Für das aktuelle CareTRIALOG-Thema „Cocooning“ (englisch für „sich verpuppen oder „sich einspinnen“), hat die Gerontologin und Fachjournalistin Carolin Makus die zehnte Ausgabe der Fachzeitschrift Medien&Altern unter die Lupe genommen. Diese Ausgabe widmete sich im Juni 2017 ganz dem Thema Einsamkeit. Während der Recherchen wurde deutlich, dass der facettenreiche Themenkomplex um Einsamkeit und soziale Isolation nach wie vor höchst relevant ist, wenn nicht sogar an Relevanz zugenommen hat. Im Folgenden finden Sie daher ausgewählte und kommentierte Themenschwerpunkte. Bei Interesse und dem Wunsch nach Vertiefung, finden Sie hier die genannte Fachzeitschrift.   

Gemütlichkeit ist Trumpf

Abgeschiedenheit und Rückzug haben etwas Heilsames. Wer nach Zeiten intensiver Geschäftigkeit dem Rhythmus der Großstadt, der Firma, der Großfamilie etc. entflieht, um für einige Wochen die Seele baumeln zu lassen, wird merken, wie Geist und Körper einen Gang herunter schalten. Hat man sich erst einmal an die Stille der Berge, der Insel, der Hütte auf dem Land etc. gewöhnt, löst eine innere Ruhe die anfängliche Bedrückung ab. Auch im Kleinen funktioniert das gut: Ein Abend für sich allein, ein Wochenende ohne Verabredungen und Termine. Für die meisten: Schön! Das ist Zurückgezogenheit oder gewählte Einsamkeit auf Zeit. Anja Hartung-Griemberg hat es in ihrem Text zum Thema Einsamkeitserleben und Fremdheitserfahrungen (2017:10f) gut zusammengefasst. Sie behauptet, dass Einsamkeit kein von außen bestimmbarer objektiver Zustand sei. Nein. „Einsamkeit ist an das Erleben des Subjektes [also einer Person] gebunden und kann hier ebenso positiv […] wie negativ erfahren werden.“ So brauche es zum Beispiel eine gewisse Einsamkeit, um einer schöpferischen Selbstbegegnung den Weg zu ebnen. Zeit für Reflexion, Zeit um Gedanken zu ordnen und um Geschehenes Revue passieren zu lassen. Einfach einmal herunter- und abschalten.

In einer komplexer werdenden Welt, die sich immer schneller zu drehen scheint, verwundert es daher nicht, dass Trends auf Anklang stoßen, die alledem die Stirn bieten.

Das Cocooning reiht sich hier in ganz ähnliche Trends ein: Hygge Lifestyle, Cosy Home und Co.

– Sie alle verbindet ein gewisser Rückzug in die eigenen vier Wände, ggf. ein Besinnen auf das Wesentliche und den engsten Kreis der Familie und Freunde. Das eigene Zuhause gewinnt an Bedeutung, Komfort und Gemütlichkeit werden groß geschrieben. Ist das gefährlich? Wenn Sie nicht gerade in einsamer Heimarbeit von der Leiter fallen und es an Hilfe hilft, scheinen Trends wie Cocooning zunächst recht ungefährlich. Die größte Gefahr ist hier wohl gesellschaftlicher Natur und geht von all denen aus, die in aller Überforderung die Welt hinter sich lassen, den Austausch und die Konfrontation meiden. Hier kann man dem Horizont förmlich beim Schrumpfen zusehen. Das ist gefährlich, aber nicht direkt tödlich.

Wenn Zurückgezogenheit in zermürbende Einsamkeit umschlägt

Es scheint einen Punkt zu geben, an dem das Erleben von Einsamkeit kippt.  Aus einer erstrebsamen Ruhe wird ein bedrohliches Erlebnis, mitunter sogar ein langfristiges. Um nah bei den Ausführungen von Anja Hartung-Griemberg (ebd.) zu bleiben: Einsamkeit kann negativ empfunden werden und macht sich dann auf verschiedenste Weise bemerkbar. So zum Beispiel in Form von innerer Leere, Sinnlosigkeitsempfinden, bis hin zu Lebensmüdigkeit. Das bringt uns zu der Frage, wann und warum der Gemütszustand sozial isolierter Menschen ins drastisch Negative umschlägt? Es bringt uns außerdem auch  zur Anschlussfrage, ob soziale Isolation, Alleinsein und Einsamkeit jeweils das Gleiche ist und wenn nein, in welchem Verhältnis die Begriffe sonst zueinander stehen? Wenngleich diese Begrifflichkeiten auch in der Fachpresse gern synonym verwendet werden und tatsächlich sehr ineinander verwoben sind, so beschreiben Sie doch unterschiedliche Empfindungen bzw. Zustände.

Wir müssen zwischen sozialer Isolation, Alleinsein und Einsamkeit differenzieren

Soziale Isolation lässt sich ganz simpel als Einschränkung der Sozialkontakte beschreiben. Eine Person lebt sozial isoliert, wenn Sie kaum bis gar nicht unter Leute kommt. Wenn noch dazu kein Kontakt zur Außenwelt gehalten wird oder gehalten werden kann, zum Beispiel mittels Nachrichten, Telefonaten, Radio, Internet etc., liegt eine besonders starke Form der sozialen Isolation vor. Alleinsein dagegen beschreibt vielmehr einen aktuellen Zustand oder ein Gefühl. Jemand ist oder fühlt sich allein. Auch wenn der Übergang zur sozialen Isolation schleichend und begrifflich schwammig sein kann, beschreibt das Alleinsein einen weniger drastischen Zustand. Sowohl soziale Isolation, als auch Alleinsein gehen nicht unbedingt und zwangsläufig mit Einsamkeit einher. Sie stellen aber starke Indikatoren für Einsamkeit dar. Andere starke Indikatoren für Einsamkeit sind ein subjektives Mangelerleben und ein Hohes Maß an Unzufriedenheit. Anja Hartung-Griemberg fügt dem ergänzend hinzu, dass verschiedene Formen von Fremdheit ein Gefühl von Einsamkeit begünstigen: „Mit Blick auf die Fremdheitserfahrungen des alternden Subjektes lassen sich […] mindestens drei Relationen benennen, die Erscheinungsformen von Einsamkeit begründen können (ebd.).

Dabei handelt es sich frei nach Hartung-Griemberg um (1) Fremdheit als Diskrepanz zwischen Bewusstsein und Körper (Fremdheit im eigenen Körper, zum Beispiel durch fortschreitendes Alter, Gender-Identity etc.), (2) um Fremdheit als soziales Verlustleiden (zum Beispiel durch Verlust von Partnern, Kindern, Freunden, Vertrauten, langjährigen Ärzte, identitätsrelevanten Rollen und Jobs) und schließlich (3) um Fremdheit als Erfahrung des gesellschaftlichen Wandels (unter anderem überfordernde Umstellungszumutungen einer sich zu „schnell drehenden Welt“). Zudem kommen weitere Risikofaktoren wie Armut und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen/ gesellschaftlichen Gruppe. So schreibt Thomas Klie (2017:37f) in seinem Artikel „Altern als individuelle und gesellschaftliche Gestaltungsaufgabe: Differenzierungen des Zusammenhangs von Einsamkeit und Alter“ mit Blick auf den siebenten Altenbericht zum Beispiel Folgendes: Immer noch sind sozialer Status, Einkommen und Bildung wesentliche Prädiktoren für Gesundheit und fernere Lebenserwartung im Alter. So lassen sich bestimmte Risikogruppen identifizieren, die in besonderer Weise von sozialer und emotionaler Einsamkeit […] betroffen sein können. Armut im Alter und Einsamkeit korrelieren hoch; psychische Krankheiten, insbesondere Depressionen, können Bedingungen und Folge sozialer Isolation sein […]. Klie betont, dass vor allem Frauen, Personen mit Migrationshintergrund, Ältere, Sterbende und pflegende Angehörige von sozialer Ungleichheit betroffen seien und für sie in weiterer Konsequenz ein größeres Risiko für Armut, soziale Isolation und schließlich Einsamkeit bestehe.

Das bedeutet:

Forschende müssen die beschriebenen Differenzierungen und Risikopotentiale  verinnerlichen, wenn aussagekräftige Studien auf den Weg gebracht werden sollen.

Sie müssen also die richtigen Fragen stellen. Oft funktioniert das nur auf indirektem Wege. Grund dafür ist unter anderem der sogenannte „Turn-Away-Effekt der Einsamkeit“. Sie kennen dieses Phänomen ggf. auch unter dem Begriff der „sozialen Erwünschtheit“ (social desirability). Er Begriff beschreibt den Umstand, dass Studienteilnehmer ihre Antworten, vor allem bei sensiblen Themen wie Einsamkeit, an den gesellschaftlichen Gepflogenheiten ausrichten und weniger authentisch und ehrlich antworten. Hinzu kommt, dass sich Einsamkeit nur schwer erheben lässt, da keine klare Definition bzw. viele verschiedene Definitionen von Einsamkeit bestehen. Einsamkeit macht sich auf ganz verschiedene Art und Weise bemerkbar.

Alter und Einsamkeit: Ein Blick in die Theorie 

Werden wir unweigerlich von Einsamkeit bedroht, wenn wir älter werden? Mit Blick auf die gängigen Alternstheorien, kann gesagt werden: Im Alter verkleinern wir unseren sozialen Aktionsradius tendenziell. Dies führt aber nicht unweigerlich zu einem Abnehmen der sozialen Interaktion. Ganz im Gegenteil. Das soziale Miteinander wird wichtiger, weshalb eine Konzentration auf die wichtigsten Kontakte ein notwendiger Schritt ist. In den Schlagworten der Aktivitätstheorie von Cavan, Burgess, Havighurst & Goldhamer (1949) und denen der Kontinuitätstheorie von Erikson (1982) heißt es: Der Mensch ist nur glücklich und zufrieden, wenn er (sozial) aktiv ist, etwas leisten kann, Aufgaben hat und gebraucht wird. Und: Häusliche Menschen tendieren im Alter zum Rückzug und empfinden diesen als Erleichterung. Aktive Menschen dagegen benötigen auch im Alter viele bzw. wertvolle soziale Kontakte, um glücklich zu sein. Dabei konzentriert man sich auf langfristig gepflegte Freundschaften und Beziehungen. Ausschlaggebend ist also der individuelle Lebensstil.

Beide Theorien stehen im starken Kontrast zur mittlerweile relativierten und veralteten Disengagement Theorie von Elaine Cumming und William Henry aus dem Jahr 1961. Einfach zusammengefasst kamen die beiden zu dem Schluss, dass wir im Alter zwangsläufig allein und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch einsam sind. Das gebe uns im hohen Alter unter anderem die Freiheit uns aus allen Tätigkeiten und Pflichten zurückzuziehen und uns auf den Tod vorzubereiten. Harsche Aussagen, die mittlerweile stark differenziert betrachtet werden und zum Teil sogar widerlegt worden sind.

Einer, der den Sachverhalt nach allen Regeln der Kunst auseinander genommen hat, ist Thomas Klie. Er relativiert:

„So korrekt es ist, dass Menschen gerade im hohen Lebensalter häufiger alleine leben, die Haushaltsgrößen abnehmen und Partnerverlust insbesondere für Frauen angesichts ihrer durchschnittlich längeren Lebenserwartungen ein drohendes Schicksal ist, so inkorrekt ist es, Einsamkeit und Alter vorschnell gleichzusetzen.“

Thomas Klie

(2017:35) Er führt weiter aus, dass die Zahl der in Partnerschaft lebenden älteren Menschen in den letzten 20 Jahren deutlich zugenommen und sich die Qualität von Familienbeziehungen im Sinne von Mehrgenerationen-Familienbeziehungen deutlich verbessert habe. Zudem hätten sich die konsumtiven, sozialen und freizeitbezogenen Aktivitäten im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements älterer Menschen verändert, was neue Formen gesellschaftlicher und sozialer Teilhabe ermögliche. Die drohende Netzwerkschwäche durch den Verlust traditioneller familialer und partnerschaftlicher Beziehungen werde von vielen Älteren durch eine aktive Netzwerkgestaltung kompensiert, so Klie. Er schließt seinen Gedankengang ab mit dem Ergebnis, dass im Rahmen der Netzwerkgestaltung gerade das Engagement im Alter an Bedeutung gewinne. „Ältere profitieren davon, Aufgaben nicht alleine, sondern mit anderen gemeinsam zu gestalten. Sie werden kreativer und einfallsreicher. Vor allem intergenerative Beziehungen bieten wichtige und für die Lebensführung relevante Lernfelder, unterstützen lebenslanges Lernen und befördern Offenheit, Toleranz und Empathie.“ (ebd.)

Ein Leben als und im Schatten

„Von der Einsamkeit der Menschen lesen wir nur in den Zeitungen, denn wir kennen sie nicht, die vielen, die in dieser Gesellschaft der Einzelnen allein sind. Sie haben eine Wohnung, sind gemeldet, bezahlen Steuern, beziehen Rente, erfüllen alle Voraussetzungen einer/ s ordentlichen Bürgers/-in und doch gibt es sie eigentlich nicht“. Das schreibt der Erziehungswissenschaftler und emeritierte Professor für Medienpädagogik Bernd Schorb in seinem Essay „Die Berichte in den Zeitungen: Leben und Sterben als Schatten“ (2017:24).

Er macht uns in seinem Beitrag auf die periodischen Berichte aufmerksam, auf Nachrichten von Verstorbenen, die wochenlang unentdeckt in der eigenen Wohnung liegen und auf Annoncen in der Zeitung, wie diese: „Die Städtischen Friedhöfe München bitten um telefonische Mitteilung, wenn Sie Angehörige für nachfolgend genannte Verstorbene kennen: [Name, Vorname, Alter, Sterbedatum].“

Schorb kommt in seinem Essay zu dem ernüchternden Schluss, dass einsame Menschen nicht nur als Schatten zu leben und zu sterben scheinen, sondern die Einsamkeit ihren Mantel des Vergessens sogar über das Nachleben der Betroffenen legt: „Aber eigentlich lesen wir auch hier [in der Annonce] nur von Menschen, die nicht mehr sind, von ihrer Einsamkeit bevor sie starben, wissen wir nichts. Wenn dann auch an ihrem Grab niemand steht und sie anonym bestattet werden, dann sind sie über das Leben hinaus einsam.“ (ebd:25)

Eine düstere Routine

In Japan sind die einsamen Tode mittlerweile so gewöhnlich, dass es einen Begriff dafür gibt: „Kodokushi“. Er beschreibt die Tode von sozial isolierten Menschen, deren Tode in dieser Konsequenz oft lange unbemerkt bleiben. Zunehmend werden diese einsamen Tode Japans als Symbol einer Gesellschaft in der Krise gesehen. Und auch wenngleich das Land mit dieser dramatischen Entwicklung nicht allein dasteht, soll es hier beispielhaft herhalten, um das Problem zu umreißen und diskutierte Lösungsansätze aufzuzeigen. Nils Dahl (M. A.) hat sich im Rahmen seines Dissertationsprojektes mit eingehend diesem Thema beschäftigt. Die Arbeit trägt den Titel „Kodokushi. Lokale Netzwerke gegen Japans einsame Tode“ und er beschreibt es mit eigenen Worten so:

„Mit dem Begriff kodokushi werden in Japan Todesfälle sozial isolierter Personen bezeichnet, welche erst nach mehreren Tagen oder Wochen entdeckt werden. Der Begriff hat sich seit den 1970er Jahren als feststehender Ausdruck etabliert und steht im Zentrum gegenwärtiger Diskussionen über den Niedergang traditioneller sozialer Beziehungen in Japan. Aufgrund seiner prinzipiellen Offenheit handelt es sich jedoch um einen umstrittenen Begriff, über den Konflikte zwischen unterschiedlichen Konzeptionen eines lokalen Wohlfahrtssystems ausgetragen werden. Unter Einbeziehung der Ergebnisse eines mehrmonatigen Feldforschungsaufenthalts dekonstruiere ich diese allgemeine gesellschaftspolitische Debatte und analysiere hieran anschließende lokale Projekte gegen die soziale Isolation alter Menschen.“

Nils Dahl
(Online-Quelle: Zugriff am 07.05.2019, 12:00 Uhr)

Die Fachzeitschrift Medien und Altern hat es nicht versäumt, dieser Arbeit im Rahmen ihres zehnten Heftes zum Thema Einsamkeit Beachtung zu schenken. Hierin hat Marcus Heinz das Werk von Nils Dahl rezensiert (2017:85ff). Er gibt uns unter anderem einen kompakten inhaltlichen Abriss der Arbeit. Interessant ist hier der drastische Lösungsansatz, den Dahl erarbeitet hat. Marcus Heinz beobachtet: „Hier zeigen sich Elemente sozialer Kontrolle, vermittelt über Erwartungshaltungen zur Teilnahme an kollektiven Veranstaltungen und erzieherischen Zielsetzungen. […] Die Studie stellt zentral heraus, wie die Verantwortlichkeit auf die lokale Handlungsebene übertragen und dort gleichfalls angenommen wird. Hierbei werde auch Maßnahmen zur Förderung von Überwachung verankert.“ — Deutlich wird: Extreme Problemlagen schaffen einen Nährboden für extreme Lösungsansätze. Das scheint radikal, aber eine Diskussion dieser lohnt sich allemal. Das Problem sozialer Isolation ist mittlerweile in dem Maße in der japanischen Gesellschaft verwurzelt, als dass es dafür sogar verschiedene, differenzierte Begriffe gibt. Neben „Kodokushi“ besteht zum Beispiel auch das Wort „Hikikomori“. Es beschreibt „die Abgeschotteten“, „die Einsiedler“ oder „die Zurückgezogenen”.

In einer BBC Dokumentation vom Januar 2019 wird das Ausmaß des Problems sehr deutlich:

Die Doku zeigt, dass soziale Isolation und Einsamkeit in Japan  nicht nur ein Problem von Personen höheren Alters ist, sondern vor allem auch junge Männer betrifft. Damit werden soziale Isolation, Alleinsein und Einsamkeit zu einer generationenübergreifenden Herausforderung, die entsprechend umfassende und langfristige Lösungen verlangt.

Was können wir tun?

Zoomen wir uns wieder etwas heraus aus dem Kosmos Japans und richten wir den Blick auf Deutschland, wo das Problem (bisher noch) vor allem im Rahmen der Altenpolitik diskutiert wird. Lösungen für die beschriebenen Probleme sind zum Beispiel auf lokaler Ebene zu finden. Übergeordnete Aufgabe von Gesundheits- und Sozialpolitik sollte es sein hilfs- und/ oder pflegebedürftige Menschen Teilhabe und soziale Integration zu eröffnen. „Entsprechend würde es [in] Zukunft ausgesprochen wichtig sein, dass Betagte und ihre pflegenden Angehörigen in einer Kultur der Sorge eingebettet sind.“, schlussfolgern Anja Hartung-Griemberg und Bernd Schorb im Editorial vom Heft 10 der Fachzeitschrift Medien und Altern  (2017:6). Bernd Schorb war es auch, der ins Interview mit Ursula Kalb ging. Ursula Kalb ist Theologin und engagiert sich im Rahmen ihrer Arbeit für die evangelische Gemeinschaft „Sant’Egidio“ sozial im Dienst an den Armen und Alten. Von ihr wollte Schorb wissen, ob unsere heutige Gesellschaft Mitschuld daran trage, dass Menschen einsam werden. Ihre Antwort auf seine Frage rundet diesen Artikel passend ab und soll daher als Fazit des Beitrags dienen:

„Der verbreitete Zeitgeist, der besagt, jeder soll sich um sich selbst kümmern, das Leben alleine meistern, sich nicht abhängig von anderen machen, nicht auf fremde Hilfe angewiesen sein, fördert Einsamkeit im Alter. Der Mensch wird heute wesentlich älter, als vor einigen Jahrzehnten. Das ist eine große Errungenschaft, vor allem der Medizin. Doch im Grunde leben wir in einer Gesellschaft, die mit dem Lebensabschnitt jenseits der 80 Jahre wenig anfangen kann. Es muss eine neue Idee, eine neue Sinngebung für diesen Abschnitt des Lebens gefunden werden. Die Gesellschaft muss sich ändern. Die Lebensformen müssen sich ändern. Ich denke, dass man kleine Wohngemeinschaften gründen sollte, anstelle der großen Pflegeheime. Viele alte Menschen leben noch in größeren Wohnungen, vor allem, wenn sie materiell gut gestellt sind. Daraus könnte man Wohngemeinschaften für zwei, drei oder vier alte Menschen gründen. Man sollte den Begriff Familie erweitern auf alle Generationen. Es können Patenschaften zwischen „Enkel“ und „Großeltern“ entstehen, die nicht blutsverwandt sind. Der Phantasie ist da keine Grenze gesetzt. Wichtig ist es, die Grenzen in den Köpfen beiseite zu lassen.

Ursula Kalb

Damit fasst Ursula Kalb nicht nur die Problemlage kompakt zusammen, sondern gibt uns sogar konkrete Handlungsempfehlungen mit auf den Weg. Ich möchte ergänzen, dass verstärkt auf Bildungsmaßnahmen für Personen höheren Alters gesetzt werden muss, um Zugänge zu digitalisierten Lebensbereichen herzustellen, um auf diese Weise eine Teilhabe am Online-Geschehen zu ermöglichen und eine bestehende oder drohende soziale Isolation immerhin durch digitale Vernetzung abzufedern. Im Rahmen dieser Bildungsmaßnahmen sollten Berührungsängste gegenüber Online-Medien und –Technologien abgebaut werden und deren Nutzen und Potentiale, aber auch Fallstricke, sensibel und geduldig beleuchtet werden. — Andreas Büsch und Florian Preßmar haben in ihrem Beitrag „Medienbildung und (digitale) Partizipationsmöglichkeiten von älteren Menschen“ (2017: 61f) vertiefend ergänzt: „Bei digitaler Partizipation geht es nicht (nur) um ökonomische Notwendigkeiten und Wertschöpfung, sondern letztlich um den Menschen selbst sowie seine Suche nach Sinn und Erfüllung. Gerade in der medienpädagogischen Arbeit mit älteren Menschen liegt darin ein großes Potential, da die Sinnfragen in der retrospektiven Integration des bisherigen Lebens im Vordergrund stehen.“

Theoretische Grundlage: 

Anja Hartung, Dagmar Hoffmann, Hans-Dieter Kübler, Bernd Schorb, Clemens Schwender (Hrsg.) (2017). Einsamkeit. In: Medien und Altern, Zeitschrift für Forschung und Praxis. Heft 10. Kopaed verlagsgmbh. München
Ausgabe erhältlich als Print-Version oder eBook-Datei: hier

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