Bezahlbarer Wohnraum ist knapp, besonders in den Städten. Für die Generation 50 plus wird sich das Wohnproblem in den kommenden Jahren noch verschärfen. In einer Studie errechnete das Eduard Pestel Institut für Systemforschung, dass ab 2035 in Deutschland ungefähr 24 Millionen Menschen über 65 Jahren leben werden. Sie werden allerdings in der Regel eine viel geringere Rente erhalten als die heutigen Rentner. „Dass hat zum einen zur Folge, dass sich viele Menschen ihre meist größeren Wohnungen nicht mehr leisten können“, sagt der Institutsvorstand Matthias Günther. „Zum anderen gibt es dann einen großen Mangel an altersgerechten Wohnungen“. 

Das Pestel Institut schätzt, dass bis 2030 etwa 50 Milliarden Euro an Investitionen nötig werden, um Wohnungen altersgerecht umzubauen. 

Viele Senioren werden früher oder später umziehen müssen. Doch schon heute sind kleinere Wohnungen in den meisten Fällen deutlich teurer als größere Wohnungen mit alten Mietverträgen. Ein Weg aus dem Dilemma wären Haus- oder Wohngemeinschaften. Unter Umständen schlagen die Bewohner damit zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie sparen Mietkosten und sie können sich – je nach Wohnform – gegenseitig unterstützen. „Hausgemeinschaften sind dabei bislang viel häufiger, also das Leben unter einem Dach aber hinter der eigenen Wohnungstür. Auch die Wohngemeinschaft taucht wieder vermehrt auf. Allerdings nicht so sehr als klassische WG, sondern eher als sogenannte Satelliten- oder Clusterwohnung. Hier werden die persönlichen Wohnflächen reduziert, aber es gibt zusätzliche Gemeinschaftsflächen, so dass keine Lebensqualität verloren geht“, sagt Ulrich Otto, Sozialwissenschaftler und Geschäftsführer des Age Research Netzwerkes. Solche Wohnungen sind eine Art Zwitter. Statt der WG-Zimmer bilden mehrere Kleinstwohnungen mit Miniküche innerhalb gemeinsamer Bereiche die Clusterwohnung. Der Gerontologe Otto hat bei seinen Projekten erfahren: Viele Ältere suchen eine Gemeinschaft. Aber sie bringen auch ihre Lebensgewohnheiten mit und können sich für neue Wohnformen nicht sofort begeistern. 

„Wichtig ist, dass eine gewisse Privatsphäre vorhanden ist, am besten mit einem kleinen eigenen Sanitär- Küchen- und Außenbereich. Gemeinschaftswohnen ist dann nicht Einschränkung, sondern Bereicherung“. 

Ulrich Otto, Sozialwissenschaftler und Geschäftsführer des Age Research Netzwerkes

Die Nachfrage nach alternativen Wohnprojekten in den vergangenen Jahren gestiegen. „Ich erfahre das auch in den Beratungen. Die meisten Menschen fragen vor allem nach generationengemischten Wohnformen“, berichtet Hartmut Wolter, Geschäftsführer der Freien Altenarbeit Göttingen e.V. Alternative Wohnformen sind aber immer noch eher die Ausnahme als die Regel. In Göttingen gibt es zum Beispiel nur das Hausprojekt Am Goldgraben, das der Verein verwaltet. Die Villa beherbergt 11 kleinere abgeschlossene Wohnungen mit Kochnische und Duschbad sowie verschiedene Gemeinschaftsräume mit ca. 300 qm Fläche. Auch im südlichen Niedersachsen sind Wohnprojekte rar gesät. „Die Leute wollen wegen der schlechten Infrastruktur nicht in ländlichen Regionen wohnen. Und in Göttingen sind die Mieten für solche Projekte meist zu hoch“, erklärt Wolter. Seiner Erfahrung nach sind zwei Voraussetzungen nötig, um alternative Wohnformen realisieren zu können: Beratung zum Beispiel durch Wohnprojektmentoren und das Engagement von Wohnungsbaugesellschaften und Kommunen. Ein anderer Aspekt: 

Beim Verkauf von Grundstücken sollten sich Kommunen am sogenannten Konzeptverfahren ausrichten. Dabei ist nicht mehr der Höchstpreis ausschlaggebend, sondern das Nutzungskonzept für die Wohnungen.

Skeptisch betrachtet Wirtschaftsfachmann Matthias Günther die Chancen von Wohn- und Hausgemeinschaften. In den vergangenen Jahren hat er viele solcher Projekte scheitern sehen, an den hohen Kosten oder weil sich die Mitglieder untereinander zerstritten haben. „Die Senioren WG ist eine Marktnische, aber für viele Menschen ist sie keine Alternative. Der Mensch wird ja im Alter nicht einfacher“, meint Günther. Trotzdem glaubt auch Günther, dass der ökonomische Druck die Nachfrage nach gemeinschaftlichen Wohnformen erhöhen wird. Hier seien kreative Lösungen erforderlich: „In den Vororten leben zum Beispiel oft ältere Menschen allein in ihren Häusern oder Wohnungen. Da wollen viele nicht umziehen oder sie können sich das Zusammenleben mit anderen nicht vorstellen. Man könnte Beratungsstellen einrichten, die über das Für und Wider informieren oder man beauftragt Dienstleister mit der Organisation von Umzügen.“ Ulrich Otto ergänzt: „Es sind ganz viele Mosaiksteine nötig, damit sich Ältere häufiger den Schritt in eine neue Wohnform zutrauen und dann auch umsetzen. Das fängt bei Ideen- und Interessentenbörsen für Gemeinschaftswohnen an, geht über Unterstützung für Baugruppen oder kleine Genossenschaften und reicht bis zur systematischen Orientierung am Quartier, mit eingestreuten Pflege-WG´s und Konzepten für nahräumliche Umzüge. Er ist sich sicher: „Das tolle Potenzial von Älteren, die neues Wohnen mit Mehrwert für die Gesellschaft suchen, muss unbedingt gestützt werden. Viel zu viele Projekte geben auf oder verlieren tolle Leute, weil die oft jahrelange komplexe Projektentwicklung viele Gruppen überfordert, die damit alleingelassen werden.“

Damit gemeinsames Wohnen klappt, ist sorgfältige Planung nötig. So sollte die Nutzung von Gemeinschaftsräumen schon vor dem Bau berücksichtigt  und durch ein Betriebs- und Verwaltungskonzept unterstützt werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Räume später leerstehen und unnötig zusätzliche Kosten verursachen. Bei kleinen Hausgemeinschaften besteht das Risiko, dass Quertreiber die Gruppe sprengen. Gruppen ab etwa 15 bis 20 Personen können Störungen leichter auffangen. Große Gemeinschaften benötigen vor allem eine gute Balance zwischen freiwilligem Engagement einerseits, Arbeitsteilung und verbindlicher Organisation andererseits. 

Auch das beliebte Modell des generationengemischten Wohnens ist alles andere als ein Selbstläufer. Jüngere und Ältere haben zum Teil höchst unterschiedliche Bedürfnisse und Ansprüche, die oft nicht unter einen Hut zu bringen sind. Ebenso hat die Vorstellung – ältere Frau betreut die Kinder der Nachbarn, die Familie kauft im Gegenzug für sie  Lebensmittel ein – wenig mit der Realität zu tun. Denn die Idee der Tauschbeziehung trägt langfristig nicht zu einer funktionierenden Nachbarschaft bei, wie die soziologische Forschung schon seit längerem nachgewiesen hat. Nachbarn brauchen eine Gemeinschaftsbeziehung, die auf dem Gefühl der Zusammengehörigkeit beruht. Diese Wertschätzung ermöglicht ein soziales Netzwerk, in dem man sich dann im besten Fall auch gegenseitig unterstützt.

Projekte dürfen sich nicht mit zu hohen Ansprüchen überlasten. Das Scheitern ist sonst vorprogrammiert. Für komplexere Gruppenprozesse ist es oft hilfreich, wenn sie moderiert und begleitet werden. Und optimal ist es, wenn sich die Mitglieder gut kennenlernen und Ihre Zusammensetzung laufend sorgfältig bedacht wird“. 

Ulrich Otto

Es sind hauptsächlich Baugruppen, Genossenschaften und kommunale Wohnungsbaugesellschaften, die gemeinschaftliche Wohnformen initiieren. In München ist zum Beispiel die WOGENO eG sehr aktiv, die zusätzlich gemeinschaftlich genutzte Räume schafft, u.a. Gästeappartements, Dachterrassen und Gärten. In anderen Teilen Deutschlands wie in Tübingen, Freiburg und Berlin gibt es ganze Viertel oder große Wohnhäuser mit generationengemischten Haushalten. Das bundesweite Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser unterstützt mit Fördergeldern nicht per se Wohnbauten, sondern Treffpunkte für die Nachbarschaft. Hier werden familienorientierte Aktivitäten und Dienstleistungen für alle Altersgruppen angeboten. Pro Haus gibt es seit neuestem einen Zuschuss von 50.000 Euro. 

Aktuell existieren etwa 540 Mehrgenerationenhäuser in Deutschland. 

Eine Zahl, die nicht besonders beeindruckt. Wie überhaupt gilt: Die Perspektiven alternativer Wohnprojekte sind vielversprechend, aber die Umsetzung ist noch ausbaufähig. „Wir müssen neue Wohnideen noch viel mehr ins Bewusstsein der Menschen rücken“, lautet das Fazit des Gerontologen Hartmut Wolter.


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