Martin Rütter wurde am 22. Juni 1970 in Duisburg geboren. Mit mehr als 25 Jahren Berufserfahrung ist er einer der erfolgreichsten Hundeexperten im deutschsprachigen Raum. Daher kennt man Martin Rütter eigentlich vor allem als „Hundeprofi“ aus dem Fernsehen oder von seinen Liveshows. Vor einigen Jahren machte er die Demenzerkrankung seiner Mutter publik.

Ihre Mutter ist leider mittlerweile verstorben, sie litt an Demenz. Wann haben Sie zum ersten Mal bemerkt, dass etwas mit ihr „etwas nicht stimmt“? Wann traten erste Symptome auf?

Martin Rütter: Meine Mutter litt an frontotemporaler Demenz. Diese Form der Demenz zerstört innerhalb des Gehirns die sozialen Kompetenzen und bringt es mit sich, dass die Betroffenen oft nicht mehr sozial adäquat reagieren können. Die Diagnose erhielten wir vor etwa zehn Jahren. Ich bin aber der Meinung, dass meine Mutter bereits viel früher erkrankt ist. Um ehrlich zu sein, hatte ich diesen Eindruck bereits von Kindesbeinen an. Meine Mutter hat schon damals Dinge gemacht, die sehr ungewöhnlich waren. Nehmen wir ein Beispiel: Wenn meine Mutter auf der Trauerfeier meiner verstorbenen Cousine deren Mutter mit den Worten „Ja, ich kann verstehen, wie traurig du bist, der Martin ist ja auch nicht oft Zuhause.“ trösten will, dann ist das schon bizarr. Von solchen Erlebnissen könnte ich Ihnen Hunderte schildern. Eingeprägt hat sich auch ein Erlebnis bei einer meiner Liveshows vor etwa 15 Jahren. Da war sie, neben 3.000 anderen Menschen, im Publikum und ging fünf Minuten vor Showbeginn an der Security vorbei auf die Bühne und fing an, die Menschen in der ersten Reihe zu beschimpfen. „Ich bin die Mutter von Martin Rütter, bitte verlassen Sie die erste Reihe, denn hier sitzt nur die Familie“, warf sie den Menschen entgegen. Das war natürlich völlig absurd, auch, weil meine Familie noch nie in der ersten Reihe gesessen hat.

Dieses sozial völlig unangemessene Verhalten gab es also schon viele Jahre.

Wie äußerte sich die fortschreitende Demenz, wie hatte sich Ihre Mutter (psychisch und physisch) verändert?

Martin Rütter: Sie hatte sich sehr massiv und radikal verändert.

Sie wurde von einem total extrovertierten zu einem introvertierten Menschen.

Von daher kann man sagen, dass eine völlige Veränderung der Persönlichkeit stattgefunden hat.

Wie gingen Sie als Angehöriger mit der belastenden Situation um bzw. wie wirkte sich die Demenz auch auf die Angehörigen aus?

Martin Rütter: Zu Anfang will man es einfach nicht wahrhaben. Man ist ein aufgeklärter, halbwegs gebildeter Mensch, liest etwas über diese Erkrankung und denkt sich: Nein, bei uns ist das bestimmt anders, die Mama ist jetzt einfach etwas tüddelig geworden.

Ich persönlich war auf eine Art auch erleichtert, diese Diagnose zu hören. Denn sie hat für mich einige der eben beschriebenen Vorkommnisse erklärt.

Wir konnten Dinge, an denen wir uns immer gerieben haben, plötzlich einordnen. Auf die Erleichterung folgten dann recht schnell natürlich auch die Traurigkeit und die Verzweiflung aufgrund dieser Diagnose. Das ist natürlich schon etwas, was einen wahnsinnig traurig macht, wenn man so mitangucken muss, wie es der eigenen Mutter zunehmend schlechter geht.

Ihre Mutter wurde in einem Pflegeheim betreut. Wann fiel die Entscheidung, Ihre Mutter im Pflegeheim unterzubringen? Fiel Ihnen die Entscheidung sehr schwer?

Martin Rütter: Meine Mutter wurde in einem Pflegeheim betreut, weil ein ganz durchschnittliches Alltagsleben für sie schon gar nicht mehr möglich war.

Das Entscheidende war eigentlich, dass wir alle gespürt haben, dass die Pflege zu Hause ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr möglich war.

Davor gab es – ganz klar – unterschiedliche Positionen. Wir haben unheimlich viel gestritten, viel Porzellan zerdeppert. Aber, das ist ganz normal, ganz typisch. Alle waren überfordert. Mit der Zeit erkannten wir aber, dass wir ihr nicht mehr gerecht werden konnten. Es hat echt lange gedauert, bis wir uns das eingestanden haben, dass ein Pflegeheim die beste Lösung ist. Rückblickend war das eine absolut richtige Entscheidung, denn sie fühlte sich dort wohl und angekommen.

Gibt es Dinge, die Sie ganz persönlich aus der Diagnose Demenz Ihrer Mutter mitnehmen? Was hat Sie die Krankheit gelehrt?

Martin Rütter: Natürlich wünscht man sich jetzt nicht, dass die Mutter eine solche Diagnose bekommt, aber ich habe das Gefühl, dass uns die Demenz als Familie enger zusammengeschweißt hat.

Sicherlich ist der Schrecken einer Demenz groß, aber wir hatten nach der Diagnose auch unheimlich viel Spaß zusammen, es gab wahnsinnig viele lustige Momente.

Und ich konnte und kann, wie bereits gesagt, ihr oftmals ungewöhnliches Verhalten von früher, viel besser einschätzen.

In der TV-Sendung „Die Höhle der Löwen“ haben Sie den Therapieball ichó eines Duisburger Start-ups vorgestellt. Was macht diesen Demenzball besonders, und welche Erfahrungen haben Sie bzw. Ihre Mutter damit gemacht?

Martin Rütter: Ich bin erstmalig bei den Dreharbeiten zu meiner VOX-Reportage „Demenz – Wenn der Mensch im Kopf verloren geht“ auf ichó aufmerksam geworden. In diesem Rahmen traf ich in einem Seniorenzentrum auf das Team von ichó und lernte diesen – für meine Begriffe – magischen Therapieball kennen. Meine anfängliche Skepsis war sofort verflogen, als ich die hoch emotionalen Reaktionen der demenziell veränderten Bewohnerinnen und Bewohner auf ichó erlebte. Lachen, Tanzen, Singen, alles war plötzlich wieder da. ichó ist einfach eine echte Bereicherung für Betroffene und Angehörige, aber auch für Pflege- und Betreuungskräfte in der Altenpflege.

ichó half auch unserer Familie, besser mit der Demenz meiner Mutter umzugehen. 

Was möchten Sie Angehörigen und Demenzbetroffenen raten?

Martin Rütter: Bitte nicht zu zögern, wenn es darum geht, professionelle Hilfe zu suchen! Das ist meine Kernbotschaft.

Herzlichen Dank für die Beantwortung unserer Fragen.

Fotocredit: Ralf Jürgens

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