Diplom-Kaufmann, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Karl Nauen, geb. 1966 in Tönisvorst/Vorst, ist Gesellschafter und Geschäftsführer bei der Dr. Heilmaier & Partner GmbH.
Alle Pflegekräfte sollen künftig nach Tarif bezahlt werden. Nur die Hälfte der 1,2 Millionen Pflegekräfte bekommt derzeit überhaupt Tariflohn. Ab Herbst 2022 müssen Pflegeeinrichtungen entweder tarifgebunden sein oder zumindest Löhne in Höhe eines Pflege-Tarifvertrages zahlen. Das wird auch für bestehende Pflegeeinrichtungen gelten. Nicht tarifgebundene Pflegeeinrichtungen erhalten einen Anreiz, Tarifverträge anzuwenden. Was bedeutet diese Maßnahme für Betreiber bzw. worauf müssen sich diese zukünftig einstellen?
Karl Nauen: Die öffentliche Diskussion zur Anwendung von Tarifverträgen in der Pflege wird in weiten Teilen nicht ehrlich geführt und offenbart die Schwächen des Refinanzierungssystems. Losgelöst von der Tatsache, dass bereits heute bei einem nicht unbeachtlichen Anteil an Betreibern Tarifrecht zur Anwendung kommt bzw. sich die Entlohnung daran orientiert, stehen auch die nicht tarifgebundenen Betreiber vor dem Hintergrund des Wettbewerbs um eine knappe Personalressource unter beachtlichen Handlungsdruck.
Die in der öffentlichen Wahrnehmung geführte Diskussion, wonach wegen Renditeerwartungen der Betreiber ausschließlich zulasten der Vergütung der Mitarbeiter in der Pflege agiert wird, ist oftmals unzutreffend.
Bereits in der Vergangenheit und auch zukünftig stehen Pflegesatzvereinbarungen unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit; die Anwendung von Tarifverträgen darf allerdings nicht mit dem Hinweis auf Unwirtschaftlichkeit abgelehnt werden.
Aufgrund der spezifischen Regelungen zur Ermittlung der einzelnen Entgeltbestandteile im Rahmen einer Pflegesatzvereinbarung ist allerdings zu beachten, dass berücksichtigungsfähige Kostensteigerungen aufseiten der Betreiber zwangsläufig und unmittelbar zu höheren Entgelten für die Bewohner führen. Da wegen der unzureichenden bzw. in den letzten Jahren nicht dynamisierten Leistungsbeträge der Pflegeversicherung jegliche Kostensteigerungen zu überproportionalen Preissteigerungen für die Bewohner – insbesondere beim Eigenanteil – führen, müssen sich die Betreiber wegen der drohenden überproportionalen Entgeltsteigerung auf schwierige Pflegesatzvereinbarungen einstellen.
Außerdem ist eine Begrenzung des Eigenanteils für Heimbewohner an den Pflegekosten vorgesehen, damit eine bessere Bezahlung von Pflegekräften nicht zu ihren Lasten geht. Finanziert werden soll das gesamte Vorhaben durch eine Anhebung des Beitragssatzes zur Pflegeversicherung für Kinderlose sowie einen Zuschuss des Bundes in einstelliger Milliardenhöhe. Ist diese Finanzierung ausreichend?
Karl Nauen: Anfänglich wird es zwangsläufig zu einer überproportionalen Steigerung des Eigenanteils kommen. Das unter anderem politisch verfolgte Ziel, die Bewohner zu entlasten, wird demnach nicht erreicht. Vermutlich werden auch die im Zeitablauf ansteigenden Zuschläge der Pflegeversicherung die seitens der Bewohner zu tragenden Preiserhöhungen nicht ausgleichen können, zumal neben den tarifrechtlichen Überlegungen ja auch die veränderten Personalschlüssel höhere Kosten nach sich ziehen.
Ob die durch die Pflegeversicherung zu leistenden Zuschläge mit den beschlossenen Regelungen tatsächlich ausfinanziert sind, wird bezweifelt und hängt maßgeblich von der Entwicklung der individuell vereinbarten Eigenanteile ab.
Auf jeden Fall – zumindest anfänglich – werden die Bewohner zusätzlich belastet.
Und welche finanziellen Auswirkungen hat diese Eigenanteilsveränderung auf die Pflegeheimbetreiber?
Karl Nauen: In der reinen Lehre keine, da grundsätzlich die prospektiv anfallenden Gestehungskosten vollumfänglich in der Pflegesatzvereinbarung zu berücksichtigen sind. In der Praxis wird sich dies allerdings gänzlich anders darstellen. Wegen der voraussichtlich überproportional stark ansteigenden Preise werden sich die Kostenträger in den Verhandlungen vermutlich sehr restriktiv verhalten. Um jede einzelne Kostenart – im Personalbereich heruntergebrochen auf jeden einzelnen Mitarbeiter – wird zukünftig noch intensiver gerungen und gestritten.
Für die Betreiber steigt das Risiko, keine auskömmlichen Preise mit den Kostenträgern zu vereinbaren. Ferner werden den Betreibern wegen der zunehmenden Nachweispflichten weitere unternehmerische Gestaltungsmöglichkeiten genommen.
Der wirtschaftliche und finanzielle Druck auf die Betreiber wird weiter steigen; in nicht seltenen Fällen wird es zu existenzbedrohenden Situationen kommen.
Betrachten wir zudem die Tagespflege: Welche monetären Auswirkungen wird die Reform für die Betreiber aus Ihrer Sicht auf die (Re-)Finanzierbarkeit von Tagespflegeeinrichtungen haben?
Karl Nauen: Aktuell ist nicht mit nennenswerten Auswirkungen zu rechnen.
Und auf was müssen sich dahingehend die Betreiber von Senioren-WGs/Wohnquartieren einstellen?
Karl Nauen: Dieses Angebotssegment wird künftig eine zunehmend größere Rolle spielen. Die Gründe hierfür sind vielfältig und werden maßgeblich durch die steigenden finanziellen Belastungen der Bewohner in vergleichbaren Einrichtungen beeinflusst.
Insbesondere die aufgrund der baulichen Anforderungen im Regelfall hohen Investitionskosten in Pflegeeinrichtungen sowie die im Vergleich zu einer stationären Pflegeeinrichtung geringeren regulatorischen Anforderungen eröffnen Spielräume für deutlich günstigere und zielgerichtete Wohn- und Betreuungsformen.
Im Speziellen: Wie wirkt sich die Pflegereform auf das Angebot und die Finanzierung von solitärer Kurzzeitpflege aus, bei der pflegebedürftige Personen (nur) für die Zeit von maximal 28 Tagen betreut und gepflegt werden? Was kommt finanziell auf die Betreiber zu?
Karl Nauen: Obwohl die finanziellen Bedingungen aus Sicht der Pflegebedürftigen weiter verbessert werden, bleibt das wirtschaftliche Kernproblem einer solitären Kurzzeitpflegeeinrichtung aus Sicht eines Betreibers zunächst erhalten.
Die größte Herausforderung besteht in der Auslastungsquote bzw. das Problem nichtrefinanzierter Vorhaltekosten bei einer zumindest temporär unzureichenden Auslastung.
Damit eine wirtschaftlich tragfähige Vergütung in der Kurzzeitpflege sichergestellt wird, sollen hierzu nunmehr auf Bundesebene Rahmenempfehlungen erstellt werden. Zu den besonderen Anforderungen aus der Auslastungsproblematik, der Personalausstattung sowie dem Aufnahmeanlass einschließlich Art und Schwere der Pflegebedürftigkeit sollen die Rahmenempfehlungen ausdrücklich Kriterien beinhalten. Eine leistungsgerechte Vergütung für eine rein solitäre Kurzzeitpflegeeinrichtung wird trotz aller Bemühungen auch weiterhin schwierig bleiben.
Besten Dank für die Beantwortung unserer Fragen.