Elisabeth Scharfenberg war 12 Jahre Mitglied des Bundestags und Sprecherin für Pflege- und Altenpolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Als selbständige Businesstrainerin und Coach berät sie heute Krankenhäuser und Pflegeheime, aber auch Pflegekräfte. Im Interview erklärt sie, warum es ohne gute Führung keine gute Pflege gibt.

Frau Scharfenberg, was macht eine gute Führungskraft aus?

Eine gute Führungskraft hört sich die Ideen aus der Belegschaft an, greift sie auf und versucht sie umzusetzen. Natürlich ist nicht jede Idee gut, aber jede Idee hat ihre Berechtigung. Wenn man feststellt, ach, das war aber nicht der große Wurf, kann man das Projekt ja wieder einstampfen oder verändern. Auf diese Weise bezieht man Mitarbeiter in das Unternehmen ein. Und die Pflegekräfte sehen, dass ihre Ideen ernst genommen werden. Sie fühlen sich dann nicht nur als Arbeitskräfte, sondern auch als Teil des Unternehmens. 

Wie viele Pflegekräfte fühlen sich denn als Teil ihres Unternehmens?

2016 habe ich eine Onlineumfrage gemacht, an der knapp 4500 Pflegekräfte teilnahmen. Erschreckenderweise fühlten sich 79 Prozent der Befragten nicht mit ihrem Betrieb verbunden. Das ist eine Katastrophe. Und 74 Prozent sagten, dass sie von ihren Führungskräften keine Wertschätzung erfahren. Die zweite Katastrophe. Pflegekräfte sind das Kapital eines Unternehmens, die muss man hegen und pflegen wie eine seltene Blume. Wenn keine Wertschätzung da ist, dann steigt der Frust und dann kann man darauf warten, bis sich die Mitarbeiter einen anderen Arbeitsplatz suchen. Da reicht es, wenn ein anderer Arbeitgeber drei Euro die Stunde mehr oder eine Prämie für den Wechsel anbietet. 

Wie ernst ist den Unternehmen das Thema Führung?

Bei manchen ist das Thema angekommen und die spüren auch den Erfolg, den sie mit guten Führungskräften haben. Aber viele Einrichtungen sind dafür nicht offen. Außerdem gibt es Vorgesetzte, die keine Vorbilder haben. Gute Führung muss aber gelebt werden. Hohe Fluktuation und hoher Krankenstand wie in der Pflege sind immer Alarmzeichen in Betrieben. Die müssten in den oberen Etagen zur Frage führen, wo die Ursache ist. Eine solche Ursachenforschung macht Arbeit. Aber wenn sich die Personalsituation in der Pflege weiter zuspitzt – und darauf können wir warten – dann wird das Thema Führungskräfte für die Einrichtungen und Dienste noch viel wichtiger werden. Die Führungsebene ist der Dreh- und Angelpunkt, um Mitarbeiter zu gewinnen, sie im Job zu halten und um eine gute Pflege zu sichern. 

Gibt es in der Führungsqualität Unterschiede zwischen Krankenhäusern und Pflegeheimen oder zwischen kleinen und großen Einrichtungen?

Nein, in meinen Augen nicht. Das steht und fällt mit den Personen in Führungspositionen. Es kann in einer großen Klinik super laufen und in einem kleinem Altenheim ganz schlecht. Es hängt an den Personen, wie sie Führung verstehen. Ob als Top Down, also ich sage an und ihr macht, oder ob sie sich als Teil des Teams verstehen. Ist meine Tür immer offen? Bin ich offen für Probleme oder will ich mir das nicht anhören? Oft reden Vorgesetzte nicht mit den Mitarbeitern. Dann wissen sie auch nicht, wie es ihren Leuten geht und wie die Teamstruktur ist. 

Welche Maßnahmen müssen Unternehmen ergreifen, um eine gute Führung zu implementieren? Fortbildungen allein reichen sicher nicht aus

Jenseits aller Fortbildungen ist es wichtig, ein Händchen für neue Leute in  Führungspositionen zu haben. Wie ich schon sagte, Chefs müssen diejenigen erkennen, die Lust haben ein Team zu führen und sich als Teil des Teams sehen. Fortbildung ist natürlich wichtig. Genau so wie Supervision, damit eine Führungskraft ihr Denken und Handeln hinterfragen kann. Coaching ist sehr hilfreich in Situationen, in denen man an Grenzen kommt. Mit Hilfe von außen lassen sich solche Situationen positiv meistern. 

Ein Grund für die Probleme bei der Suche nach guten Führungskräften ist aber auch die Personalknappheit .

Richtig, in der Pflege haben wir bekanntlich keine blühenden Gärten mit Personal, dass man sich aussuchen kann. Sehr oft nimmt man einfach die Leute, die gerade da sind. Die hatten aber vielleicht gar nicht vor, eine Führungsposition zu übernehmen. Dann heißt es, Frau Müller hat doch schon immer gesagt, dass sie vom Bett weg will. Dann kann sie ja einen PDL-Kurs machen. Problem erstmal gelöst, zumindest vordergründig. Das kann wunderbar werden, wenn Frau Müller damit ihre Berufung gefunden hat. Aber schwierig wird es, wenn der Wunsch vom Bett und von stressigen Schichtdiensten wegzukommen die einzige Motivation ist. 

Sie sind unter anderem ja auch Coach und leiten Seminare. Was brennt den Leuten auf den Nägeln?

Ich erlebe eine Menge Pflegekräfte, die Lust auf Veränderung haben. Die wollen von dem Bild „ich arme Pflegekraft“ wegkommen und aktiv ihren Pflegealltag und ihr Arbeitsumfeld gestalten. Viele haben sehr kreative Ideen. Das konnte ich auch auf unserem zweites Aktiv Camp Pflege feststellen, das vor kurzem stattgefunden hat. 

Was passiert auf einem Aktiv Camp?

Das ist eine open space Veranstaltung, also keine Konferenz und kein Seminar. Es gibt keinen Unterschied zwischen Podium und Publikum und auch keine vorgegebenen Themen. Jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer bringt die eigenen Ideen und Interessen ein und jeder geht in die Session, die ihn interessiert. Menschen aus allen Bereichen der Pflege kommen zusammen, von der Pflegedirektorin über den Professor bis hin zum Azubi. Sie stellen ihre Ideen vor und diskutieren sie und entwickeln die nächsten Schritte. Die gehen nicht mit dem Gefühl weg, schön, dass wir mal darüber geredet haben, sondern jeder hat sein Thema und weiß, was er im nächsten halben Jahr tun wird. Hier sind wieder die Führungskräfte gefragt. Sie sind diejenigen, die den Daumen nach oben oder nach unten halten, wenn neue Dinge angestoßen werden. 

Können Sie Beispiele von Einrichtungen nennen, die Ihrer Meinung nach gute Führungsarbeit leisten?

Es gibt einige, am Bodensee in Lindau zum Beispiel das Maria-Martha-Stift. In Mönchengladbach ist es die Sozial-Holding der Stadt Mönchengladbach, die unter anderem acht Pflegeheime betreiben. Dann gibt es eine Reihe von ambulanten Pflegediensten, die sich nach dem holländischen Buurtzorg-Modell auf den Weg gemacht haben. In Düsseldorf ist es das Care-Team, ein ambulanter Dienst, der selbstorganisierte Pflegeteams aufbaut. 

Weitere Informationen:
www.team-scharfenberg.de

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