Die Neurobiologin Helen Morrison forscht am Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI, www.leibniz-fli.de/de/) mit ihrer Forschungsgruppe zum Thema Nervenregeneration und ist Professorin für „Neurobiologie des Alterns“ an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Gemeinsam mit Prof. Dr. Klaus Lieb, Wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung (LIR) in Mainz, ist sie Sprecherin des Leibniz-Forschungsverbundes „Altern und Resilienz“. Co-Sprecher sind Prof. Dr. Oliver Tüscher (LIR) und Prof. Dr. Jean Krutmann, Wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für umweltmedizinische Forschung in Düsseldorf. Insgesamt haben sich 15 Leibniz-Forschungsinstitute in dem Forschungsverbund zusammengeschlossen (www.leibniz-gemeinschaft.de/forschung/leibniz-forschungsverbuende/altern-und-resilienz). 

Wann beginnen Menschen eigentlich zu altern?

Prof. Helen Morrison: Wir alle wachsen und altern mehr oder weniger im gleichen Tempo, bis wir Ende zwanzig bis Mitte dreißig sind. Zu diesem Zeitpunkt ist unser Körper voll ausgereift, wir haben den Zenit erreicht und sind geistig voll auf der Höhe. Danach erleben die meisten Menschen einen Wendepunkt – sie wachsen nicht mehr, sie altern. Das biologische Altern ist durch einen kontinuierlichen Rückgang der physiologischen Integrität des Organismus gekennzeichnet, der zur Beeinträchtigung der Organfunktionen führt und anfällig macht für gesundheitliche Einschränkungen und für Krankheiten. Dennoch haben Menschen das Potenzial, in Gesundheit alt zu werden.

In der Forschung gibt es gerade einen echten Paradigmenwechsel. Wir konzentrieren uns heute nicht mehr allein auf die Frage, was nicht mehr funktioniert, wenn der Organismus altert, sondern wir haben Anhaltspunkte dafür, dass Menschen Resilienz gegenüber diesen Alterungsprozessen zeigen.

Was genau bedeutet resilientes Altern?

Prof. Helen Morrison: Der Alterungsprozess wird angetrieben durch die Anhäufung genetischer und molekularer Schäden (interne Stressfaktoren), was unter anderem durch Stoffwechselaktivität verursacht wird. Einflussgrößen wie psychosozialer Stress, Lebensstil und Umweltfaktoren modulieren wiederum als externe Stressfaktoren diese biologischen Vorgänge. Das Konzept der Resilienz, das ursprünglich aus der psychosozialen Forschung kommt, wurde auf die biologische Forschung zum Altern ausgedehnt.

Und in diesem Zusammenhang bedeutet Resilienz, dass Menschen prinzipiell über das Potenzial verfügen, trotz dieser internen und externen Stressfaktoren, die das Altern begleiten können, gesund zu bleiben.

Was bedeutet dies auf der Ebene der Zellen und des Gewebes? Unter bestimmten Bedingungen verfügen Zellen und Gewebe über eine besonders gute Fähigkeit, solchen intrinsischen oder extrinsischen Alterungsfaktoren entweder vorzubeugen oder Anpassungsmechanismen zu entwickeln. Diese Reaktionen sind Schutzmechanismen, die den Funktionsverlust während des Alterungsprozesses abpuffern und so die Organ- und Zellfunktionen stabilisieren, was gesundes Altern begünstigt. So bleiben beispielsweise bei 20 Prozent der älteren Menschen die kognitiven Fähigkeiten vollumfänglich erhalten.

Resilientes Altern heißt, dass die Zell- und Organfunktionen auf dem Funktionsniveau bestehen bleiben, das mit der reproduktiven Lebensphase von Erwachsenen vergleichbar ist – der Alterungsprozess wird also abgebremst.

Welche Faktoren und Mechanismen tragen maßgeblich zum resilienten Altern bei? 

Prof. Helen Morrison: Ob jemand zu den älteren Menschen gehört, die trotz biologischer Alterungsmerkmale praktisch keine Verschlechterung ihrer kognitiven Fähigkeiten erfahren, die also – wie im Beispiel oben – resilient gegenüber der Hirnalterung sind, hängt von vielen Einflussfaktoren ab.

Dazu gehören genetische Veranlagungen, bestehende gesundheitliche Probleme, Ernährung und Lebensstil, aber auch Umwelteinflüsse sowie Einkommen und Bildung, die Rolle des sozialen Status und die Anerkennung, die ein Mensch in der Gesellschaft erfährt.

Wir kennen die zugrunde liegenden Mechanismen aber noch nicht – wir sehen nur, dass ein Teil der älteren Bevölkerung offenbar resilient ist. Deshalb haben wir den Leibniz-Forschungsverbund „Altern und Resilienz“ gegründet. Wir brauchen die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, um gemeinsam in integrativen Projekten zu forschen mit dem Ziel, die Determinanten dieser Anpassungsfähigkeit als mögliche Schlüsselmechanismen für resilientes Altern zu identifizieren. 

Können Sie Beispiele nennen, wo Resilienz im Alter altersbedingte Einschränkungen gemildert hat oder wo Resilienz altersbedingte Krankheiten verlangsamt hat? 

Prof. Helen Morrison: Wie bereits erwähnt, haben Studien gezeigt, dass bestimmte ältere Menschen selbst dann ihre kognitiven Fähigkeiten behalten, wenn die mit Demenz verbundenen Beta-Amyloid-Plaques in ihrem Gehirn nachgewiesen wurden. Es handelt sich vermutlich um Resilienzmechanismen, die nicht nur im Gehirn, sondern in allen anderen Organen vorkommen. Mit dem Leibniz-Forschungsverbund wollen wir diese Mechanismen in allen Organen nachweisen.

Dazu benötigen wir Daten aus der biologischen Grundlagenforschung, die wir mit Daten aus Gesundheitsstudien und aus sozioökonomischen Langzeituntersuchungen kombinieren, um dann resiliente und nicht-resiliente Alterungsverläufe herauszudestillieren. 

Kann man Resilienz lernen? Wie kann man Resilienz lernen?

Prof. Helen Morrison: Ja und Nein. Psychologische und neurokognitive Resilienzmechanismen sind dynamisch und modifizierbar, das heißt, sie können wahrscheinlich in einem gewissen Umfang erlernt werden. Denkstile wie die positive Neubewertung sind mögliche Wege, psychologische Resilienz zu erlernen. Zelluläre and metabolische Resilienzmechanismen lassen sich hingegen nur schwer „erlernen“. Es handelt sich wahrscheinlich um körpereigene biologische Puffermechanismen, die resilientes Altern begünstigen. Auch hier wissen wir noch nicht, wie diese Mechanismen aussehen und welche Faktoren sie positiv oder negativ beeinflussen. Hätten wir ein umfassendes Wissen über diese resilienten Lebensverläufe, wüssten wir, wie wir sie fördern können. Man kann aber vermuten, dass Menschen, die unter sozialer und wirtschaftlicher Not leiden oder ein Leben lang mit Umweltschadstoffen und Giften konfrontiert sind, mit der Zeit ihre Resilienz einbüßen, dass also diese Puffermechanismen erodieren.

Resilienz begünstigen, ist also nicht nur eine Frage des individuellen Verhaltens, sondern auch eine Frage von sozialen und politischen Lösungen. 

Was sind die nächsten Schritte/Ziele Ihrer Resilienzforschung? 

Prof. Helen Morrison: Wir haben den Leibniz-Forschungsverbund „Altern und Resilienz“ gerade erst Anfang 2022 gegründet und ein großartiges interdisziplinäres wissenschaftliches Team zusammengestellt. Jetzt sind wir soweit, dass wir unsere Längsschnittdaten zusammenzuführen können, um zu sehen, ob wir darin so etwas wie resilientes Altern identifizieren können. Es spielt keine Rolle, ob jemand Biologin ist – so wie ich – oder aber Psycholog:in, Soziolog:in oder Wirtschaftswissenschaftler:in – alle Kolleg:innen in unserem Team werden nach Markern oder Prädiktoren für gesunde oder ungesunde Alterungsverläufe suchen. Die Ergebnisse werden dann nicht nur für die einzelnen Menschen wichtig sein, damit sie verstehen, wie man Resilienz fördern kann, sondern auch für die politischen Entscheidungsträger:innen. Ihnen können sie den Weg weisen, wenn es darum geht Gesundheits- oder Sozialpolitik zum Nutzen der Bevölkerung und der Gesellschaft als Ganzes weiterzuentwickeln.

Denn eine Bevölkerung, die gesund altert, hilft auch, Ressourcen zu sparen. 

Herzlich Dank für die Beantwortung unserer Fragen.

Fotocredit: FLI/Anna Schroll

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