Lilo Wanders ist Moderatorin, Ratgeberin, Schauspielerin, Buchautorin, Kult-Diva und begeistert mit ihren Bühnenprogrammen. Sie erfand sich selbst als Figur für ein Theaterstück im Schmidt-Theater in Hamburg. Sie co-moderierte vier Jahre lang die Schmidt-Mitternachts-Show im NDR und wurde europaweit bekannt als Präsentatorin der Sendung „Wa(h)re Liebe“ beim Sender VOX.

„Altwerden ist nichts für Feiglinge“, so formulierte es Joachim Fuchsberger. Würden Sie dem zustimmen? Und was sind für Sie die Schattenseiten des Älterwerdens?

Lilo Wanders: Tja, die Alternative zum Altwerden heißt tot sein. Und wer will das schon. Unabwendbar altern wir und werden alt – wenn wir Glück haben. Zu den Schattenseiten des Älterwerdens … Ehrlich gesagt, ich denke lieber erstmal an die Dinge, die gut sind, die positiv sind.

Ok, dann reden wir über die guten Seiten des Alterns.

Lilo Wanders:

Dazu gehört sicher eine größere Gelassenheit dem Leben gegenüber, weil man aus Erfahrungen schöpfen kann und Situationen, Konstellationen, in denen man sich wiederfindet, nicht mehr unbedingt neu sind.

Natürlich kann man noch überrascht werden, doch im Grunde sind einem im Laufe des Lebens bereits viele Dinge schon einmal in der ein oder anderen Form begegnet. Dann gehört sicher auch eine gewisse Gelassenheit den körperlichen Erscheinungen gegenüber dazu. Denn man muss nicht mehr irgendwelchen vorgegebenen Schönheitsidealen folgen. Das spielt irgendwann keine Rolle mehr. Jedenfalls hoffe ich das – für mich zumindest. Mir ist das wurscht.

Nein, halt, ich füge einen Nebensatz ein: Ich lege durchaus eine gewisse Eitelkeit an den Tag, was ein von meiner Mutter und Großmutter geerbtes Körperteil betrifft. Und das sind meine Augenringe und Tränensäcke. Damit hadere ich, die mag ich nicht! Aber es gibt glücklicherweise (fast) nichts, was man mit einer guten Be- und Ausleuchtung nicht aufhübschen könnte.

Und wenn wir jetzt doch über die Schattenseiten sprechen?

Lilo Wanders: Da gibt es ein Zitat eines englischen Bühnenkollegen, das mir dazu gerade in den Sinn kommt: Wenn du denkst, du musst pinkeln, ist es schon zu spät. Oder machen Sie sich bewusst, wenn man sich im Alter die Schuhe zubindet, dann ist man sehr schnell geneigt zu überlegen, was man sonst noch erledigen könnte, da man nun schon mal „unten ist“. So, jetzt aber ernsthafter: Der Körper gibt Signale. Wenn ich Ihre Frage auf mich persönlich beziehen darf, dann ist es die Arthrose in meinen Knien oder die fehlende Elastizität, um mal eben schnell die Treppe hoch- oder runterzuspringen. Es hält sich zwar alles noch in Grenzen, doch es ist etwas in Bewegung, es ist ein Prozess, der mit der Zeit wohl immer schlimmer werden wird. Und damit sollte man sich gedanklich bestenfalls schon im Vorfeld auseinandersetzen.

Allerdings erwische ich mich manchmal dabei, dass ich vergesse, wie alt ich bin.

In diesen Situationen bin ich Gleichaltrigen gegenüber, oder Menschen, die nur etwas älter sind als ich, besonders rücksichtsvoll und biete ihnen schon mal meinen Arm an.

Haben Sie einen Tipp, wie man das Älterwerden besser „ertragen“ kann?

Lilo Wanders: Puh, unter uns gesagt, ich bin nicht gut zu mir: Ich rauche, ich nehme zu viel Kaffee zu mir, manchmal trinke ich zu viel Alkohol. Damit lässt sich das Älterwerden zwar ganz gut „ertragen“, aber deswegen habe ich es mir auch selbst zuzuschreiben, dass ich vielleicht nicht mehr ganz so fit bin. Ich war im vergangenen November im Zuge der Talkreihe „AltersBilder“ bei der Körber-Stiftung in Hamburg, als mich der etwa 1-2 Jahre jüngere Moderator fragte, wie es sich denn anfühle, wenn die 70 an der Ecke lauert? In diesem Moment wurde das das erste Mal ausgesprochen, und es fühlte sich tatsächlich etwas seltsam, befremdlich an. Denn in guten Momenten fühle ich mich wie Ende 40, und vor allen Dingen immer dann, wenn ich nicht weiter darüber nachdenke. Ansonsten bin ich in meiner Wahrnehmung gefühlt Mitte 60 und nicht 68 und irgendwann dieses Jahr 69, schließlich gibt es viele von uns, von den Älteren, es ist nichts Besonderes. Doch als der Moderator die Zahl 70 erwähnte, laut aussprach, da wurde mir schlagartig bewusst, ich bin der 50 nicht mehr näher als der 60, nein, ich bin sogar der 70 näher als der 60, und das ist auch sichtbar! Und damit muss man – damit muss ich – umgehen! Das ist natürlich schwierig, wenn man sein ganzes Leben darauf fixiert war, fit und attraktiv zu sein und den vorgegebenen Schönheitsidealen zu folgen und zu entsprechen. Doch so habe ich mich nie empfunden, insofern ist es vielleicht für mich etwas leichter, die 2025 kommende 70 zu akzeptieren. Es ist eben so. Ich kann es nicht ändern.

Andererseits beginnt jeder Tag, jeder Morgen damit, dass ich über den Tod nachdenke. Denn der kann einen ja sehr plötzlich ereilen, auch wenn man erst Mitte 20 ist.

Wie gesagt, es ist einfach so, der Tod rückt täglich näher! Dazu kommt dann aber, dass ich eine 84-jährige Freundin habe, die als Schauspielerin und Regisseurin voll und ganz im Leben steht. Sie verträgt zwar keinen Alkohol mehr, aber ansonsten ist sie einfach toll, und an ihr orientiere ich mich schon ein bisschen. Ich mag es, dass sie vor Leben sprüht. Ich finde es wichtig, sich Vorbilder zu suchen.

Mit der Sendung „Wa(h)re Liebe“ wurden Sie von 1994-2004 zur viel zitierten „Aufklärerin der Nation“. Wie stehen Sie zu dieser Bezeichnung?

Lilo Wanders: Heute empfinde ich „Aufklärerin der Nation“ als Ehrentitel. Ich habe allerdings sehr lange gebraucht, diese Bezeichnung für mich anzunehmen, weil ich im Grunde ein eher zurückhaltender Mensch bin. Seit Ausstrahlung der Sendung ist das Thema zu meiner Kernkompetenz geworden. Ich habe mich weiterentwickelt, mich weitergebildet, und so wurde „Liebe“ mein Lebensthema, das ich in verschiedenen Programmen bis heute auf die Bühne bringe und dabei immer wieder neue Wege beschreite. Zum Beispiel besteht der zweite Teil meines Bühnenprogramms seit zwei Jahren aus Improvisation. Die Zuschauer schreiben in der Pause Fragen auf Zettel, die ich im Anschluss beantworte – egal was kommt. Das ist sehr lustig und interessant, weil ich keinerlei Probleme habe, über alles zu reden. In der heutigen Zeit sind wir sicherlich einen Schritt weiter als damals, doch ich ziehe es mir zur Ehre an, dass ich ein stückweit zu einer offeneren Kommunikation und Aufklärung beigetragen habe. „Wa(h)re Liebe“ hat den Grundstein dafür geschaffen. Die Sendung war als Unterhaltungssendung im kommerziellen Fernsehen angelegt und behandelte überwiegend fünf bis sechs feststehende Hauptthemen, die quotenträchtig waren. Im Laufe der Zeit wandelte sich das Format zu einer Aufklärungssendung, weil ich einfach ohne Tabus und ohne moralischen Zeigefinger über alles gesprochen habe und eine gute Redaktion hatte, die immer bemüht war, sich thematisch so breit wie möglich aufzustellen. Alles zusammen hat dazu beigetragen, dass ich in das kollektive Gedächtnis geraten bin.

Und so akzeptiere ich, dass ich irgendwie eine Person der Zeitgeschichte geworden bin.

„Wa(h)re Liebe“ hat unseren Blick auf die sexuelle Vielfalt verändert? Würden Sie sagen, Sie waren eine Vorreiterin?

Lilo Wanders: Zuerst war da Oswalt Kolle mit seinen Aufklärungsfilmen und Aufklärungsbüchern, dann kam Erika Berger mit der TV-Sendung „Call-in – eine Chance für die Liebe“, und auch ich ordne mich als Vorreiterin in diesen Verlauf mit ein. Wichtig dabei ist, Zuversicht zu verströmen, in dem Wissen, dass es vielen Menschen mit ihren Themen oft nicht so gut geht. Da kommt mir folgendes Zitat in den Sinn: “Du bedankst dich dafür, dass ich dir Zuversicht gebe, doch ich kann dir nur Zuversicht geben, weil du es auch tust.” Ich habe festgestellt:

Ratschläge sind billig, das Zuhören, der gegenseitige Austausch und eine offene Kommunikation sind wichtiger. Damit wächst gegenseitiges Verständnis.

Und das betrifft im Grunde fast alle Lebenssituationen – unabhängig vom Alter.

Finden Sie, dass sich unser Blick auf die sexuelle Vielfalt weiter geöffnet hat, oder sind wir heute eher wieder auf dem Rückmarsch?

Lilo Wanders: Es hat (auch häufig durch die sozialen Medien suggeriert) den Anschein, als ob es einen Rückschritt gäbe. Dem ist meiner Ansicht nach aber nicht so. Doch die Bösen sind zu laut, die Guten sind zu leise. Momentan – Gott sei Dank – nicht, denn wir erleben gerade, dass sich die Guten Gehör verschaffen. Denken Sie dabei an die Demonstrationen für die Demokratie. Allerdings hat die große Mehrheit zu lange geschwiegen.

Der gedachte Gedanke ist gedacht, und die Tat ist vollbracht. Was ich meine: Die Geschichte oder das Rad der Zeit drehen sich nicht rückwärts.

Insofern bin ich auch hier zuversichtlich gestimmt. Ich wohne nicht in einer Großstadt und bin damit kaum rüden Umgangstönen ausgesetzt. Dabei erlebe ich mein dörfliches Umfeld als freundlich, man nimmt sich wahr, viele engagieren sich ehrenamtlich und tun ganz selbstverständlich gute Sachen, ob es nun um Flüchtlinge, Alte oder was auch immer geht. Ich spüre eine Akzeptanz und Toleranz allen anderen und allem Anderen gegenüber. Nach unserem Gespräch habe ich ein Treffen mit einem Lehrer aus dem Nachbardorf, mit dem ich ein Schulprojekt plane, im Zuge dessen ich mich den Fragen von Siebtklässlern stellen werde. Zudem wurde ich tatsächlich von den Landfrauen eingeladen, die sich über meine Stiftung COME OUT! zugunsten junger LGBTIQ-Menschen informieren möchten. Nach dem Motto: Es kann ja jede Familie treffen. Hier wird es, wie in meinen Bühnenshows, eine Fragerunde geben, und die Frauen können ihre Fragen im Vorfeld auf Zettel schreiben. Das nimmt die Befangenheit. Und eins wird sichtbar: nämlich die Akzeptanz, dass ein Schicksal eben ein Schicksal ist und nichts Selbstgesuchtes, wenn es beispielsweise um die sexuelle Ausrichtung geht.

Glauben Sie (noch) an die oft beschworene große Liebe?

Lilo Wanders: Ja! Doch um ein Zitat von Hape Kerkeling in seiner Rolle als holländische Sexualberaterin zu zitieren: “Es ist Arbeit, Arbeit, Arbeit.” Leben und Lieben ist Lernen. Auch Selbsterkenntnis ist ein wichtiger Punkt. Man gerät immer wieder ins gleiche Fahrwasser, bis man die eigenen Verhaltensweisen durchschaut hat und die Fallstricke (er)kennt. Nicht selten verliebt sich jemand (immer wieder) in die falsche Person und bedient damit die Strukturen, die vorher angelegt wurden – sei es durch die eigenen Gene, durch Familienprägung oder andere soziale und kulturelle Umstände.

Man muss als Mensch reifen, dann können festgefahrene Strukturen erkannt und durchbrochen werden, dann ist die große Liebe durchaus denkbar.

Es gibt zwar einige Ansätze und Versuche, mit dem Thema offener umzugehen, doch im Grunde ist die Auseinandersetzung mit Sex im Alter in unserer Gesellschaft immer noch tabu. Warum ist das so – oder wie empfinden Sie das?

Lilo Wanders: Ich denke, wir erleben gerade bei diesem Thema – und das ist auch den eben erwähnten angelegten Strukturen geschuldet – heute doch immer noch eine gewisse gesellschaftliche Sexualfeindlichkeit. Selbsterkenntnis ist der Schlüssel, um anderen Menschen gegenüber freier, offener und toleranter zu sein.

Es tut doch niemandem weh, wenn eine Liebesgeschichte im Altersheim passiert.

Ehrlich gesagt, verstehe ich es nicht so ganz, denn gerade im Alter kann doch alles viel freier und offener sein, weil viele Einschränkungen einfach nicht mehr da sind – Angst vor Schwangerschaft, Schönheitsideale etc. Und weil mit dem Alter und der Lebenserfahrung die geistige und körperliche Gelassenheit wächst. In Pflegeheimen fehlen oft Räume, Rückzugsmöglichkeiten, neue Partnerschaften werden oft nicht unterstützt. Zum Beispiel stelle ich mir vor, dass sich zwei Menschen finden und dann in ein gemeinsames Zimmer ziehen können. Das wird es sicher schon geben, und es gibt ja Ansätze, sich dem Thema „Sex im Alter“ zu nähern, doch es ist eben noch nicht allgemeiner Konsens. Ein positives Beispiel möchte ich aus dem Heim meiner Mutter anführen: Dem Freund eines Mitbewohners (der nicht im Pflegeheim lebte) wurde die Möglichkeit gegeben, immer mal wieder bei seinem Partner im Heim zu übernachten. Wir müssen weiter daran arbeiten, dass Sex im Alter zu einer Selbstverständlichkeit wird. Und genau diese Selbstverständlichkeit erreichen wir dadurch, dass wir Sex im Alter einfach passieren lassen.

Zum Abschluss: Wie und wo möchten Sie alt werden?

Lilo Wanders: Ja, das ist die große Frage.

Man wünscht sich, einfach tot umzufallen und alles geregelt gehabt zu haben.

Wir sind gerade dabei, unser Haus zu verkaufen und aufzulösen und uns zu verkleinern. Mit dem Ziel und der Hoffnung, so lange wie möglich selbstständig zu bleiben. Ach du meine Güte, ich mit meiner Lebensweise – spät ins Bett und lange schlafen, schlechte Essgewohnheiten usw. – möchte eigentlich nicht in einem Pflegeheim sitzen, wenn es nicht unbedingt sein muss. Um ehrlich zu sein, wünsche ich mir, zu Hause alt zu werden. Doch man weiß es eben nicht. Umso wichtiger ist es, möglichst viele Vorkehrungen für ein häusliches Umfeld zu schaffen, die das Leben im Alter erleichtern, und dass man, sollte es dazu kommen, in den eigenen vier Wänden gepflegt werden kann. Dabei sage ich, lebenserhaltene Maßnahmen müssen nicht sein. Meine größte Angst ist, gaga zu werden. Obwohl ich schon eine leise Ahnung habe, wie das sein könnte, wenn man zum Beispiel eine Demenz entwickelt. Denn ich hatte vor zwei Jahren Corona und habe mit Gedächtnis- und Geschmacksstörungen sowie Erschöpfungszuständen zu kämpfen. Long Covid hängt mir bis heute nach. Klar, es gibt viele, viele Menschen, denen es deutlich schlechter geht. Doch ich merke es eben, und es ist nicht nur das Älterwerden, sondern es machen sich tatsächlich die Folgen von Corona bemerkbar, und damit hadere ich schon.

Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

Headerfoto: mit freundlicher Genehmigung von Lilo Wanders

Foto im Beitrag by Martin Reh

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