Wenn in Deutschland über Seniorenimmobilien oder Wohnangebote für Senioren gesprochen wird, denken wir häufig sofort an Pflegeheime für Bewohner, die mindestens mit Pflegegrad 3 eingestuft sind und entsprechend betreuungsbedürftig sind. Der Gedanke, dass es mit 70, 75 oder 80 darum gehen könnte, nicht nur zu wohnen und zu altern, sondern das Leben zu genießen, ist noch immer erstaunlich selten präsent. Mittlerweile gibt es zwar eine steigende Zahl von Angeboten für Betreutes Wohnen, seltener auch für Senioren-Wohngemeinschaften – und für solvente ältere Menschen wächst das Angebot von Senioren-Residenzen mit anspruchsvollem Kultur- und Wellnessprogramm. Doch von der Vielfalt der Wohn- und Pflegekonzepte, wie die USA sie schon seit Jahrzehnten kennen, sind wir noch weit entfernt. Und das, obwohl auch in Deutschland immer mehr Babyboomer das Seniorenalter erreichen. Diese Generation möchte ihren Lebensabend eher in einer Zwei- oder Drei-Zimmer-Wohnung verbringen und genießen, als sich in ein kleines Ein-Zimmer-Apartment in einer Pflegeeinrichtung zurückzuziehen.
Maßgeschneiderte Wohnkonzepte sind gefragt
Es wird höchste Zeit, dass sich Projektentwickler und Investoren noch viel stärker als bislang mit den individuellen Bedürfnissen der Silver Ager befassen und daraus maßgeschneiderte Wohnkonzepte ableiten. Diesen Bedarf zu erkennen und mit gezielten Investitionen zu begleiten, betrachten wir als eine der wesentlichen Aufgaben für die Zukunft. Private Kapitalgeber werden dabei eine ganz wichtige Rolle spielen. Wir bei AIF Capital wollen mit solchen Investitionen einen gezielten Mehrwert für alle Akteure schaffen – Impact Investing eben. Hier frühestmöglich den Bedarf zu erkennen und entsprechende Konzepte zu begleiten, sehen wir als Chance und als unsere Aufgabe. Wir müssen wegkommen, immer nur an Pflege zu denken. Aktives Leben, Wellness, Lebensfreude sind ebenso wichtige Faktoren, die bei Seniorenimmobilien mitgedacht werden müssen.
Seniorenwohnen wie im Hotel – mit Pool und Fitnessraum
In den USA gehören etwa innerstädtische Konzepte für Senioren, die wie in Hotels wohnen, bereits seit Jahrzehnten zu den völlig selbstverständlichen Angeboten. Die Häuser richten sich an Bewohner, die auch im fortgeschrittenen Alter weder auf Swimming-Pool noch auf Fitnessraum verzichten möchten. Sie wollen nicht nur wohnen, sondern sich wohlfühlen. Sie legen Wert auf eine zentrale Wohnlage mit kurzen Wegen zu allem, was man regelmäßig oder sporadisch braucht: Arzt, Apotheke, Bäcker, Drogerie, Supermarkt, Kino, Theater. Solche zentralen Wohnangebote mit der Möglichkeit, alles fußläufig erreichen zu können, haben wir in Deutschland noch viel zu selten. Wir sollten solche Angebote als Standard begreifen, der in jede größere Stadt gehört und nicht nur im Luxussegment funktioniert.
Ein Mix der Generationen weckt bei Senioren die Lebensgeister
Ganz im Gegenteil: Innerstädtische Seniorenwohnkonzepte sind nicht nur etwas für zahlungskräftige Klientel. Die Lust auf Leben und Genießen teilen auch weniger gut betuchte Senioren. In den USA gehören Wohngemeinschaften für sozial Benachteiligte ganz selbstverständlich zum Mix der Angebote. Auch dort ist nicht Rückzug das Motto, sondern rein ins Leben, so gut und so lange es geht. Gleiches gilt für Mixed-Use-Angebote, bei denen nicht nur auch eine Arztpraxis oder ein Ergotherapeut im Haus ist, sondern zum Beispiel auch eine Jugendpflegeeinrichtung für junge Menschen mit psychischen Problemen. Die Nähe zu Menschen, die etwa zwei Generationen jünger sind, wirkt sich positiv auf das Lebensgefühl vieler Senioren aus, die es gar nicht anstreben, nur unter sich zu sein. Wir sehen ganz oft, dass den Menschen etwas fehlt, wenn wir immer nur eine einzige Spezialisierung im Blick haben und davon ausgehen, damit sei optimal für sie gesorgt – ein die Vorschriften erfüllender Fachkräfteschlüssel inklusive.
Wohnen Sie noch, oder genießen Sie schon?
Allerdings: Nicht jeder Mix passt. Eine Kindertagesstätte nebenan funktioniert eher nicht, wenn die Bewohner der Seniorenimmobilie erst 60 Jahre alt sind und ihre jüngsten Nachbarn zu laut finden. In den USA würde man die Kategorie dieses Wohnkonzepts wahrscheinlich „Active Adult“ nennen. Darunter darf man sich Mietwohnanlagen vorstellen, in denen meist ein Mindestalter der Bewohner vorgegeben ist, das vielleicht bei 55 oder 60 Jahren liegt. Nicht zu verwechseln mit Private-Pay Senior Housing, was etwa dem entspricht, was wir in Deutschland unter Betreutem Wohnen verstehen. Mit einem Unterschied: In den USA wird der Service-Gedanke besonders groß geschrieben. Da ist ein Concierge selbstverständlich, während wir in Deutschland eher fragen würden, was der kostet und ob man den wirklich braucht. Wohnen Sie noch, oder genießen Sie schon?, würde ein Besucher aus den Vereinigten Staaten da womöglich fragen.
Spezialisierung wird den älteren Menschen gerechter
Es gibt noch viele weitere Angebote, die die USA längst kennen, und die bei uns erst nach und nach Einzug halten. Für die steigende Zahl von Menschen mit Demenz müssten wir viel mehr Wohnformen vorhalten. Hier sprechen die US-Amerikaner beispielsweise von „Memory Care“. Häuser dieser Fachrichtung sind vor allem für Bewohner mit Demenz gedacht, die in einem Betreuten Wohnen nicht mehr adäquat betreut werden können. Auch bei der intensiveren Pflege von Senioren lohnt ein Blick in die Staaten. Einrichtungen im Segment „End of Life“ sind ganz gezielt auf Sterbebegleitung spezialisiert.
Mehr Mut für individuelle Konzepte in kleinen und großen Städten
In Deutschland fehlt uns oft der Mut, die Vielfalt der Konzepte im Großen umzusetzen, ohne ein Vorbild zu haben, an dem wir uns orientieren können. Theoretisch wissen wir, dass die stark zunehmende Zahl der Senioren bei uns mehr unterschiedliche Wohn- und Pflegekonzepte zur Folge haben sollte, aber wir sind auch Weltmeister darin, Bedenken zu haben und Kritik an Neuem zu üben. Da hilft es uns hoffentlich, dass wir in den USA sehen können, wie völlig verschiedene Arten von Seniorenimmobilien den individuellen Bedürfnissen der Bewohner viel gerechter werden und einer großen Zahl älterer Menschen mehr Lebensfreude bescheren.
Das gilt sowohl in großen Städten als auch in kleineren Kommunen. Auch in Letztgenannten gibt es ganz unterschiedliche Wünsche für das Wohnen und Leben im Alter. Was die Menschen genau benötigen, hängt immer vom konkreten Standort ab. Nicht alle Senioren brauchen gleich ein Opernhaus um die Ecke, wenn sie Kultur genießen möchten.
Foto: Projekt „Quartier am Anger“ in Saarbrücken-Dudweiler, Theodor-Storm-Straße = Betreutes Wohnen, 84 Wohnungen (45 bis 170 qm), Fertigstellung noch 2023 geplant. Das Projekt gehört dem offenen Spezial-AIF (Spezialfonds) „AIF Fürsorge I“.