Arbeitgeber aus der Pflege rufen zum „fachlichen Ungehorsam“ gegenüber pauschalen Corona-Schutzmaßnahmen auf  

Seit über zwei Jahren leben Menschen in Pflegeheimen in einem Ausnahmezustand. Während außerhalb der Einrichtungen Corona-Schutzmaßnahmen immer mehr zurückgefahren wurden und nicht nur in Bierzelten die „Rückkehr zu Normalität“ gefeiert wurde, müssen Bewohner*innen, deren Angehörige und nicht zuletzt Mitarbeitende seit dem 01. Oktober wieder mit einer pauschal verkündeten Maskenpflicht und unter verschärften Zugangsbedingungen leben. Das will die NRW-Landesregierung so nicht mitmachen.

„Wir freuen uns sehr über die Initiative von Minister Laumann, der den Begriff der Privaträume weit auslegt und nicht der politisch motivierten Panik von Herrn Lauterbach folgt“.  

Thomas Eisenreich vom Pflege- und Betreuungsdienstleister Home Instead als Sprecher der Ruhrgebietskonferenz-Pflege

Politiker*innen in Berlin feiern sich für ihre Fürsorge gegenüber den vulnerablen Gruppen in unserer Gesellschaft. Sie meinen es schließlich ja nur gut mit den alten und kranken Menschen. Dabei treten sie mit pauschalen und kollektiven Schutzmaßnahmen deren Recht auf Selbstbestimmung und ein würdevolles Leben mit hilfe- und Pflegebedarf mit Füßen.  Das sieht offenbar auch die Landesregierung in NRW und insbesondere Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann so.

„Die Maskenpflicht in der Pflege gilt – Gott sei Dank – nicht überall. Der zuständige Minister hat sich in einem Erlass klar von den pauschalen und unverhältnismäßigen Schutzmaßnahmen des Bundes distanziert. Das begrüßen wir als Arbeitgeber aus der Pflege sehr. Ein drittes Weihnachten hinter Masken wäre für alle Beteiligten unerträglich. Wenn das Gesetz – so wie Bundesgesundheitsminister Lauterbach es angekündigt hat – umgesetzt würde, könnten sie im April bei uns Menschen treffen, die unsere Mitarbeitenden und ihre Nachbarn noch nie unmaskiert haben lächeln sehen.“   

Ulrich Christofczik, Vorstand des Christophoruswerkes und Geschäftsführer der Evangelischen Altenhilfe in Duisburg

NRW-Minister Laumann beschreibt „Auslegungsmöglichkeiten“

Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat in einem am 30. September veröffentlichten Erlass die zuständigen Aufsichtsbehörden in den Kommunen auf „Auslegungsmöglichkeiten“ zum IfSG hingewiesen. Zunächst einmal differenziert der NRW-Minister zwischen dem Schutzmaßbedarf für Menschen in Krankenhäusern und dem in Einrichtungen der Langzeitpflege. In Krankenhäusern begegnen sich grundsätzlich geschwächte Menschen, die an einer akuten – nicht selten lebensbedrohenden – Erkrankung laborieren. In Pflegeeinrichtungen leben Menschen mit Unterstützungsbedarf, die lediglich zeitweise an einer – dann auch mitunter lebensbedrohenden – Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes leiden. Das ist ein gewichtiger Unterschied. Deshalb hält Minister Laumann auch den Verzicht auf das Tragen einer Maske in Räumen der täglichen Alltagsgestaltung für vertretbar. 

Hohe Impfakzeptanz bleibt unberücksichtigt

Für Roland Weigel, Koordinator der Ruhrgebietskonferenz-Pflege, ist diese Unterscheidung von zentraler Bedeutung für die Auslegung der Maskenpflicht in der Langzeitpflege: „Pflegeheime, Wohngemeinschaften, Tages- und Kurzzeitpflegen sind Räume der Begegnung. Hier werden die Tage in Gemeinschaft miteinander verbracht. Das unterscheidet diese Einrichtungen ganz maßgeblich von Krankenhäusern und Kliniken. Wir haben jahrelang daran gearbeitet, dass Pflegeheime und Wohngemeinschaften Orte sind, an denen Normalität gelebt werden kann. Das muss endlich wieder in den Fokus gerückt werden. Schließlich haben wir nicht umsonst für eine hohe Impfakzeptanz bei den Menschen gekämpft.“ Weit über 90% der Mitarbeitenden und Bewohner*innen gelten als immunisiert. Aus Sicht der Unternehmen aus der Ruhrgebietskonferenz-Pflege haben die Impfungen ihr Ziel erreicht und die Krankheitsverläufe bei den Bewohner*innen deutlich gemildert. Probleme sehen sie aber in der weiter gültigen Insolationspflicht für die Beschäftigten. „Wenn die Infektionszahlen wieder steigen und die Beschäftigten, auch wenn sie sich nicht wirklich krank fühlen, zuhause bleiben müssen, werden wir im Winter die Versorgung nicht gewährleisten können. Die jetzt gültige Isolationspflicht sollte dringend überarbeitet werden“, benennt Ulrich Christofczik seine aktuell größte Sorge. 

„Misstrauensunterstellung geht uns gegen den Strich“

In nahezu allen Einrichtungen gibt es inzwischen bewährte Hygiene- und Infektionsschutzkonzepte. Das treibt auch Silke Gerling vom Diakoniewerk Essen die Zornesröte ins Gesicht: „Uns geht diese ständige Misstrauensunterstellung gegen den Strich, die mit der Sonderbehandlung der Pflegeeinrichtung zum Ausdruck gebracht wird. Es wird den Pflegeeinrichtungen doch indirekt unterstellt, dass wir es aus eigener Kraft nicht schaffen, einen professionellen Umgang mit einer Infektionskrankheit wie Corona zu entwickeln. 

Aufruf zum „fachlichen Ungehorsam“

Die Ruhrgebietskonferenz-Pflege sieht auch im jetzigen IfSG durchaus Handlungsspielräume für ein würdevolles Leben mit Hilfe- und Pflegebedarf in Corona-Zeiten. Für Ulrich Christofczik ist es Zeit für mehr pflegerisches Selbstbewusstsein: „Die jetzt von Minister Laumann aufgelisteten Auslegungsmöglichkeiten zeigen, dass eigenständiges Denken und Handeln auch unter den Bedingungen des neuen IfSG möglich sind. Da, wo Behörden und Kontrolleure diese Optionen einzugrenzen versuchen, werden wir ihnen fachlichen Ungehorsam entgegensetzen.“

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