Innerhalb weniger Jahre hat sich die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland nahezu verdoppelt. Doch dieser Anstieg lässt sich nur zu 15 Prozent auf die älter werdende Gesellschaft zurückführen. Zu diesem Ergebnis kommt der Pflegereport 2025 der BARMER, den die Krankenkasse am Donnerstag in Berlin vorgestellt hat. Demnach hat sich die Zahl der Pflegebedürftigen zwischen den Jahren 2015 und 2023 von 3,0 auf 5,7 Millionen erhöht. Der Anteil in der Bevölkerung ist damit von 3,21 auf 6,24 Prozent gestiegen. Doch von diesem Zuwachs um 3,03 Prozentpunkte macht die Alterung der Gesellschaft nur 0,44 Prozentpunkte aus. Ein zentraler Kostentreiber ist dagegen die Pflegereform aus dem Jahr 2017 mit der Einführung der Pflegegrade. Brisant ist diese Erkenntnis vor dem Hintergrund, dass die von der Gesundheitsministerkonferenz im Juli einberufene Bund-Länder-Arbeitsgruppe noch in diesem Jahr Eckpunkte einer großen Pflegereform vorlegen soll. Im „Zukunftspakt Pflege“ dürfen keine Vorschläge mit Mehrausgaben unterbreitet werden, soweit diese nicht unmittelbar auf die demografische Entwicklung zurückzuführen sind.

„Die Aufwendungen in der Sozialen Pflegeversicherung steigen stark an. Das liegt weniger an der alternden Gesellschaft, sondern vielmehr an der Leistungsausweitung durch die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes im Jahr 2017. Auf die Bund-Länder-Arbeitsgruppe wartet nun eine Mammutaufgabe, um die Pflegeversicherung zu reformieren und finanziell zu stabilisieren. Die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler dürfen nicht noch stärker belastet werden.“

Prof. Dr. med. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzende der BARMER

Krankheitslast nicht Treiber für mehr Pflegebedürftige

Zur finanziellen Entlastung der Pflegeversicherung und der Pflegebedürftigen müssten auch Bund und Länder viel mehr als bisher beitragen, so BARMER-Chef Straub weiter. Nötig seien unter anderem die Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige durch den Bund und die Entlastung der Pflegebedürftigen von Investitionskosten und Kosten der Pflegeausbildung durch die Länder. Die Krankheitslast sei in der Bevölkerung nicht der entscheidende Treiber für den massiven Anstieg an Pflegebedürftigen. Dazu seien sechs akute und sechs dauerhafte Erkrankungen analysiert worden, darunter Krebs, Hirninfarkt, Demenz, Parkinson und Herzinsuffizienz. Demnach sei bei allen Erkrankungen der Anteil derjenigen gestiegen, die zugleich pflegebedürftig seien. Während im Jahr 2017 zum Beispiel 11,4 Prozent der an Krebs und 68,1 Prozent der an Demenz Erkrankten pflegebedürftig gewesen seien, lägen diese Werte im Jahr 2023 bereits bei 20,0 Prozent und 78,5 Prozent. Der Anteil der inzident, also neu Pflegebedürftigen sei im selben Zeitraum bei fast allen untersuchten Erkrankungen ebenfalls gestiegen.

„Ein Hauptgrund für den Anstieg der Pflegebedürftigen ist der seit Januar 2017 geltende neue Pflegebedürftigkeitsbegriff. Er hat neben der Umstellung von Pflegestufen auf Pflegegrade zu einer deutlichen Leistungsausweitung geführt. Durch die leichtere Inanspruchnahme von Pflegeleistungen wurden immer mehr Menschen als pflegebedürftig anerkannt und haben frühzeitig Unterstützung erhalten.“

Studienautor Prof. Dr. Heinz Rothgang von der Universität Bremen

Unterschiedliche Pflegeverläufe je nach Eingangserkrankung

Laut Pflegereport hat sich die Dauer der Pflegebedürftigkeit im Pflegegeldbezug und in Pflegegrad 1 ohne Hauptleistungen deutlich erhöht. Im Vergleich der ersten 25 Monate seit Beginn der Pflegebedürftigkeit in den Jahren 2018 bis 2022 habe sich die Pflegezeit innerhalb dieses Zeitraums unabhängig von der Entwicklung der Grunderkrankungen um einen halben Monat gesteigert. Zudem seien die Pflegeverläufe je nach Erkrankung sehr unterschiedlich. Pflegebedürftige mit Demenz würden im Schnitt rund zweieinhalb Monate länger stationär gepflegt als zu Pflegende ohne Demenz. Bei Parkinson-Betroffenen betrage die Zeit im häuslichen Pflegegeldbezug gut zwei Monate mehr als bei Pflegebedürftigen ohne Parkinson-Syndrom. „Da die Pflegebedürftigen bei langsam voranschreitenden Erkrankungen heute früher Pflegeleistungen erhalten können, bleiben sie auch länger im System. Um der wachsenden Inanspruchnahme zu begegnen und das politische Versprechen einer Versorgung unabhängig von Versichertenstatus, Einkommen und Wohnort neu mit Leben zu füllen, braucht es ein ‚Primärversorgungssystem‘, um die Patientenströme bedarfsgerecht zu steuern“, sagt BARMER-Chef Straub. Auch dafür sei die explizite Unterstützung der Pflege und deren Aufwertung als Heilberuf erforderlich. Dabei müsse die Entwicklung der Pflegeprofession von der Hilfskraft bis zur akademisierten Pflege im Blick behalten und wo nötig vorangetrieben werden. Zudem brauche es perspektivisch eine sektorenübergreifende Bedarfsplanung, die die Profession Pflege mitdenke und einbinde.

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