Das Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP wurde 1929 gegründet und zählt damit zu den erfahrensten und etabliertesten Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft. Insgesamt 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind an den drei Standorten – Stuttgart, Holzkirchen und Nürnberg – beschäftigt. Das Jahresbudget beträgt 25 Millionen Euro, davon stammt ca. ein Drittel aus Industrieprojekten. Die Kompetenzen des Fraunhofer IBP konzentrieren sich auf Forschung, Entwicklung, Prüfung, Demonstration und Beratung auf den Gebieten der Bauphysik (www.ibp.fraunhofer.de).

M. Sc. Noemi Martin ist Gruppenleiterin Psychoakustik und kognitive Ergonomie, Abteilung Akustik, am Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP in Stuttgart.

Jede Art von Arbeitsraum wirkt in bestimmter Weise auf die Menschen in ihm. Was sind – ganz allgemein – die größten psychologischen Einflussfaktoren, die Arbeitsräume auf Menschen haben?

Noemi Martin: Den stärksten Einfluss hat in der Regel immer der Umgebungsfaktor, der für den Menschen aktuell am negativsten ausgeprägt ist (also beispielsweise das Raumklima bei schlechter Luftqualität). Allgemein lässt sich sagen, dass sowohl das Raumklima (Luftfeuchte, Temperatur & Luftqualität) als auch die Beleuchtung (Kunstlicht versus Tageslicht, Helligkeit & Blendung) und die Akustik (Lärmbelastung, Arbeitsunterbrechung & Konzentrationsbeschwerden etc. …) jeweils starke Einflussfaktoren auf den Menschen bei der Gestaltung von Arbeitsräumen darstellen. Weiterhin spielen natürlich die Größe des Arbeitsplatzes oder Arbeitsraumes, das mögliche Ausmaß an Privatsphäre, das der Arbeitsraum einzelnen Personen bietet, sowie Layout und Gestaltung eine Rolle, wenn man die Wirkungsweise eines Arbeitsraumes auf den Menschen ganzheitlich erfassen möchte. Nicht zuletzt beeinflusst auch das Ausmaß, in dem natürliche Elemente (wie beispielsweise Aussicht auf eine grüne Landschaft durch das Fenster oder Zimmerpflanzen) im Arbeitsraum verfügbar sind das Wohlbefinden der Mitarbeiter.

Und welche Einflussfaktoren sind dies ganz speziell in der Pflege-/Gesundheitsbranche?

Noemi Martin: Mitarbeitende der Gesundheitsbranche sind ohnehin aufgrund vieler Faktoren einer hohen Stressbelastung ausgesetzt. 

Hinzu kommt häufig eine hohe Geräuschkulisse, da Geräusche medizinischer Geräte oder Warnsignale unabdingbar sind und nicht „abgestellt“ werden können. Die Oberflächen müssen hygienischen Standards genügen und leicht zu reinigen sein. Das geht meist mit sehr schallharten Materialien einher, welche zur Reduktion der Lärmbelastung ungeeignet sind.

Auch die Beleuchtung betreffend ist oft eher kaltes Licht in medizinischen Einrichtungen anzutreffen, was in einer Notwendigkeit für die Tätigkeiten beruht. Ein hoher Blaulichtanteil beeinflusst jedoch den Schlaf-Wach-Rhythmus in negativer Art und Weise, da ein konstant hoher Blaulichtanteil nicht dem natürlichen Lichtspektrum im Tagesverlauf entspricht.

Welche baulichen/architektonischen Maßnahmen fördern eher ein negatives Arbeitsklima?

Noemi Martin: Versteht man unter einem „negativen Arbeitsklima“ die Unzufriedenheit der Mitarbeiter mit der Arbeitsumgebung, so sind die Hauptbelastungsfaktoren in Arbeitsumgebungen, welche zu Unzufriedenheit unter den Mitarbeitern führen, sicherlich eine hohe Lärm- beziehungsweise Geräuschbelastung, zu geringe Privatsphäre sowie zu hohe Temperaturen und zu geringe Luftfeuchtigkeit. Hinsichtlich der Akustik sind häufige bauliche Problematiken, dass zu viele schallharte Elemente (wie beispielsweise Glas oder Beton) im Innenraum verbaut werden, beziehungsweise dass zu wenige gezielte raumakustische Maßnahmen zur Optimierung der Akustik ergriffen werden. 

Diese Aussage lässt sich jedoch nicht pauschalisieren und hängt sehr stark von der Arbeitstätigkeit ab.

Und welche gestalterischen Konzepte sind eher kontraproduktiv?

Noemi Martin: Gestalterisch sind offene Lösungen mit viel Glas voll im Trend. Die sind allerdings in Bezug auf gute Raumakustik sehr kontraproduktiv und führen ebenfalls unter den Mitarbeitern zu einem verringerten Privatheitsempfinden – ein sehr wichtiger, aber häufig unterschätzter Faktor in der Raumgestaltung. 

Weiterhin ist eine gute Zonierung essenziell, was bedeutet, dass Räume oder Raumelemente organisatorisch sinnvoll zueinander angeordnet werden sollten.

Im Umkehrschluss: Welche baulichen Gegebenheiten (z. B. Form, Größe, Lage usw.) und gestalterischen Maßnahmen (z. B. Inneneinrichtung, Licht- und Farbkonzepte, Anordnung der Arbeitsplätze/Struktur, Materialien usw.) wirken sich besonders positiv aus?

Noemi Martin: Diese Frage generell zu beantworten ist sehr schwierig, da es stark von der genauen Arbeitstätigkeit abhängt, welche Arbeitsumgebung als maximal förderlich zu betrachten ist. Generell lässt sich sagen, dass sich Gestaltungskonzepte in Anlehnung an natürliche Umgebungen, wie beispielsweise natürliche Farben/Formen oder Materialen sowie Pflanzen, positiv auswirken. 

Bei kleineren Arbeitsbereichen, in denen weniger Personen in einem Raum arbeiten, verringert sich die Problematik der fehlenden Privatheitsregulation.

Lichtkonzepte wirken sich meist dann positiv aus, wenn sie bezüglich Helligkeit und Farbton an den natürlichen Tagesverlauf angelehnt sind – für bestimmte Tätigkeiten können aber auch andere, spezielle Lichtverhältnisse erforderlich sein.

Darüber hinaus ist gute raumakustische Planung und Optimierung und das Hinzuziehen eines Akustikers bereits in frühen Planungsphasen anzuraten, um akustisch gute Arbeitsumgebungen schaffen zu können.

Wie wichtig sind Rückzugsmöglichkeiten (architektonisch, akustisch, optisch) für die Mitarbeiter in der Gesundheitsbranche (Pflegeheime/Krankenhäuser), und wie kann man diese schaffen?

Noemi Martin: Das psychologische Konzept der Privatheit und damit auch das Vorhandensein von Rückzugsmöglichkeiten ist in allen Arbeitsbereichen essenziell. Privatheit beschreibt die Möglichkeit, die Zugänglichkeit andere Personen zu mir selbst zu beschränken oder zu regulieren (Baron, 1994). 

Die Folgen von unzureichender Privatheit sind Stress, Informationsüberflutung und außergewöhnliche psychische Angespanntheit. Fehlt diese Kontrolle über den Stimulationsgrad dem ich ausgesetzt bin dauerhaft, besteht die Gefahr, dass die betroffenen Personen in einen Zustand sogenannter „erlernter Hilflosigkeit“ verfallen. Das bedeutet, dass die Einstellung, man könnte sich aus bestimmten Situationen nicht entziehen, quasi erlernt wurde. Das führt dazu, dass man selbst in Situationen, die man von außen betrachtet positiv für sich selbst beeinflussen könnte, nicht mehr den Versuch dazu unternimmt.

Rückzugsräume können beispielweise durch das explizite Ausweisen von Pausenräumen als Bibliotheks-, Ruhe- oder Erholungszonen geschaffen werden.

Dass man sich in Pausenzeiten zurücknimmt und auch ausruht, um anschließend in einer belastenden Arbeitsumgebung wieder leistungsfähiger und aufmerksamer zu sein, muss sich nicht nur architektonisch, sondern vor allem auch im Selbstverständnis von Organisation und Arbeitgeber etablieren.

Gibt es Untersuchungen/Studien zu Arbeitsräumen, Psychologie von Arbeitsräumen in der Pflegebranche?

Noemi Martin: Tatsächlich gibt es hauptsächlich Studien zu Genesungsverläufen von Patienten in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen. Hier ist auch schon relativ gut bekannt, welche Faktoren der Raumgestaltung sich günstig auf eine schnellere Genesung und das Wohlbefinden des Patienten auswirken können. 

Die Mitarbeiter in diesen Einrichtungen kommen, was die Arbeitsplatz- und Raumgestaltung betrifft, leider in der aktuellen Forschungslandschaft meiner Einschätzung nach eher etwas zu kurz – Studien in diesem Bereich fokussieren sich meist eher auf Belastungsfaktoren aufgrund von emotionalen Herausforderungen, Schichtarbeit und hoher Arbeitsbelastung, was ebenso hochrelevante Faktoren für die Mitarbeitergesundheit sind. Das Fraunhofer-Institut für Bauphysik arbeitet jedoch aktuell in der Projektinitiative „Menschen in Räumen“ daran, gemeinsam mit Kliniken, bauphysikalische Konzepte zu entwickeln, welche sich auf Patienten und Mitarbeiter gleichermaßen positiv auswirken.

Herzlichen Dank für die Beantwortung unserer Fragen!

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