtlich garantierte Schutz der eigenen Wohnung ein Umgehen und Aushebeln von allgemeinen Standards des Arbeitsschutzes und von Arbeitszeitregeln möglich machen. Und nicht selten erreichen die Haushaltshilfen bei ihrem 24 Stunden- / 7 Tage-Einsatz gerade einmal einen knappen vierstelligen Bruttomonatslohn.

Der aktuell im Umlauf befindliche Entwurf eines Eckpunktepapier zur geplanten Pflegereform sieht unter anderem vor, dass Leistungen der Pflegeversicherung künftig auch für die 24-Stunden-Betreuung – in Höhe von bis zu 40 % der Pflegesachleistung – eingesetzt werden können. Wenn dies so kommt, ist das zweifelsfrei eine gute Nachricht für die Haushaltungen, die eine Haushaltshilfe einsetzen. Denn es bedeutet eine spürbare finanzielle Entlastung. An der vielfach prekären Situation der Personen, die in den Seniorenhaushaltungen tätig sind, ändert diese Novellierung aber nichts. Der Gesetzgeber muss daher Regeln schaffen, sprich tarifliche und arbeitsrechtliche Grundlagen, die unmittelbar mit diesem Leistungsanspruch verknüpft sind und damit den Beschäftigten in den Seniorenhaushaltungen zumindest die Rechte sichern, die eigentlich selbstverständlich sein sollten, aber in der 24-Stunden-Betreuung eher die Ausnahme sind; zum Beispiel ein freier Tag in der Woche, Anspruch auf medizinische Leistungen und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Absicherung bei Arbeitsunfällen, Regeln für die Unterkunft und eben auch eine gerechte Entlohnung. 

Wieder einmal sind unsere Bundesrichter gefragt und aufgefordert, einen politisch überfälligen Prozess in Gang zu setzen. Nach Auskunft der Pressestelle des Bundesarbeitsgerichts ist mit einer Entscheidung im Laufe des ersten Halbjahrs 2021 zu rechnen.

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