Warum essen die Menschen gerne im Restaurant, haben dagegen vom Essen im Krankenhaus keine gute Meinung? Die grundsätzliche Aufgabe ist doch dieselbe: Sowohl im Restaurant als auch im Krankenhaus will man Menschen etwas Gutes tun und sie umsorgen. Während im Krankenhaus der Fokus auf dem medizinischen Aspekt liegt, verfolgt die Gastronomie einen holistischen Ansatz. Sie hat den ganzen Menschen im Blick und will ihm ein ganzheitliches Erlebnis bieten. Über die Speisen und Getränke hinaus wird durch Atmosphäre, Service und Kommunikation ein Mehrwert geschaffen, der sich positiv auf die Stimmung auswirkt.
Die Herausforderung, solch einen Effekt auch im Krankenhaus zu erzeugen, ist bekanntlich groß. Aber lohnenswert. Denn diese Art Pflege von innen kann ganz oft für einen Heilungsprozess förderlich sein. Hier gilt es, die Essensqualität zu betrachten, aber auch zusätzliche Faktoren wie Präsentation, Individualität und Flexibilität. Wenn Essen verführerisch aussieht, lecker riecht und schmeckt, genau die richtige Temperatur und Portionsgröße hat, schön angerichtet ist, vielleicht mit einem besonderen Extra und einem netten persönlichen Gruß des Küchenteams oder der Serviceassistenz – dann spüren Patienten die Mühe, die sich das Team macht.
Wir als F&B Heroes, wünschen uns, dass der Care-Bereich sich vom Gastgewerbe inspirieren lässt. Und das dazu eine Verschiebung stattfindet, von einer zahlengetriebenen Funktionalität der Verpflegung hin zu einem Verständnis als Gastgeber. In Vorbilder, wie das 2020 eröffnete Patientenhotel Waldkliniken Eisenberg in Thüringen sieht man, dass dies möglich ist. Das Projekt ist ein Leuchtturm, welches die Zielsetzung hat, Hotelmaßstäbe in einem Krankenhaus umzusetzen und das in einem der innovativsten und gleichzeitig nachhaltigsten Krankenhausgebäude. Partner waren das kommunale Krankenhaus sowie der Architekt Matteo Thun in Zusammenarbeit mit dem globalen Architekturbüro HDR. Dem Entwurf für den Neubau liegt „Hospes“, das lateinische Wort für Gast zugrunde. Unter diesem Motto wurden alle Bereiche inklusive Patientenverpflegung und Gastronomie neu gedacht und konzipiert. Der kreisrunde Neubau beherbergt 128 Patientenzimmern mit 246 Betten, davon 13 für Privatpatienten, vom Dehoga Thüringen mit vier bzw. fünf Sternen zertifiziert.
Patientenzentrierte Versorgung – auch beim Essen
Hospital, der andere Begriff für Krankenhaus, kommt von dem lateinischen Wort hospitalis und bedeutet gastfreundlich. Die Waldkliniken Eisenberg steht vorbildlich für dieses Verständnis eines Hospitals als Ort der Gastlichkeit.
Gute Gastgeber wollen immer nur das Beste für ihre Gäste. Der Patient steht im Mittelpunkt, mit all seinen Bedürfnissen. Umsorgen statt versorgen, stärken und wohltun für Körper, Geist und Seele.
Genuss und Lebensfreude sollte die neue Formel für die Verpflegung der Patienten_innen sein.
Am einfachsten gelingt dies, indem man einen Perspektivwechsel vornimmt und die Versorgung aus der Patient_Innensicht sieht. Oder gar nicht mehr in Patient_Innen-Kategorien denkt, sondern in Gästezielgruppen. Das wäre eine Kehrtwendung, die vieles verändern würde. Krankenhäuser verstehen sich traditionell als Orte der Medizin, alles dreht sich um die körperliche Heilung. Aber auch die Psyche hat Einfluss auf das Wohlbefinden und damit auf die Genesung der Patient_Innen.
Den Patienten das Gefühl zu geben, wie im Restaurant zu essen, oder sich wie im Hotel, statt in der Klinik zu fühlen, kann einen entscheidenden Unterschied machen. In einem Hotel bin ich Gast, in einem Krankenhaus fühle ich mich schnell als Last.
Budget anders gestalten, Systeme neu aufstellen
Aber kann dies gelingen mit den rund 14 Euro, die durchschnittlich für die Tagesverpflegung eines Patienten zur Verfügung stehen und einem Wareneinsatz von unter 5 Euro? Überraschenderweise sind es in manchen Ferienclubs oder Kreuzfahrtschiffe ähnliche Größenordnungen. Dafür wird den Gästen im Cluburlaub oft viel mehr geboten. Abnehmen tut dort keiner, im Krankenhaus passiert das manchmal schon.
Die Ursache liegt darin, dass die Budget in den Kliniken für Dinge aufgebraucht, die der Patient nicht sieht. Das Geld kommt nicht beim Patient an. Wer das ändern will, muss das System neu aufstellen. Laut aktueller Care-Studie ist der Wandel bereits im Gange. Zwar gibt es nach wie vor viele konventionelle Frischeküchen, aber sowohl Zentralisierung als auch der Einsatz industrieller Speisenproduktion nehmen zu. Digitalisierung und KI werden in Kombination mit größeren Einkaufsvolumen und geeigneter Zubereitungsmethoden wie Cook&Chill dazu beitragen, die Qualität, Individualität und Flexibilität zu steigern.
Es kann aber auch die konsequente Frischeküche sein wie im Fall einer Klinik in Bad Belzig, zu der der Berliner Sternekoch und Gastronom Peter Frühsammer während der Pandemie wechselte. Dort bereitet er täglich für 250 Gäste leichte und gesunde Gerichte aus überwiegend regionalen Zutaten zu. Als Profi weiß er, dass frisch verarbeitete Zutaten nicht teurer sein müssen als Fertiggerichte, aber deutlich gesünder und viel leckerer. Sein Küchenkonzept brachte einen deutlichen Wandel in den Verzehrgewohnheiten der Patienten_innen und Mitarbeiter_innen: Der Anteil der vegetarischen Essen stieg auf nahezu die Hälfte.
Aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen ist es entscheidend, dass jede Klinik das für sie individuell passende Zukunftskonzept findet.
Zusatzeinnahmequellen schaffen
Jeder Gast im Restaurant ist auch eine KonsumentIn und will sich etwas für sein Geld gönnen und möchte vielleicht etwas mehr für die Mahlzeit ausgeben dürfen. All das selbstverständlich im Rahmen der medizinischen Indikation. Die Individualisierung der Leistung, die wir in allen Lebensbereichen feststellen, kann durchaus auch im Krankenhaus weiterentwickelt werden, unterstützt durch Digitalisierung und moderne Kommunikationsmittel. PatientInnen könnten sich z. B. mit Hilfe einer individualisierten App vorgeben lassen, was sie zu sich nehmen dürfen und was nicht.
Standards hochsetzen
Darüber hinaus könnte die App zusätzliche Wahlmöglichkeiten zur Grundverpflegung enthalten. Also konkrete Kaufangebote für den Extra-Genuss. So werden aus Patient_Innen Gäste, die sich bewusst für mehr Genuss und Lebensfreude entscheiden und dafür auch bereit sind, mehr zu zahlen. Auf diese Weise kann das Krankenhaus durch Essen und Trinken neue Einnahmen generieren.
Ein solches Beispiel ist das Projekt „Sechs Köche, zwölf Gerichte“ der Helios-Kliniken. 2019 arbeiteten die Spitzenköche Thomas Bühner, Christoph Rüffner, Juan Amador, Nils Henkel, Hendrik Otto und Maike Menzel bei dem Kulinarik-Projekt zusammen. Das Resultat: raffinierte Alltagsgerichte der deutschen Küche, angepasst an die Rahmenbedingungen der Kliniken. Umgesetzt werden sollte das neue Speisenkonzept im Jahr 2020 und sich an private und als Zusatzangebot gegen Aufpreis auch an gesetzlich versicherte Patienten richten.
F&B-Outlets: Einnahmequelle, Wohlfühloase und Imagebringer
Klinik-Cafes für gehfähige Patienten_innen und ihre Gäste, aber auch für Mitarbeiter_innen bieten die Möglichkeit zur kleinen Flucht aus dem Klinik-Alltag. Sie sind nicht nur Seelentrost und Gaumenschmeichler, sondern auch Einnahmequelle und Ort für ein Miteinander. Hier treten Menschen miteinander in Verbindung, kommunizieren und können den uns innewohnenden Wunsch nach Gemeinschaft und Geselligkeit ausleben.
Für die Gestaltung von Klinik Cafés und Restaurants gilt dasselbe wie in der Gastronomie: Ihnen liegt ein Konzept zugrunde, das sich wie ein roter Faden durch das Angebot und die Gestaltung zieht. Das beginnt mit einer heiteren, ansprechenden Einrichtung, hochwertigen Möbeln, einem stimmigen Lichtkonzept, einer angenehmen Raumakustik durch schalldämpfendes Material, einer appetitlichen Präsentation der Produkte und freundlichen, geschulten Mitarbeitern in adretter Berufsbekleidung. Im Idealfall wird der Innenbereich durch eine Terrasse ergänzt. Für Mitarbeiter sind gut strukturierte und geplante Abläufe sowie moderne Technik wichtig, um effizient und zugleich serviceorientiert arbeiten zu können. Wichtig ist eine klug aufgebaute Karte mit einer kuratierten Auswahl an Bestands- und Tagesgerichten, darunter viel Frisches und Comfort Food, das kranke Menschen sich oft wünschen. Im Café werden kleine Mahlzeiten, Snacks, Kaffee und Kuchen geboten. Zusammengefasst kann man sagen: Cafés und Restaurants sollten so aufgemacht sein, dass sie auch außerhalb der Institution Krankenhaus funktionieren könnten.
In den Waldkliniken Eisenberg wurde ein modernes Gastronomiekonzept mit viel natürlichen Materialien und lässigem Ambiente für die meist gehfähigen Patienten umgesetzt. Dazu gehören Eichenparkett, Kamine, lichtdurchflutete Räume, die den Hotelcharakter unterstreichen. Den Mittelpunkt des Gebäudes bildet das Restaurant „La Piazza“, ergänzt durch den Lounge- Bereich, die Bar und Terrasse. Ein weiteres „Restaurant Matteo“ ist geplant. Die bekannte TV-Köchin Sarah Wiener hat gemeinsam mit dem Küchenteam eine neue Form der Krankenhausküche entwickelt. Frische und regionale Zutaten spielen dabei die Hauptrolle.
FAZIT
Gesund und lecker essen im Krankenhaus? Ja, wenn Patient_Innen als Gäste gesehen werden und der Wille zum grundlegenden Wandel vorhanden ist. Der Lösungsansatz lautet: In Möglichkeiten statt in Begrenzungen denken und einen Perspektivwechsel vornehmen. Vorbild für die neue Rolle als Gastgeber ist die Gastronomie mit ihrer ganzheitlichen Sicht der Gäste. Gastronomie inspiriert und begeistert die Menschen. Nur so kann sie dauerhaft attraktiv bleiben. Aus Sicht der F&B Heroes besteht die Aufgabe der Gastronomie heute und zukünftig darin, zentraler Ort für das gemeinschaftliche Leben und die Kommunikation zu sein. Krankenhäuser, welche diese Erkenntnis für sich nutzen, werden zu den Gewinnern zählen.
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