Ohne weitreichende Reformen wird sich die Zahl der defizitär arbeitenden deutschen Krankenhäuser innerhalb weniger Jahre verdoppeln und bereits im Jahr 2025 bei über 50 Prozent liegen. Dies ist die Prognose des Krankenhaus Rating Reports 2020, dem die Auswertung der Jahresabschlüsse von knapp eintausend deutschen Krankenhäusern zugrunde liegen. Im Untersuchungszeitraum, dem Geschäftsjahr 2018, lag der Anteil von Krankenhäusern mit negativem Geschäftsergebnis noch bei rund 30 Prozent, so die Untersuchung des Essener RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung.
Hintergrund der Entwicklung ist, dass die Gesamtheit der deutschen Krankenhäuser die Kostenentwicklung durch eine steigende Zahl von Behandlungsfällen nahezu kompensieren konnte – zumindest bis 2016. Seit 2017 steigt die Leistungsmenge nicht mehr. Auch für die kommenden Jahre gehen die Wissenschaftler des RWI von stagnierenden Fallzahlen aus.
Die Autoren, Prof. Dr. Boris Augurzky, Leiter des Kompetenzbereichs „Gesundheit“ im RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, und Dr. Sebastian Krolop, MSc, Global Chief Operating & Strategy Officer bei HIMSS, präsentieren den Krankenhaus Rating Report seit 2010 auf dem Hauptstadtkongress. Aufgrund seiner Bedeutung für die Analyse ökonomischer Trends im notleidenden Krankenhausmarkt zieht die Vorstellung des Reports immer ein großes Publikum an und stößt zugleich auf intensives Medieninteresse. Als Diskutanten sind dabei: Dr. Jens Schick, MPH, Mitglied des Vorstandes der Sana Kliniken AG, und Prof. Dr. Hans-Jürgen Hennes, Medizinischer Geschäftsführer und Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Mannheim. Auch die Zuschauer der digitalen Veranstaltung können per Chat-Funktion Fragen stellen.
Bereits heute schon arbeitet der deutsche Krankenhaussektor am Rande der Profitabilität. So sanken die durchschnittlichen Gewinne laut Krankenhaus Rating Report 2020 von 2,2 Prozent des Umsatzes im Jahr 2016 auf nur noch 1,2 Prozent im Jahr 2018.
Vor dem Hintergrund, dass von einem stärkeren Auseinanderdriften der GKV-Beitragseinnahmen und der Kosten für Leistungsausgaben auszugehen ist, müsse es zu einem beschleunigten Wandel im Hinblick auf Digitalisierung und Telemedizin kommen, so die Wissenschaftler. Außerdem sei eine weitere Spezialisierung und Zentralisierung des Krankenhaussektors sowie ein Wandel des Krankenhauses von einem hauptsächlich stationär tätigen Leistungserbringer hin zu einem integrierten Vollversorger unausweichlich – besonders in ländlich geprägten Gebieten.
Dies werde jedoch durch die sektorale Spaltung des deutschen Gesundheitssystems, durch Fehlanreize im bestehenden Vergütungssystem und durch zu starre Reglementierungen behindert, warnen die Autoren. Sie plädieren deshalb für einen “Neustart des SGB V”: Das fünfte Sozialgesetzbuch sei “stark institutionenbezogen aufgebaut” und enthalte “zahlreiche Detailregulierungen”. “Die Nutzerperspektive kommt hingegen deutlich zu kurz”, kritisiert der Report. Eine “patientenorientierte Neuformulierung des SGB V” sei eine Mammutaufgabe, die zu den großen Visionen der 2020er Jahre gehören solle. „Um eine schleichende Rationierung [medizinischer Leistungen] zu vermeiden”, sei aber auch eine “effektive Patientensteuerung“ erforderlich, z. B. auch unter Einsatz einer neutralen Künstlichen Intelligenz – ebenfalls eine Vision 2030.
Aktuell fordert der Krankenhaus Rating Report 2020 vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie Risikokonzepte für Katastrophenfälle, mehr Transparenz und eine zentrale Verfügbarkeit von Versorgungsdaten. Es müsse “jederzeit bekannt sein, welche Kapazitäten im Gesundheitswesen vorhanden sind, zum Beispiel Intensivbetten, Beatmungsgeräte, Testkapazitäten und Labors”. Nur so könnten im Krisenfall die politisch Verantwortlichen “rasch weitreichende Entscheidungen fällen”.
Die Vorstellung des Krankenhaus Rating Reports 2020 wird am 18. Juni 2020 von 11:00 bis 12:30 Uhr im Rahmen von „Hauptstadtkongress Digital“ live als Videostream übertragen. Für den kostenlosen Empfang ist eine vorab auf der Website des Hauptstadtkongresses vorzunehmende Registrierung erforderlich.
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