In den letzten Jahren galten Gesundheitsimmobilien als sicheres und renditestarkes Investment. Insbesondere im Pflegebereich schien die Nachfrage ungebrochen. Der demographische Wandel zeigt einen weiter steigenden Bedarf an. Die soziale Komponente bei den ESG-Kriterien schien diese Nachfrage für Investoren noch zu beflügeln. Jetzt aber erreichen uns mehrere Meldungen zu Insolvenzverfahren von großen Betreibergesellschaften und Projektentwicklern. Die Finanzierungsbedingungen verschlechtern sich, die Kosten für Baumaterial, Energie kennen in den letzten Jahren nur eine Richtung. Hinzu kommt ein Fachkräftemangel, der sich auf fast jede Branche auswirkt. Gleichzeitig entbrennt wieder die Diskussion um die Zukunft der Pflege und die Bedeutung von privaten Investoren und privaten Betreibergesellschaften. Wie gehen Akteure aus diesen Bereichen mit dieser Gemengelage um? Wie beurteilen sie die aktuelle Lage? Und vor allem: Wie sieht der Ausblick aus? Wir haben mit einem Immobilienentwickler für Pflegeeinrichtungen und Betreutes Wohnen sowie einem Investmentmanager für institutionelle Investoren gesprochen. 

Im Interview: Daniel Wolf, Managing Director AIF Management GmbH (links im Bild) / Günther Marzog, Geschäftsführer BayernCare (Mitte) / Christopher Kunze, Geschäftsführer BayernCare (rechts im Bild)

Daniel Wolf, spüren Sie bei Ihren Investoren eine Verunsicherung angesichts der derzeitigen Situation im Pflegebereich? Sind Gesundheitsimmobilien denn eigentlich nach wie vor gefragt? Gibt es angesichts der Problemlagen im Pflegebereich und bei Projektentwicklern sowas wie eine Produktknappheit?

Daniel Wolf: Selbstverständlich spüren wir seitens der Investoren große Unsicherheiten angesichts der Nachrichten von Insolvenzverfahren großer Betreibergesellschaften und der Schließung einzelner Einrichtungen. Dennoch sprechen die fundamentalen Daten eine andere Sprache: Keine andere Assetklasse hat zurzeit so positive Vorzeichen wie der Healthcare Sektor. Damit sind Investments in diesem Bereich, vor allem auf langfristige Sicht, äußerst attraktiv. Was wir zusätzlich nicht vergessen dürfen: Trotz der Insolvenzmeldungen werden nur wenige Häuser auch tatsächlich geschlossen. Und wenn eine Schließung unumgänglich ist, ist das häufig bei den Häusern der Fall, die ohnehin strukturelle Probleme aufweisen, da sie nicht den aktuellen Standards (veralteter Zustand, Mehrbettzimmer, zu wenige Sanitärräumlichkeiten, etc.) genügen. Die Risiken lassen sich als Asset-Manager oder Investor sehr gut kalkulieren und ausräumen. 

Im Bereich Neubau kommt definitiv eine Produktknappheit auf uns zu.

Um den Bedarf an Gesundheitsimmobilien zu decken, benötigen wir ca. 150 neue Pflegeheime pro Jahr; selbst in Boomzeiten (wie beispielsweise 2022) lagen wir nur bei 80 Fertigstellungen. Diese werden nun weiter zurückgehen. Im Bestand gibt es derzeit jedoch ein hohes und attraktives Angebot. 

Günther Marzog, die Bau- und Immobilienwirtschaft hat Boom-Jahre mit geringen Zinsen hinter sich. Die Branche hat sich im Oktober zur größten europäischen Messe in München getroffen. Was nehmen Sie als Immobilienentwickler für sich mit und auf was stellt sich die Branche in den kommenden Jahren ein? 

Günther Marzog: Die Erwartungen vor der Expo waren verhalten, aber das hat sich nicht bestätigt. Es waren erkennbar weniger Stände als in den Vorjahren, allerdings wurden die Freiflächen stark als Gesprächsräume für den fachlichen Austausch genutzt. Der Bedarf dafür war ganz klar da. Es gab auch deutlich mehr Vorträge und Podiumsdiskussionen zum Thema Seniorenwohnen, was die Nische Seniorenimmobilien in den Fokus rückt – auch wenn die Politik noch keine ausreichenden Antworten auf die aktuellen Herausforderungen gibt.

Christopher Kunze, wie gehen Sie als Projektentwickler mit den aktuellen Herausforderungen um? Wirkt sich die Situation von Betreibergesellschaften zusätzlich auf Sie als auf das Healthcare-Segment spezialisierter Projektentwickler aus und wie reagieren Sie darauf?

Christopher Kunze: Keine Frage, die aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind ein allgegenwärtiges Thema und erschweren das Geschäft. Gerade deshalb setzen wir auf langjährige Partnerschaften sowie verlässliche und verbindliche Betreibergesellschaften, die an verschiedenen Standorten aktiv sind und über einen entsprechenden Track Record verfügen. Wir haben zudem unsere Produkte bereits vor 2014 zu hohen Zinsen verkauft. Auch hier war das Zinsniveau deutlich höher als in den letzten Jahren. Insgesamt sind wir deshalb zuversichtlich und optimistisch, ohne realitätsfern zu sein. Wie wir unsere Senioren in Zukunft versorgen, ist und bleibt eine zentrale Frage in unserer Gesellschaft. 

Gesundheits-, vor allem Pflegeimmobilien galten in den letzten Jahren als stabile und weiter aufstrebende Assetklasse. Wie geht es jetzt weiter, sehen wir angesichts der vielfältigen Problemlagen jetzt eine Trendwende oder ist das Feld weiter zukunftsfest? 

Daniel Wolf: Auf dem Transaktionsmarkt sehen wir, wie bei allen Assetklassen, aktuell eine deutliche Zurückhaltung der Marktteilnehmer – diese Zeit bietet in unseren Augen jedoch auch Chancen.

Wir sind weiterhin von der Assetklasse überzeugt. Die Assetklasse wird schon allein aufgrund der Nachfragesituation attraktiv bleiben. Aus Investorensicht werden sich die Unsicherheiten auflösen, hierfür spielt vor allem ein gutes Asset-Management eine wesentliche Rolle. Wichtig ist deshalb, eine zukunftsfähige Nutzung der Einrichtung zu ermöglichen, wobei das Betreiberkonzept ein wesentlicher Baustein ist. Wir haben den Anspruch, dass sich Betreiber vollkommen auf Ihre Kernkompetenz konzentrieren können. Die Lage von Betreibergesellschaften ist durch die Schlagzeilen über Insolvenzverfahren in breiter Öffentlichkeit angekommen und damit die Problemlagen auch hinlänglich an die Politik adressiert. Wir gehen deshalb davon aus, dass Pflege mehr als je zuvor auf der politischen Agenda steht.

Gibt es eigentlich die klassische Pflegeimmobilie noch oder befinden wir uns längst auch in diesem Bereich in einer Transformation? Und welches Segment sehen Sie in Zukunft weiterwachsen? Wie positionieren Sie sich?

Daniel Wolf: Deutschlands Bevölkerung wird älter. Das bedeutet auch, dass die Zahl der pflegebedürftigen Menschen stark zunehmen wird. Gesellschaftlich müssen wir uns deshalb schon jetzt die Frage stellen, wie die Versorgung der Zukunft aussehen soll.  Klar ist auch, dass die Lebenslagen der älteren Generationen höchst unterschiedlich sind und sich die Angebote von vollstationärer Pflege bis zum Senior Living mit Serviceangeboten weiter ausdifferenzieren werden. Manche Konzepte sind dann der Assetklassen „Wohnen“ deutlich näher als dem klassischen vollstationären Pflegeangebot. Dennoch wird die vollstationäre Pflege auch langfristig eine wesentliche Säule der Versorgung sein. Wir sehen durch die Ausdifferenzierung der Angebote weiter enormes Wachstumspotential, weswegen wir auch unsere Investitionsstrategie dahingehend ausrichten.

Günther Marzog: Der Bereich der Pflegeimmobilien transformiert sich und passt sich stets neuen Bedingungen an.

Wir sehen vermehrt einen Trend hin zu betreutem Wohnen, Senioren-WGs und Mehrgenerationenhäusern.

Die Generation der heute 60- bis 70-Jährigen hat andere Ansprüche und Bedürfnisse. Unser Fokus liegt auf der Entwicklung von Quartieren, die betreutes Wohnen in die Stadt integrieren, wie beispielsweise die Seniorenwohnanlage in Rosenheim zeigt. Dort verbinden wir studentisches Leben, Pflege und betreutes Wohnen mit weiteren Angeboten wie Büro, Hotel und Wohnraum für Familien. Dies schafft Synergien und verhindert, dass ältere Menschen an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.

Christopher Kunze: Es ist klar zu sehen, dass auch die Digitalisierung bei den Seniorenimmobilien angekommen ist. Auf diese steigende Nachfrage nach einer digitalen Ausrichtung von Seniorenwohnungen werden wir Projektentwickler reagieren. Das heißt beispielsweise durch den Einsatz fortschrittlicher Technologien wie Ambient Assisted Living (AAL)-Systemen und Bodensensoren die Einrichtungen zeitgemäß und zukunftsorientiert auszustatten.

Im Zuge der Insolvenzen einiger namhafter Betreibergesellschaften von Pflegeheimen und der Schließung einzelner Einrichtungen ist öffentlich die Debatte über die Rolle von privaten Pflegeheimbetreibern und privaten Investoren in diesem Bereich neu entbrannt. Wie bewerten Sie die Rolle von privaten Akteuren (Investoren, Betreiber) am Pflegemarkt? 

Daniel Wolf: Ich halte nicht viel davon, hier einzelne Akteure gegeneinander auszuspielen. Letztlich haben alle Betreibergesellschaften genauso wie die Bestandshalter die gleichen Herausforderungen zu bewältigen. Um diese Herausforderungen in der Zukunft und den großen Bedarf im Bereich der Pflege stemmen zu können, ist auch finanzielles Engagement aus dem Privatsektor ein Muss. Noch dazu sind doch gerade die Vielfältigkeit und die Wahlmöglichkeit eine der großen Stärken im Pflegemarkt. 

Günther Marzog: Dem können wir uneingeschränkt zustimmen. Wir von BayernCare bieten mit unseren Produkten sowohl im Bereich Pflege als auch im Bereich Betreutes Wohnen ganz bewusst Wohnungen im Einzelvertrieb für private Investoren an. Dies schafft eine hohe Identifikation mit den einzelnen Einrichtungen und ein hohes Maß an Sicherheit für den Kunden, auch durch die Möglichkeit der späteren Eigennutzung. So können Menschen selbstbestimmt und aktiv entscheiden, was sie in einer späteren Lebensphase für sich als Option sehen.

Hand aufs Herz, angesichts dieser schwierigen Gemengelage: Worauf kommt es jetzt an? Welche Stellschrauben sehen Sie, um die Situation zu verbessern? Und wen sehen Sie hierbei besonders in der Pflicht? 

Daniel Wolf: Ganz klar: Im engen Austausch mit den Betreibern bleiben und offen für neue Konzepte sein. In jeder Veränderung steckt auch eine Chance und genau jetzt ist die Zeit dafür! 

Die Politik muss endlich damit beginnen, Barrieren zu lösen:

Wir brauchen mehr Pragmatismus!

Verhandlungen von Pflegesätzen, die bis zu 12 Monate benötigen, dürfen nicht sein. Das Personalbemessungsverfahren (PeBeM) ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, jedoch müssen die Fachkraftquoten weiter aufgeweicht und die Bürokratie reduziert werden. Um es kurz zu sagen: Pflegekräfte sollten pflegen können. Damit wären schon sehr viele Probleme gelöst.

Christopher Kunze: Der Gesetzgeber setzt die Rahmenbedingungen und gibt die Impulse vor. Ohne diese Vorgaben und Unterstützung besteht das Risiko, dass viele Betreiber weiterhin in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Aber auch sind wir alle gefordert. Als Projektentwickler liegt unser Fokus darauf, die richtigen, bezahlbaren Grundstücke zu finden und sinnvoll zu bebauen. Wir brauchen durchdachte Planungs- und Baukonzepte, um die Kosten im Rahmen zu halten. Die Politik muss unterstützend agieren und dabei helfen, das Thema bezahlbaren Wohnraum in den Vordergrund zu rücken. Die Banken spielen ebenfalls eine wichtige Rolle; wir benötigen spezielle Förderprogramme für Pflegeplätze und Sonderabschreibungen für Pflegeimmobilien. Letztlich muss jeder seinen Beitrag leisten.

Günther Marzog: Ein weiteres großes Problem ist der Personalmangel in vielen Pflegeheimen. Wir erleben, dass Menschen mit hohem Pflegebedarf abgewiesen werden, weil qualifiziertes Personal fehlt. Es ist daher dringend notwendig, den Pflegeberuf attraktiver zu machen und die Branche besser zu positionieren. Um diesem Ziel Nachdruck zu verleihen, unterstützen wir die Forster Initiative Stiftung „Der Pflege eine Stimme geben“. Hier arbeiten wir Hand in Hand mit Betreibergesellschaften, Industrieunternehmen, Bestandshaltern, Projektentwicklern und Banken im Rahmen einer Interessengemeinschaft. 

Herzlichen Dank an Sie für die Beantwortung unserer Fragen!

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