Im Kampf gegen Alzheimer ist ein kleines Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Erfolge versprechen sich Forscher von einer frühen Behandlung und der Kombination verschiedener Arzneimittel.  

Auch 2019 erwies sich für die Alzheimer Forschung wieder als Jahr der Enttäuschungen. Stand heute wurden bereits mehrere Phase-III-Studien abgebrochen, die auf die Wirkstoffe Crenezumab, Aducanumab und Verubecestat gesetzt hatten. Die Mittel sollten die Beta-Amyloid Ablagerungen im Gehirn binden bzw. ein Enzym hemmen, dass entscheidend an der Produktion der Ablagerungen beteiligt ist. Die Gründe für das Aus erläutert Stefan Teipel, Leiter der Klinischen Forschung am DZNE (Deutsches Zentrum für Neurogenerative Erkrankungen) in Rostock/Greifswald. „In solchen Studien wird häufig eine Zwischenbilanz gezogen, um zu überprüfen, ob eine Wirksamkeit für die nachfolgende Phase wahrscheinlich ist. Damit will man vermeiden, Patienten weiter in einer Studie zu behandeln, wenn höchstwahrscheinlich keine Wirkung zu erwarten ist“. 

Nach den vielen Rückschlägen der vergangenen Jahre stellt sich die große Frage: Ist die Beta-Amyloid Hypothese nun endgültig am Ende? „Die kritische Frage ist berechtigt“, meint Demenzforscher Teipel.

Manche Wissenschaftler erklären den Ansatz für tot. Andere halten dagegen die Eiweißablagerungen für den entscheidenden Auslöser der Alzheimererkrankung. Genetische Studien unterstützen die These. Wichtig, so Teipel, seien jetzt die laufenden Impfstudien in Familien mit genetisch bedingtem Alzheimer. Denn wer bei dem seltenen familiären Alzheimer die entsprechenden Gene besitzt, wird erkranken. Da die Gene eine vermehrte Amyloidbildung auslösen, könnten Impfstoffe bewirken, dass das Immunsystem Antikörper gegen die Eiweißablagerungen bildet. Damit will man den Ausbruch der Krankheit verzögern oder vielleicht sogar verhindern. „Sollten auch bei diesen Studien keine positiven Ergebnisse herauskommen, müsste man ernsthaft überlegen, ob der Anti-Amyloid Ansatz noch realistisch ist“, sagt Professor Teipel. Die ersten Ergebnisse erwarten Wissenschaftler und Pharmabranche im Laufe des nächsten Jahres. Für den bisher so erfolglosen Kampf gegen Amyloid-Ablagerungen existieren auch noch andere Erklärungen. So vermuten Forscher zum Beispiel, dass die Substanzen wirkungslos blieben, weil die Alzheimer-Erkrankung bei den Probanden der Tests schon zu weit fortgeschritten war.

Zukünftig stehen daher Studien im Mittelpunkt, die Wirkstoffe gegen Amyloid an noch gesunden, aber erblich vorbelasteten Menschen erproben. Hoffnungen machen außerdem alternative Therapien. Ein neues Angriffsziel sind die sogenannten Tau-Fibrillen, also Proteinstränge, die sich bei Alzheimer in den Nervenzellen bilden. Sie stören die Kommunikation der Zelle und führen letztlich zum Zelltod. Am weitesten entwickelt ist hier die Substanz Leuko-Methylthionium, die bereits eine Phase-III-Studie durchläuft. Ein weiterer Hoffnungsträger sind small molecules, also kleine Moleküle, die im Unterschied zu Antikörpern direkt in die Zellen eindringen und Stoffwechselprozesse im Gehirn schützen können. „Solche kleinen Moleküle haben sich zum Beispiel bei der spinalen Muskelatrophie als wirksame Therapie erwiesen“, erklärt der Neurologe Teipel. Neugierig machen die Ergebnisse einer amerikanischen Phase-II-Studie mit intranasalem Insulin. Das Stoffwechselhormon schützt die Synapsen vor Amyloid und erzeugt neue Synapsen. In der allerdings sehr kleinen Studiengruppe verlangsamte sich die Rate des kognitiven Abbaus um ein bis zwei Jahre. Auch die Pharmafirmen testen – trotz der ernüchternden Misserfolge – weiterhin Alzheimer-Medikamente in klinischen Studien. Zurzeit befinden sich weltweit ca. 500 Substanzen in Phase-I bis III-Studien. 

Mittlerweile glauben die meisten Experten, dass nur die Kombination mehrerer Arzneimittel den ersehnten Durchbruch bringen kann.

„Mit einem Mittel wird man nicht erfolgreich sein, das hat sich auch in der Krebstherapie gezeigt“, betont Stefan Teipel. „Wir brauchen auch bei Alzheimer eine individuelle Behandlung“. 80-jährige Patienten mit Demenz leiden meist an mehreren Erkrankungen, zu dem Amyloid gesellen sich vielleicht Parkinson, Durchblutungsstörungen, Herzinsuffizienz und andere Alterserkrankungen. Und die Menschen nehmen viele Medikamente, die die Gedächtnisleistung beeinträchtigen. All diese Patienten gleich zu behandeln, bedeutet nur die Effekte der Mittel zu verwässern. Mindestens genauso wichtig für die Behandlung ist die Prävention. Ermutigende Hinweise hat hier die FINGER-Studie aus Finnland (Finnish Geriatric Intervention Study) gebracht. Sie war 2015 die erste große Studie, die einen multidimensionalen Ansatz zur Prävention kognitiver Einschränkungen bei älteren Personen verfolgte. Die Studienteilnehmer nahmen an einem körperlichen und einem kognitivem Training teil, und sie erhielten Beratungen zu Risikofaktoren wie etwa Blutdruck und Ernährungsweise. Ähnliche Studien werden derzeit weltweit durchgeführt, in USA, Singapur und China, in Deutschland ist es die AgeWell Studie. Allerdings ist die Beobachtungsdauer in den meisten dieser Studien nicht lang genug. Die Forscher der FINGER-Studie konnten zwar eine verbesserte Gedächtnisleistung feststellen, aber nicht erkennen, ob durch das Training eine Demenzerkrankung verhindert wird. 

„Prävention bedeutet, dass wir eine konsequente Beratung und Behandlung bei Risikofaktoren brauchen, also bei hohem Blutdruck, Diabetes, mangelnder Bewegung, starker Fettleibigkeit, Rauchen und Alkohol.“

Stefan Teipel, Leiter der Klinischen Forschung am DZNE

Eine gesunde Lebensweise scheint tatsächlich ein Schutzfaktor zu sein. Denn alle epidemiologischen Studien der letzten 10 Jahre zeigen, dass sich das altersbezogene Demenzrisiko um etwa drei Prozent reduziert hat. So ergab zum Beispiel eine Studie aus den USA, dass dort immer mehr Menschen an Diabetes erkranken. Trotzdem ist die Zahl der Demenzerkrankungen nicht angestiegen. Grund ist wahrscheinlich die konsequente Behandlung des Diabetes, die das Demenzrisiko reduziert. „Das ist ein Riesenerfolg, weil es zeigt, dass das Demenzrisiko offenbar beeinflussbar ist“, sagt Stefan Teipel. „Natürlich wird die Zahl der Kranken trotzdem steigen, weil immer mehr Menschen in das Risikoalter kommen. Aber sie wird bis 2050 nicht sechs Millionen betragen wie befürchtet, sondern – in Anführungsstrichen – nur drei Millionen. Auch das ist eine positive Botschaft“.

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