Die Zeit zur Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht in der Pflege drängt! Darin waren sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem digitalen Impfpflichtgipfel der Ruhrgebietskonferenz-Pflege am 27. Januar einig. Schließlich müssen bis zum 15.03.2022 alle Beschäftigten in Pflegeeinrichtungen und -diensten nachweislich entweder geimpft bzw. genesen sein oder ein anerkanntes ärztliches Attest, das sie nicht geimpft werden können, vorlegen. Andernfalls droht ihnen ein Betretungs- bzw. Tätigkeitsverbot. 

Das wirft natürlich im Vorfeld jede Menge Fragen auf, die sehr zeitnah geklärt werden müssen. Umso erstaunlicher war es, dass sowohl der Vertreter des MAGS NRW als auch die zahlreich anwesenden Entscheider aus den Kommunen im Ruhrgebiet keine der drängenden Fragen nach der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht beantworten konnten.

„Wir sind fassungslos, dass sich die verschiedenen Institutionen offenbar die Umsetzungsverantwortung gegenseitig zuschieben. Am Ende bleibt die Arbeit und damit auch die Klärung zahlreicher Konflikte mit den Beschäftigten ausschließlich an den Einrichtungen und Diensten hängen.“

Roland Weigel, Koordinator der Ruhrgebietskonferenz-Pflege

Begonnen hatte die Veranstaltung mit einem Paukenschlag. Peter Renzel, Geschäftsbereichsvorstand für Soziales, Wohnen und Gesundheit der Stadt Essen berichtet, dass aus seiner Sicht die Arbeitgeber das Betretungs- und Tätigkeitsverbot für ihre Beschäftigen aussprechen müssen und nicht die Gesundheitsämter. Damit beschrieb er den Stand der Diskussion im Städtetag, wo er dem Fachausschuss Soziales, Jugend und Familie vorsteht. Die Verwaltungen hätten dafür auf absehbare Zeit auch gar nicht die personellen Ressourcen.  Demnach müssten die Träger sowohl den Status der Beschäftigten ermitteln als auch die Sanktionen aussprechen und umsetzen. Die Träger waren zunächst einmal fassungslos. 

Das war aber erst der Anfang. Es stellte sich im Verlauf der Veranstaltung heraus, dass keine der zahlreichen offenen Fragen aus den Reihen der Arbeitgeber bislang geklärt sind. „Uns geht es in erster Linie darum, dass es einen einheitlichen Vollzug und nachvollziehbare Regelungen gibt“ hatte Thomas Eisenreich von Home Instead und einer der Sprecher der Ruhrgebietskonferenz-Pflege zu Beginn die Erwartungen an die Entscheider in den Ministerien und Kommunen formuliert. Doch davon kann aktuell keine Rede sein. Frank Stollmann, der die eigens für das Thema im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales eingerichtete Projektgruppe leitet, machte deutlich, dass man meilenweit von einem abgestimmten Vorgehen entfernt ist. Das betrifft sowohl die Bundes- als auch die Landesebene. Schließlich seien die Ausgangsbedingungen in den Regionen dafür viel zu verschieden. Das betrifft vor allem die Befürchtungen, dass mit der Umsetzung der Impfpflicht die Versorgungssicherheit im Gesundheits- und Pflegebereich gefährdet sein könnten. Einheitliche Maßstäbe und Kriterien könne es dafür wahrscheinlich gar nicht geben.

Auch die Verfahren zur Anerkennung und Überprüfung von ärztlichen Zeugnissen, die Mitarbeitenden eine Kontraindikation zur Impfung bescheinigen können, sind zurzeit vollkommen unklar. Auch hier haben die Gesundheitsämter abgewunken und versichert, dass Ressourcen dafür nicht vorhanden seien. Thomas Eisenreich dazu: „Wir als Pflegedienste haben aber doch überhaupt keine Kompetenz, um solche Zeugnisse stichhaltig zu prüfen. Das können wir schlichtweg nicht. Da wird Arbeit und Verantwortung auf uns abgeschoben“. Das ist auch deshalb heikel, weil die Einrichtungen und Dienste dafür in die Haftung genommen werden können, wenn nicht immunisierte Beschäftigte einen Corona-Ausbruch auslösen.    

Der Status „geimpft“ und „genesen“ ist in dieser Zeit ein bewegliches Ziel. Auf die Einrichtungen kommt daher auch die Verpflichtung zu, den stets tagesaktuellen Stand der „Immunisierungsdiskussion“ auf ihre Beschäftigten zu übertragen, um keinesfalls gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht zu verstoßen. „Wir führen dazu schon heute eine Matrix, die wir fast wöchentlich anpassen, aber das kann auf Dauer so nicht weitergehen“, beschreibt Silke Gerling vom Diakoniewerk Essen einen weiteren Belastungsfaktor in den Pflegeeinrichtungen. 

„Es kann doch nicht sein, dass die Kriterien für die Impfpflicht in Dortmund andere sind als in Bochum, Essen oder Gelsenkirchen“, unterstreicht Thomas Eisenreich noch einmal die Notwendigkeit, einen Flickenteppich zu verhindern. Frank Stollmann und Peter Renzel machen ihm da nicht viel Hoffnung. Ein Erlass soll zwar durch das MAGS erarbeitet werden, aber es ist zurzeit nicht absehbar, wann er im Entwurf fertig sein wird und was dann darin geregelt werden soll. „Wir erwarten eine Flut von Arbeitsgerichtsverfahren und das bei einer Impfquote von über 95 % in unseren Einrichtungen“, bringt Silke Gerling, auch eine Sprecherin der Ruhrgebietskonferenz-Pflege, die Verärgerung der Arbeitgeber auf den Punkt. 

Thomas Eisenreich weist auch noch einmal darauf hin, dass Betreuungsdienste nach Landesrecht von der Impfpflicht nicht betroffen sind und erwartet dadurch eine Schieflage, die keiner mehr nachvollziehen kann. Er erklärt: „Wenn das so bleibt müssen wir uns nicht wundern, wenn Mitarbeitende dahin abwandern. Das können wir nicht wollen“

In Berlin scheint die Meinung vorzuherrschen „Augen zu und durch“, betont Frank Stollmann zum Abschluss noch einmal und beschreibt auch den Zeitplan bis zur Umsetzung als sehr eng. „Auf mich macht das den Eindruck, dass Bund und Länder gerade im Blindflug in Richtung Impfpflicht in der Pflege unterwegs sind. Das ist nicht das erste Mal in dieser Pandemie“, unterstreicht Roland Weigel noch einmal die grundsätzliche Kritik.

„Ist es nicht angesichts der vielen ungeklärten Fragen denkbar, den Start der Impfpflicht zu verschieben? Ein entsprechendes Moratorium sollten wir als Arbeitgeber in der Pflege in den kommenden Wochen unbedingt diskutieren.“ 

Kerstin Schönlau vom Diakonischen Werk Gladbeck, Bottrop, Dorsten

Mehr Informationen über die Ruhrgebietskonferenz-Pflege:
www.ruhrgebietskonferenz-pflege.de

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