Im August 2018 veröffentlichte Pflegemarkt.com eine Studie über die Nutzung von WLAN in Pflegeheimen. Danach stellten nur 37 Prozent von 575 befragten Einrichtungen ihren Bewohnern und Bewohnerinnen WLAN zur Verfügung. Einen kostenlosen Zugang boten gar nur sechs Prozent an. Die Lage hat sich seitdem nur unwesentlich gebessert. Schmerzlich bewusst wurde der Mangel während des Corona Lockdowns. Auch Martina Kuhn, Projektkoordinatorin für BIQ in Hamburg, Bürgerengagament für Wohn-Pflege-Formen im Quartier, hat das erfahren. Nur die wenigen, die ein Smartphone besaßen, konnten mit ihren Familien visuellen Kontakt halten. Und wenn es selten genug einen Raum mit Internetzugang gab, wurde er nicht benutzt, weil niemand da war, um mögliche Interessentinnen anzuleiten.
„Schlimm war es für unsere Ombudspersonen, die sich mit Beiratsmitgliedern in den Einrichtungen per Videokonferenzen besprechen wollten. Das war nicht möglich. Ausgenommen in einzelnen Fällen, wenn die Leitung zum Beispiel das Arbeitszimmer zur Verfügung stellte.“
Martina Kuhn
Die BIQ betreut 30 Einrichtungen in Hamburg mit dem Ziel, die Lebensqualität von Bewohner- und Nutzerinnen zu verbessern und das Recht auf Teilhabe zu stärken. Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Ombudspersonen des Projekts unterstützen auch die Arbeit der Beiräte bzw. der jeweiligen Interessenvertretung in den Wohneinrichtungen. Besser mit der digitalen Teilhabe hat es dagegen in Wohngruppen und –gemeinschaften geklappt. „Das ist aber auch den Angehörigen zu verdanken, die viel technische Unterstützung geleistet haben“, erklärt Ulrike Petersen, die Leiterin von BIQ.
Düster blickt Roland Weigel, Koordinater und Sprecher der Initiative Ruhrgebietskonferenz Pflege, in die Zukunft: „Bisher gibt es immer nur Bonbönchen, wie wir hier im Ruhrgebiet sagen“.
Die Förderprogramme reichten bei weitem nicht aus. Außerdem sind sie oft Stückwerk, nicht aufeinander abgestimmt und selten in eine betrieblich Strategie eingebettet. Beispielhaft ist hier das Förderprogramm der Stiftung Wohlfahrtspflege in Nordrhein-Westfalen „Zugänge erhalten – Digitalisierung stärken“. Die Stiftung kalkulierte mit 250 Anträgen, eingereicht wurden aber über 1200 Anträge, erläutert Weigel. Während aber die geförderte Summe hier immerhin 100.000 Euro beträgt, sind es beim Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) dürftige 12.000 Euro. Dabei muss die Pflegeeinrichtung auch noch 60 Prozent der Investitionskosten selbst übernehmen.
„Wir brauchen daher ein Infrastrukturprogramm. Sonst ist eine solche Investition nicht zu stemmen. Denn bei einem Heim mittlerer Größe mit 80 Bewohnern kostet die Grundausstattung mit WLAN ca. 100.000 Euro“.
Roland Weigel
Auch andere Experten und Verbände fordern, Pflegeeinrichtungen besser mit digitalen Medien zu versorgen. Bereits im Juni 2020 hat die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) in einer Stellungnahme fünf Schritte für eine digitale Versorgung genannt. Unter anderem müssen, so die BAGSO, die Menschen bei den ersten Schritten ins Internet unterstützt und dauerhaft begleitet werden.
Der Punkt Begleitung ist auch Martina Kuhn besonders wichtig. „Im Durchschnitt sind unsere Heimbewohner 86 Jahre alt. Die sagen erst einmal, so etwas brauchen wir nicht mehr“. Es ist daher viel Überzeugungsarbeit nötig, um sie in den virtuellen Raum zu locken. Ein Arbeitskreis Digitalisierung, in dem Kuhn mitarbeitet, soll jetzt die personellen und technischen Voraussetzungen klären. „Nötig sind altersadäquate Vorbilder. Es bringt nicht viel, wenn ein 20-jähriger einem hochbetagten Menschen die Bedienung eines Laptops erklärt“, meint Kuhn. Hoffnung machen ihr die Ehrenamtlichen und Ombudspersonen der BIQ. Viele sind im höheren Alter und konnten sich bisher nicht so recht mit digitalen Medien anfreunden. Corona hat das geändert. Jetzt sind die meisten hoch motiviert und wären als Lotsinnen ideal. Ohne solche Begleiter laufen auch gutgemeinte Schenkungen von Tablets ins Leere. Geradezu vorbildhaft handelte daher die Hessische Landesregierung, als sie vergangenes zusätzlich zu 10.000 kostenlosen Tablets für stationäre Pflege-, Alten- und Behinderteneinrichtungen auch Einstiegshilfen für die Bedienung ankündigte.
Mittlerweile ist in einigen Heimgesetzen der Länder das Recht auf einen Internetzugang festgeschrieben. So steht zum Beispiel in der Ausführungsverordnung zum Hessischen Gesetz über Betreuungs- und Pflegeleistungen: „Jeder Wohnplatz soll über einen Telekommunikationsanschluss, der die Nutzung von Rundfunk, Fernsehen, Telefon und Internet ermöglicht, verfügen“. Auch für Nordrhein-Westfalen bestimmt das Wohn-und Teilhabegesetz (WTG), dass Individual- und Gesellschaftsräume einen Internetzugang haben sollen.
Doch die Gesetze sind ein bisschen wie zahnlose Tiger. Zum einen gilt das Recht auf Internet zum Teil nur bei neu erbauten Einrichtungen. Zum anderen müsste ein Bewohner oder eine Bewohnerin den Anspruch auch rechtlich durchsetzen, sprich vor Gericht, einklagen.
Das hat bisher, soweit bekannt, noch niemand gewagt. Helfen würde natürlich ein Zukunftsprogramm ähnlich wie es für die Krankenhäuser mit einem Umfang von 4,3 Milliarden Euro aufgelegt wurde.
„Doch leider hat die Pflege keine starke Lobbygruppe. Und im Bundesministerium für Gesundheit ist man der Meinung, in der Richtung alles Nötige getan zu haben.“
Roland Weigel
1 comment
Ist nicht in jeder stationären Einrichtung für Verwaltungs- und Kommunikationsprozesse von Leitungs- und Arbeitsebenen WLAN vorhanden? Ich denke schon.
Eigentlich sollte es doch auch selbstverständlich sein, dass ohne wenn und aber auch Bewohnerinnen und Bewohnern eines Heimes im 21. Jahrhundert ein Internetzugang zur Verfügung steht.
Das hat natürlich etwas mit Geld und Zuständigkeiten zu tun. Es gibt für diese Dienstleistung in der Regel keine Kostenstelle und keine Festlegung der Zuständigkeit. Das muss geregelt werden.
Unsere Heime sind noch nicht vorbereitet auf einen Generationswechsel.
Künftig werden Bewohnerinnen und Bewohner von Heimen und ihre Angehörigen sich wohl zunehmend als Kunden sehen und Forderungen an ein Dienstleistungssegment stellen, in das sie viel privates Geld geben.
Da wird es nicht mehr ausreichen, dass von Verbänden und anderen Strukturen “für” sie gefordert wird: Sie werden selbst (!) fordern.