Wenn Menschen mit geistigen Behinderungen oder schweren Mehrfachbehinderungen krank werden, ist dies meist mit speziellen Fragestellungen verbunden. Oft klappt die Kommunikation nicht oder es fehlt die Einsicht in Krankheits- und Behandlungsverläufe. Deshalb hat die St. Lukas-Klinik der Stiftung Liebenau noch vor der Corona-Pandemie spezielle bedürfnisorientierte Pflegemethoden entwickelt. „Dieses Pflegekonzept hat sich in den vergangenen Monaten auch unter den besonderen Umständen der Corona-Krise bewährt“, berichtet Dr. Jürgen Kolb, Leitender Chefarzt des Bereichs Medizin für Erwachsene an der St. Lukas-Klinik.

Die St. Lukas-Klinik der Stiftung Liebenau achtet auf die individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse ihrer Patientinnen und Patienten.

Zeit und Vertrauen ermöglichen pflegerischen Zugang
Wie dieses Pflegekonzept im Klinikalltag umgesetzt wird, erläutert die Leitende Oberärztin der Station für Allgemeinmedizin und Pflege, Dr. Dorothea Ehrmann, anhand eines Beispiels: „Ein Patient, der eines Tages mit einem Krankenwagen zu uns gebracht wurde, versteckte sich in seinem Zimmer unter dem Waschbecken.“ Denn in dieser ungewohnten und belastenden Situation konnte er seine Ängste nicht selbst steuern – so wie das häufig bei den besonderen Patientinnen und Patienten der St. Lukas-Klinik der Fall ist. Bevor eine medizinische Versorgung möglich war, mussten also seine Gefühle reguliert und ein pflegerischer Zugang zu ihm geschaffen werden. Dies wurde möglich, als die Ärztin und der Patient gemeinsam auf dem Boden saßen und mit viel Ruhe eine Vertrauensbasis aufbauten. „Wenn dies gut gelingt, kann einiges an Medikamenten vermieden werden“, sagt Dr. Ehrmann.

Besondere Bedürfnisse
„Die speziellen Bedürfnisse und Fähigkeiten unserer Patientinnen und Patienten erfordern einen hohen pflegerischen Aufwand“, erklärt die Ärztin. Sogar eine einfache Blutentnahme muss gut vorbereitet werden, um die notwendige Entspannung und Zugänglichkeit zu bewirken. Krankenhäuser, die ihre Standards an Menschen ohne Handicap ausrichten, könnten dies kaum leisten. Oft können sie Menschen mit Behinderungen sogar im Erwachsenenalter nur aufnehmen, wenn Angehörige sie begleiten. Diese Assistenz ist in der St. Lukas-Klinik in der Regel nicht notwendig. Sie hat eine gute Zusammenarbeit mit den umliegenden Krankenhäusern entwickelt. Die erste Diagnostik erfolgt oft an der St. Lukas-Klinik. Die weiterführende und hochspezialisierte Diagnostik und Behandlung übernehmen dann Krankenhäuser in der Region. Danach setzen die multiprofessionellen Teams der St. Lukas-Klinik die bedürfnisorientierte Pflege und Behandlung fort. Das Behandlungsspektrum ist hier sehr breit: Es reicht von Verhaltensauffälligkeiten über die post-operative Versorgung bis zu Tumorerkrankungen.

Pflegekonzept auf der Grundlage langjähriger Erfahrungen
Ihre vielfältigen Erfahrungen und Kompetenzen in der pflegerischen und medizinischen Versorgung von Menschen mit Behinderungen hat die St. Lukas-Klinik nun in ein Pflegekonzept gefasst. Es sieht zunächst ein standardisiertes Verfahren vor, um den jeweiligen Pflegebedarf zu erfassen.

„Anders als üblich werden bei uns auch die individuellen emotionalen Bedürfnisse und Fähigkeiten dokumentiert, da wir es häufig mit kindlich anmutendem Verhalten zu tun haben. Auf der Basis dieses Assessments und einer Bezugspflege entwickeln wir einen individuellen pflegerischen Zugang.“

Barbara Schmid, Stationsleiterin

Dabei werde das Verhalten der Patientinnen und Patienten genau beobachtet. Täglich werde geprüft, inwieweit die angewandten Methoden den pflegerischen Zugang weiterhin ermöglichen oder sie modifiziert werden müssen. 

Positive Atmosphäre im Pflegeteam
Der hohe Stellenwert der Pflege zeigt sich bereits in der Patientenaufnahme. Sie erfolgt nicht nur unter medizinischen Aspekten, sondern auch unter Berücksichtigung der pflegerischen Machbarkeit. „Mithilfe dieses pflegerischen Assessments kann der diagnostische Aufwand sinnvoll geplant und der mögliche Behandlungserfolg besser eingeschätzt werden“, erklärt Dr. Ehrmann. Die Pflegekräfte bringen für diese Aufgaben verschiedene Berufs- und Lebenserfahrungen mit. „Aufgrund der guten Zusammenarbeit mit dem Ärzteteam entsteht eine positive pflegerische Atmosphäre und ein selbstständiges, verantwortliches Arbeiten im Pflegeteam mit hoher Zufriedenheit“, berichtet Barbara Schmid.

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