Eva Luise Köhler übernahm während der Amtszeit ihres Mannes als Bundespräsident die Schirmherrschaft der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) e. V. 2006 initiierte das Paar zudem die Gründung der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung für Menschen mit Seltenen Erkrankungen, die sich für gezielte Forschungsförderung einsetzt. Weitere Infos unter www.elhks.de und www.achse-online.de. Eva Luise Köhler spricht mit dem CareTRIALOG über ihre Stiftungsarbeit sowie auch über die seltene Augenerkrankung Retinitis pigmentosa (RP) und nimmt dabei Bezug zur „Woche des Sehens“, die vom 8. bis 15. Oktober stattfindet (www.woche-des-sehens.de/).
Gemeinsam mit Ihrem Mann haben Sie vor über zehn Jahren die „Eva Luise und Horst Köhler Stiftung für Menschen mit Seltenen Erkrankungen“ ins Leben gerufen. Gab es einen bestimmten Auslöser? Und was sind die ausgewiesenen Ziele der Stiftung?
Eva Luise Köhler: Schon zu Beginn der ersten Amtszeit meines Mannes habe ich die Schirmherrschaft der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) e. V. übernommen und ich bin immer noch sehr gern Schirmherrin der ACHSE, die sich mit viel Engagement als Dachorganisation für die Interessen der Patientenselbsthilfe im Bereich der „Seltenen“ einsetzt. In vielen Begegnungen habe ich als Schirmherrin miterlebt, welche Sorgen und welche Verzweiflung es mit sich bringt, wenn beispielsweise ein Baby mit Glasknochen zur Welt kommt oder ein Kind mit einer Haut leben wird, die so verletzlich wie ein Schmetterlingsflügel ist oder die Diagnose heißt: Du wirst blind werden und es gibt kein Medikament und keine Therapie, die das aufhalten können. Ich habe die Sorge geteilt, dass plötzliche Symptome auftauchen, die kein noch so bemühter Spezialist deuten kann, und auf der Suche nach Antworten eine belastende Odyssee von Klinik zu Klinik beginnt. Ich habe aber auch die unbändige Freude und Dankbarkeit teilen dürfen, wenn es irgendwann doch Hoffnung auf Linderung und manchmal sogar auf Heilung gibt.
Leider stehen derzeit nur für die wenigsten der rund vier Millionen Menschen, die allein in Deutschland von einer seltenen Erkrankung betroffen sind, ausreichende Therapieoptionen zur Verfügung.
Stellen Sie sich das einmal vor: vier Millionen Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen – das entspricht der Gesamteinwohnerzahl von Hamburg, München, Freiburg und Leipzig – mit schwerwiegenden, oft lebensverkürzenden Krankheiten können mitten unter uns nicht angemessen medizinisch versorgt werden.
Das wollen wir mit unserer Stiftung ändern und dafür arbeiten wir: Forschung fördern, Spezialisten vernetzen und die Öffentlichkeit für die besonderen Herausforderungen von Menschen mit seltenen Erkrankungen sensibilisieren. Schließlich hat jeder Mensch das gleiche Recht auf Gesundheit oder wenigstens auf Linderung seiner Leiden, ganz unabhängig davon ob es diese Krankheit häufig oder nur sehr selten vorkommt.
Wie kann es sein, dass in einem der besten Gesundheitssysteme der Welt Millionen von Patientinnen und Patienten nicht ausreichend medizinisch versorgt werden?
Eva Luise Köhler: Nach Expertenschätzungen gibt es etwa 8.000 seltene Erkrankungen und es werden täglich mehr. Da kann man sich ungefähr ausrechnen, wie viele Patientinnen und Patienten jeweils von einer einzelnen dieser Krankheiten betroffen sind – auch wenn sich die einzelnen Krankheitsbilder natürlich nicht gleichmäßig auf die vier Millionen verteilen. Manche Syndrome sind so selten, dass die wenigen Betroffenen weit verstreut leben und nichts voneinander ahnen: einer wohnt in München, eine andere in der Eifel, eine Familie lebt in Braunschweig, die andere in Chemnitz. Und oft wissen die Menschen ja nicht einmal, was sie haben. Denn finden Sie in dieser Situation mal einen Arzt, der sich auskennt und überhaupt eine zutreffende Diagnose stellen kann! Von einer Therapie wollen wir gar nicht reden.
Medizinische Forschung ist hier also bitter nötig.
Aber durch die geringen Fallzahlen sind beispielsweise die notwendigen klinischen Studien, die vor Zulassung eines Medikamentes erfolgen müssen, so aufwändig und teuer, dass bei seltenen Erkrankungen die üblichen Marktmechanismen nicht funktionieren.
Deshalb haben die Arzneimittelbehörden vor einigen Jahren spezielle Programme eingeführt, welche die Zulassungskriterien lockern und Anreize für die Hersteller so genannter „orphan drugs“ schaffen. Seither steigen glücklicherweise die Zulassungszahlen von Medikamenten, die zur Behandlung seltener Erkrankungen eingesetzt werden können.
Dennoch braucht es an dieser Stelle auch unser zivilgesellschaftliches Engagement. Genau da setzt die Eva Luise und Horst Köhler Stiftung an. Und ich sage bewusst „die Stiftung“, weil es ohne die kompetente Arbeit unserer ehrenamtlichen Beirats- und Vorstandsmitglieder nicht gehen würde. Wir sind sehr glücklich, dass wir mit Frau Prof. Dr. Annette Grüters-Kieslich eine international renommierte Spezialistin als Vorstandsvorsitzende gewinnen konnten. Sie kämpft seit Jahrzehnten dafür, dass auch seltene Erkrankungen in den Fokus der Forschung rücken und die Betroffenen endlich am medizinischen Fortschritt teilhaben können.
Wie wollen Sie mit Ihrer Stiftung die medizinische Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen verbessern?
Eva Luise Köhler: Mit dem Eva Luise Köhler Forschungspreis zeichnen wir nun bereits zum zwölften Mal ein besonders innovatives Forschungsprojekt im Bereich der „Seltenen“ aus. Seit einigen Jahren veranstalten wir zudem rund um die Preisverleihung auch ein wissenschaftliches Symposium, um Forschungsteams zu vernetzen den Wissenstransfer zu befördern. Relativ neu ist auch unser Stipendiatenprogramm, mit dem wir jungen Ärztinnen und Ärzten, die sich auch wissenschaftlich mit einer seltenen Erkrankung auseinandersetzen wollen, den nötigen Freiraum innerhalb des Klinikalltags verschaffen. Wir haben noch viele Ideen und wollen die Arbeit unserer Stiftung in den nächsten Jahren langsam aber stetig weiter ausbauen. Auf unserer Website können Sie sich einen guten Eindruck davon verschaffen, welche Projekte wir anschieben.
Was bedeutet bzw. wie definiert sich eigentlich der Begriff „Seltene Krankheiten“?
Eva Luise Köhler: Eine Erkrankung gilt dann als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen betroffen sind. Zu den seltenen Krankheiten mit der weitesten Verbreitung – und damit auch zu den bekanntesten – zählt beispielsweise die Mukoviszidose. Aber auch Retinitis pigmentosa (RP) mit einer Prävalenz von 1 zu 5.000 bis 1 zu 3.000 gehört dazu.
Wie machen sich erste Krankheitserscheinungen dieser erblichen Erkrankung der Netzhaut bemerkbar?
Eva Luise Köhler: Retinitis pigmentosa verläuft oft schleichend und kann zum vollständigen Erblinden führen. Je nach Ausprägung verengt sich das Gesichtsfeld. Sie können sich das so vorstellen: Am Anfang schauen Sie wie durch ein Ofenrohr, dann wird der Ausschnitt immer kleiner bis er so winzig ist wie ein Strohhalm vor dem auch noch ein Butterbrotpapier klebt. Irgendwann ist auch dieses Röhrchen nicht mehr da und auch kein Butterbrotpapier mehr.
RP kann schon im Kindergartenalter einsetzen. Oft denken Eltern, Kindergärtner oder Lehrerinnen zunächst, dass das Kind vielleicht unaufmerksam ist, einfach nicht richtig hinguckt und deshalb über den Stuhl gestolpert oder vom Rad gefallen ist. Außerdem sind Kinder wunderbar im Improvisieren. Aber irgendwann fällt es dann doch auf, spätestens wenn ein Kind das Buch ganz nah vors Gesicht hält und trotzdem Schwierigkeiten hat die Buchstaben zu entziffern.
Wie kann man in unserer Gesellschaft eine bessere Sensibilisierung zur Erkennung von RP und anderen Erkrankungen der Augen erreichen?
Eva Luise Köhler: Informationskampagnen wie die „Woche des Sehens“ leisten einen wertvollen Beitrag, um ein stärkeres Bewusstsein für seltene Erkrankungen des Auges zu erreichen. Deshalb ist es schön, dass auch CareTRIALOG hier mitmacht.
Was raten Sie betroffenen Eltern? Wie geht man am besten als Eltern mit einer solchen Diagnose um?
Eva Luise Köhler: Jeder Mensch geht anders mit Dingen um, die in sein Leben einbrechen. Deshalb fällt es mir schwer, etwas Allgemeingültiges zu raten. Aber ich denke es ist im Interesse des erkrankten Kindes, nach dem ersten Schock schnell wieder auf die Beine zu kommen und die Herausforderung anzunehmen. Damit meine ich, dass man in gewisser Weise selber zum Experten werden muss. Daher möchte ich vielleicht am ehesten raten: Seien Sie hartnäckig, seien Sie geduldig, seinen Sie kreativ, um herauszufinden, wie Sie Ihrem Kind am besten helfen können und vor allem: Vernetzen Sie sich mit anderen Betroffenen. In Patientenorganisationen finden Sie Unterstützung in vielen praktischen Fragestellungen und viele Informationen laufen dort zusammen. Es ist immer gut, am Ball zu bleiben, weil die Forschung manchmal nach scheinbar ewigem Stillstand einen Quantensprung macht – und ich hoffe, dass wir mit unserer Stiftung hier helfen können. Aber wenn der Quantensprung auf sich warten lässt, bedeutet dies nicht, dass das ganze Leben deshalb für immer zum Stillstand kommen muss. Es werden natürlich immer Herausforderungen da sein, die besonders sind und die auch ihren Tribut fordern, aber – so banal es klingen mag – das Leben geht weiter.
Aus Ihrer Erfahrung in der Stiftungsarbeit heraus: Wie hat sich die gesellschaftliche Wahrnehmung und der Umgang mit sehbehinderten Menschen in den vergangenen Jahren verändert? Wie können der Umgang und die Inklusion sehbehinderter Menschen zukünftig (noch) besser gelingen?
Eva Luise Köhler: Ehrlich gesagt spreche ich nicht von Umgang mit Menschen, sondern vom Miteinander. Das heißt allerdings nicht, dass Menschen im Miteinander nicht oftmals hinten runterfallen. Inklusion halte ich hier ebenfalls für einen schwierigen Begriff, schließlich wird mit ihm gleichzeitig zugegeben, dass jemand der durch eine seltene Erkrankung langsam erblindet, oder durch einen Autounfall ganz schnell, auf einmal ausgeschlossen wird.
Als Gesellschaft haben wir uns auf den Weg gemacht, Menschen in ihrer Vielfalt und Einzigartigkeit wahrzunehmen und anzuerkennen. Allerdings liegt hier noch eine lange Strecke Weges vor uns. Doch jeder und jede kann hier kreativ mitdenken, mal die Perspektive wechseln und sich praktisch einbringen. Lassen sie mich an dieser Stelle auf Verena Bentele hinweisen, die als blinde Biathletin viele Medaillen für Deutschland geholt hat und als Beauftragte der Bundesregierung für Menschen mit Behinderung einiges bewegen konnte. Seit 2018 leitet sie als Präsidentin den Sozialverband VDK. Verstehen Sie mich nicht falsch, das heißt natürlich nicht, dass jeder Mensch, der blind oder sehend ist, so erfolgreich und stark sein muss wie Verena Bentele. Das wäre verrückt und ich selbst bin es auch nicht. Aber sie gehört zu den Menschen, die auf dem langen Weg vor uns, hilft die Richtung zu weisen.
Herzlichen Dank für die Beantwortung unserer Fragen!