Fachkräftemangel, hohe Arbeitsbelastung und bürokratischer Aufwand: am heutigen Internationalen Tag der Pflegenden stehen die Herausforderungen in der Pflege auf der Tagesordnung. Eines der wichtigsten Themen sind digitale Lösungen für die Branche – sie können wesentlich dazu beitragen, die bestehenden Probleme zu beheben.
„Wir steuern sehenden Auges auf einen Pflegenotstand zu, weil die Arbeitsbedingungen vielerorts frustrierend sind. Die Zeit für die eigentliche Pflege ist enorm knapp bemessen, für Weiterbildungen sowieso. Was Abhilfe schafft, sind digitale Lösungen, die bürokratische Aufgaben abnehmen. Dafür müssen wir im Gesundheitswesen jedoch mehr Transparenz und größere Anreize schaffen.“
Katrin Alberding, Co-Gründerin von kenbi
Innovationen fördern statt ausbremsen
Leider werden viele Lösungen, die längst technisch möglich sind, nicht umgesetzt, weil die Rahmenbedingungen nicht klar definiert sind. So trat etwa im Juni 2021 das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) in Kraft, um digitale Pflegeanwendungen (DiPa) bundesweit zu etablieren. Doch Anforderungen, die solche Apps erfüllen müssen, sind immer noch nicht bekannt.
Ein weiteres Beispiel ist die begleitende Telemedizin, bei der Pflegepersonal Patient:innen vor Ort versorgen könnte, während Ärzte per Video zugeschaltet werden. „Dieses Konzept ist eindeutig die Zukunftslösung für die ärztliche Versorgung, vor allem auf dem Land – aber es gibt dafür weder eine Leistungsbezahlung noch eine Erlaubnis”, so Katrin Alberding.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bemerkte in einem Vortrag zur Digitalisierung in der Pflege bei der DMEA Ende April, es gebe „viel Taktik, viel Technik und viel Innovation, aber keine übergreifende Strategie”.
Dem stimmt Katrin Alberding zu:
„Es gibt viele innovative Player, die die Digitalisierung der Gesundheits- und Pflegebranche vorantreiben wollen, aber sie werden nicht genug gefördert. Es gibt es zwar einzelne Förderprogramme, der Bewerbungsprozess ist jedoch meist sehr langwierig und für die wenigsten erfolgreich. Es ist fast unmöglich, ein Business am Laufen zu halten oder gar zu wachsen, während man sich durch diesen Prozess arbeitet.”
Digitalisierung als Qualitätskriterium
Zu guter Letzt sollten stärkere Anreize geschaffen werden, die Pflege zu digitalisieren. Ambulante Pflegedienste etwa werden vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) geprüft und benotet – doch Digitalisierung ist dabei kein Kriterium. „Leider macht es in der Bewertung nach außen gar keinen Unterschied, ob Pflegedienste digital arbeiten oder nicht – obwohl sie dadurch eindeutig eine bessere Pflege anbieten können”, sagt Alberding. Auch für die Vergütung durch die Kassen macht dies keinen Unterschied.
kenbis Digitalisierungsstrategie
Das 2019 gegründete Pflege-Start-Up kenbi hat eine digitale Strategie für die ambulante Pflege entwickelt, die es erfolgreich umsetzt. Beispiele sind die digitale Buchhaltung, digitales Recruiting und Onboarding neuer Mitarbeiter:innen sowie die tägliche digitale Planung und Dokumentation der Pflegeeinsätze.
Diese Lösungen reduzieren Aufwände nachhaltig und geben Fachkräften im Schnitt 30 Prozent mehr Zeit für die eigentliche Pflege und Weiterbildungen. Außerdem setzt kenbi auf kleine Teams von 6 bis 12 Personen, die sich vor Ort selbst organisieren.
Dass solche Konzepte für die Pflege ein großes Potenzial haben, bestätigt auch eine neue bundesweite Studie der Arbeitnehmerkammer Bremen unter 12.700 ehemaligen und Teilzeit-Pflegekräften. Diese ergab, dass sich 60 Prozent der Berufsaussteiger:innen in der Pflege eine Rückkehr in den Beruf vorstellen könnten, wenn die Arbeitsbedingungen stimmen.