Wie lautet Ihr Fazit zur Pflegepolitik von Gesundheitsminister Lauterbach?
Roland Weigel für die Ruhrgebietskonferenz Pflege (links im Foto):
Rohrkrepierer statt Doppelwumms. Das ist unser etwas flapsiges, aber meines Erachtens zutreffendes Resümee.
Ein Beispiel ist das Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz und die dynamische Anpassung der Pflegesachmittel und der Pflegegelder an die Inflation. Zum 01.01.2025 soll es nun eine 4,5-prozentige Steigerung geben, was der derzeitigen Inflation überhaupt nicht gerecht wird. Im Entwurf zu dem Gesetz steht drin, dass das eine kumulative Erhöhung der Kerninflationsrate sein soll. Ein Taschenspielertrick erster Güte, weil Kerninflation definiert wird als Inflation unter Ausschluss der Energie- und Lebensmittelkosten. Das ist – man kann es nicht anders sagen – eine verlogene Debatte. Es wird versucht, zu signalisieren, „wir gehen auf berechtigte Forderungen ein“. Am Ende führt das wieder dazu, dass es eine Leistungsverknappung bei steigendem Leistungsbedarf gibt. Ein Karl Lauterbach ändert daran überhaupt nichts.
Von einer ernsthaften Reform der Pflegeversicherung, also einer Aufhebung der Versäulung, der überkomplexen Budgetstrukturen, kann gar nicht die Rede sein. Ganz im Gegenteil, es werden immer neue Töpfe und Budgets aufgemacht. Wir bräuchten aber das genaue Gegenteil. Das wird in der neuen Reform nicht einmal ansatzweise diskutiert.“
Norbert Grote, Hauptgeschäftsführer Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa) (Mitte im Foto):
Die Pflege hat in der Gesundheitspolitik der Ampelregierung eindeutig keine Priorität. Mit der jetzt vorliegenden Reform werden nicht einmal die selbst gesteckten Ziele aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt.
Eine Idee für eine demografie- und zukunftsfeste Ausgestaltung der pflegerischen Versorgung fehlt völlig. Gleichzeitig wird aus dem massiven Personalmangel in der Pflege schleichend ein Angebotsmangel. Einrichtungen sorgen sich um ihre wirtschaftliche Zukunft, Insolvenzen nehmen zu und Pflegebedürftige und ihre Familien haben es vielerorts längst schwer, einen Heimplatz oder einen ambulanten Dienst zu finden. Die Pflegeeinrichtungen brauchen eine sichere Refinanzierung der immensen Kostensteigerungen, dazu müssen auch die Kostenträger an ihre Verpflichtung erinnert werden. Und gleichzeitig braucht die Pflege eine Vorrangstellung bei der Fachkräfteeinwanderung, um ein weiteres Übergreifen des Personalmangels auf andere Branchen zu vermeiden. Denn wer für seine Mutter keinen Heimplatz oder für seinen Vater keinen ambulanten Dienst findet, kommt morgen nicht als Facharbeiter oder Heizungsmonteur zur Arbeit.
Torsten Mittag, Referent Altenhilfe und Pflege, Paritätischer Gesamtverband (rechts im Foto):
Der Finanzrahmen für die Pflegereform, also die Anhebung des Beitragssatzes zum 1. Juli um 0,35 Prozentpunkte, ist viel zu gering. Damit lassen sich selbst die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Vorhaben nicht umsetzen. So bleibt dieses Gesetz deutlich hinter den selbst gesteckten Zielen der Bundesregierung zurück. Ich nenne als Beispiele nur mal die Herausnahme der Ausbildungskosten aus den Eigenanteilen oder Maßnahmen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern, also die Abschaffung geteilter Dienste usw.
Wir bräuchten dringend Bundesmittel für die Pflegeversicherung. Außerdem sehen wir keine weiteren Reformschritte zur Stärkung der häuslichen Pflege. Daran muss sich der Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach messen lassen.
Man sollte ihm zu Gute halten, dass er sich im ersten Jahr seiner Amtsgeschäfte schwerpunktmäßig der Coronapandemie und damit auch der Bewältigung der Krise in der Langzeitpflege gewidmet hat. Aber nun benötigen wir dringend entsprechende Weichenstellungen und der Minister macht leider nicht den Anschein, dass er sich in der Regierung mit ambitionierteren Maßnahmen durchsetzen kann.
Könnte die Pflegevollversicherung die Probleme der Pflege kurz- und mittelfristig lösen?
Roland Weigel: Ich glaube, dass das in den letzten Monaten niemand wirklich gefordert hat. Leider wird derzeit im politischen Berlin keine Debatte um die grundlegende Reform der Pflegeversicherung geführt, genauso wenig wie in den Medien.
Ernsthaft diskutiert wird nur die Frage der Deckelung des Aufwandes, den wir in diesem Land für die Pflege bereit sind zu zahlen. Aber wenn wir diese Ebene nicht verlassen, werden wir dieses System nicht retten können. Es wird sich dann nur von Legislaturperiode zu Legislaturperiode verschlimmbessern.
Wir würden gerne die Debatte über ein persönliches Budget vorantreiben. Weg von SGB V, XI und XII, hin zu einem einheitlichen, wie auch immer gearteten persönlichen Pflegebudget. Das wäre gekoppelt an die Bedarfe der Menschen. Ob man das über ein Stufen- oder Graduierungssystem macht oder ob es für jeden Pflegebedürftigen gilt, der Unterstützungsbedarf hat, so wie in den Niederlanden, muss man im Detail aushandeln. Es gibt also ein Budget, mit dem ich wahlweise ambulant, teilstationär oder stationär Versorgung einkaufen kann. Das aber setzt in unserem Land etwas voraus, wovon wir sehr weit entfernt sind. Nämlich Vertrauen sowohl in die Menschen als auch in die Leistungserbringer, die mit dem Budget sachgerecht umgehen. Das wird von dieser Bundesregierung und insbesondere von diesem Bundesminister auf gar keinen Fall auf den Weg gebracht werden. Dazu fehlt ihm auch die fachliche Kompetenz.
Norbert Grote: Die Leistungsausweitungen für Pflegebedürftige reichen nicht annähernd aus, damit sich die Betroffenen die notwendigen pflegerischen Maßnahmen wieder leisten und den pflegerischen Bedarf absichern können. In Zukunft bedeutet Pflegebedürftigkeit für viele Menschen ein Abrutschen in die Sozialhilfe. Genau das sollte mit der Einführung der Pflegeversicherung doch vermieden werden. Dieses Versprechen muss die Politik wieder erfüllen.
Demografie Festigkeit mit Absicherung der pflegerischen Versorgung kostet Geld. Und das muss für die politisch Verantwortlichen in unserem Land endlich einmal einen ähnlichen Stellenwert einnehmen, wie der Klimaschutz oder die Dekarbonisierung. Dafür werden ja auch ganz selbstverständlich Finanzmittel in dreistelliger Milliardenhöhe zur Verfügung gestellt.
Torsten Mittag: Die Maßnahmen im Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz (PUEG) reichen überhaupt nicht aus. Wir machen uns große Sorgen, weil dieser Gesetzentwurf wieder nicht die dringend notwendige Strukturreform der sozialen Pflegeversicherung behandelt, vor allem in Bezug auf die Finanzierung von Pflege. Wir brauchen endlich eine ernsthafte Debatte über die zukünftige Finanzierung der Pflegeversicherung, um die soziale Pflegeversicherung langfristig auf eine tragfähige Basis zu stellen.
Der Paritätische spricht sich für den Ausbau der Pflegeversicherung zu einer Pflegevollversicherung aus und zwar sowohl für den ambulanten als auch für den stationären Bereich.
Sonst kommen alle in große Schwierigkeiten, wenn die kostenintensiven Themen, also höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Personal, umgesetzt werden. Die Pflegearmut wird weiter ansteigen und besonders die Unterversorgung im ambulanten Bereich wird dramatische Ausmaße annehmen.