Ein kräftiger Schub für die häusliche Pflege soll es werden. Das versprechen sich viele Experten und Expertinnen von digitalen Pflegeanwendungen. Doch viele Unternehmen scheuen das komplizierte Antragsverfahren.

Anfang Dezember 2022 war es endlich soweit. Das BfArM stellte das Antragsportal für digitale Pflegeanwendungen (DiPA) online. Seitdem können Hersteller die Aufnahme in ein zentrales Verzeichnis beantragen. Gleichzeitig startete das kostenpflichtige Beratungsverfahren, mit dem die Behörde die Zertifizierung begleitet.

Eine DiPA ist eine App für das Smartphone, ein Tablet oder auch für den Computer und kommt nur in der häuslichen Pflege zum Einsatz. Sie soll pflegebedürftigen Menschen helfen, ihren Alltag besser zu bewältigen, aber auch pflegende Angehörige und Pflegedienste entlasten. 

Mit einer DiPA, anders als bei einer DiGA (digitale Gesundheitsanwendung) können Pflegebedürftige selbst aktiv etwas für ihre Gesundheit tun. 

„Eine DiPA kann zum Beispiel Angehörige unterstützen, die überprüfen wollen, ob ihre Demenz erkrankte Oma genügend trinkt“, erklärt Pflegeberater Hendrik Dohmeyer.

„Dazu braucht es ein mit einem Zeitschalter und einem Sensor versehenes Gefäß, das mit dem W-Lan oder einem Mobilfunknetz verbunden ist. Eine App informiert dann die Angehörigen, wie viel die Großmutter heute getrunken hat“.

Auch bei Inkontinenzproblemen kann eine DiPA sinnvoll sein. Hier meldet ebenfalls ein Sensor über eine App, wann Einlagen gewechselt werden müssen. Eine DiPA wären aber auch Spiele, die das Gedächtnis trainieren, und auf die jeweiligen Spieler personalisiert sind. 

Hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) den Nutzen eines Programms festgestellt und in das Verzeichnis aufgenommen, können die Pflegekassen die Kosten übernehmen. 

Pro Quartal werden dann 150,- Euro übernommen. Es handelt sich also um Erstattungsleistungen, Pflegebedürftige und ihre Familien müssen sich erst einmal auf eigene Kosten das gewünschte Programm besorgen. 

Von einem Ansturm auf das Antragsportal kann derzeit allerdings nicht die Rede sein. Auf Nachfrage erklärt das BfArM, dass man darauf verzichte, die aktuelle Anzahl der Anmeldungen mitzuteilen. 

„Die Hersteller können ja erst seit einigen Wochen die Aufnahme ihrer Produkte beantragen“, erklärt Pressesprecher Maik Pommer.  „Wenn die erste DiPA den ca. dreimonatigen Antragsprozess erfolgreich durchlaufen hat, steht auch das DiPA-Verzeichnis zur Verfügung. Für diesen Zeitpunkt plant das BfArM auch die regelmäßige Veröffentlichung entsprechender Zahlen, vergleichbar zum DiGA-Verfahren“. In einigen Wochen, wahrscheinlich eher Monaten, könnte es erstmal so weit sein. 

Auch Hendrik Dohmeyer sind nur drei oder vier Firmen bekannt, die sich bei der Behörde registrieren lassen wollen. „Chancen auf Anerkennung haben meines Erachtens nur spezielle Nischenlösungen“, erklärt der Pflegeberater. 

Die erheblichen Anforderungen, die für eine Aufnahme in das DiPA-Verzeichnis erfüllt sein müssen, bremsen das Interesse potenzieller Bewerber. So überprüft das Bundesinstitut u.a. die Sicherheit und Funktionstauglichkeit sowie die Datensicherheit der Anwendungen. Die Pflegeanwendung sollte so einfach wie möglich gestaltet sein, damit auch alte Menschen sie bedienen können. Der Hersteller muss natürlich eine Infrastruktur aufbauen und Kassen und Pflegedienste in den Prozess einbeziehen. Die größte Hürde dürfte aber der notwendige Nutzennachweis sein. 

„Der Nachweis eines pflegerischen Nutzens muss vom Hersteller mit einer quantitativ vergleichenden Studie geführt werden“, schreibt das BfArM in seinem aktuellen Leitfaden

Nach den Informationen von Dohmeyer hat sich bereits eine Firma aus dem Antragsverfahren zurückgezogen. Diese hatte mehrere Anwendungen im Portfolio, kapitulierte aber vor der Komplexität sowie der Anzahl der jeweils erforderlichen Studiennachweise. Ein zusätzliches Hindernis: Wenn sich irgend etwas an der Anwendung ändert, muss jedes Mal auch ein neuer Nutzennachweis erbracht werden. 

Berechtigte Hoffnungen auf Aufnahme in das amtliche Verzeichnis macht sich das medizinisch-technische Unternehmen Lindera. Seine bereits als Medizinprodukt anerkannte Sturzapp errechnet mit Hilfe eines Videos und eines Fragebogens die Schritthöhe, -geschwindigkeit und -weite. Und gibt dann genaue Empfehlungen, um Stürze zu vermeiden oder um die Beweglichkeit zu verbessern. In einem Pilotprojekt mit drei Korian Pflegediensten testet Lindera die Sturzapp schon seit Juni 2022. Voraussetzung für die Nutzung solcher Apps ist natürlich der Besitz eines Smartphones oder eines anderen Endgerätes sowie eine stabile Internetverbindung. Viele pflegebedürftige Menschen besitzen allerdings weder das eine noch das andere. In solchen spezialisierten Anwendungen wie der Sturzapp von Lindera sieht Pflegeberater Dohmeyer aber geeignete Kandidaten für eine Aufnahme in das amtliche Verzeichnis. Mehr DiPAs wären auf jeden Fall wünschenswert, findet Dohmeyer: 

„DiPA könnte der häuslichen Pflege einen Schub geben. Ihr Hauptziel ist schließlich, mit der Digitalisierung die Pflegesituation zu stabilisieren. Und bei ca. 4,5 Millionen Haushalten mit pflegebedürftigen Menschen gibt es einen riesigen Bedarf“.   

Foto: pixabay


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