Zur Rummelsberger Diakonie kam der Diplomkaufmann Karl Schulz vor 25 Jahren als Quereinsteiger aus der Privatwirtschaft. Dies prägt sein Selbstverständnis als Anwalt einer gesellschaftsoffenen, unternehmerischen Diakonie.

Als Vorstand und in Personalunion als Geschäftsführer der Altenhilfe, Behindertenhilfe und Jugendhilfe ist Karl Schulz unmittelbar verantwortlich für mehr als 6.200 Mitarbeitende der Rummelsberger Diakonie. Eine der großen Herausforderungen besteht für ihn darin, genügend qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen.

Wie würden Sie die Stimmung auf dem Pflegemarkt beziehungsweise unter den Pflegeheimbetreibern beschreiben?

Karl Schulz: Ein Paradigmenwechsel in der Pflege ist überfällig und dringend notwendig. Die Pflege ist selbst zum Pflegefall geworden. Wir befinden uns in einer Art Dauerkrise. Die hat sich allerdings schon weit vor Corona im Jahr 2020 abgezeichnet. Wir haben uns von Reförmchen zu Reförmchen gequält. Letztlich gab es keinen großen Wurf. Den meisten der Betreiber von Altenhilfeeinrichtungen ist klar, dass es so nicht weitergeht. Wir jammern nicht, damit ein weiteres kleines Pflaster geklebt wird. Wir brauchen eine große Lösung, weil wir wissen, dass schon jetzt die Versorgungssicherheit für die Bürgerinnen und Bürger in Teilen nicht mehr gegeben ist. Egal ob ambulante, teilstationär oder stationäre Versorgung.

Das derzeitige System gibt keine Antworten auf die drängendsten Fragen der Demografiefestigkeit und Zukunftsfähigkeit und fährt damit weiter unaufhaltsam gegen die Wand. 

Viele Pflegeheimbetreiber gingen im Jahr 2023 in die Insolvenz, viele kämpfen jetzt noch ums Überleben. Und das, obwohl Pflegebedürftige oft Tausende Euro für einen Pflegeheimplatz bezahlen. Warum ist die Finanzierung von Pflegeheimen so schwierig (geworden)?

Karl Schulz: Das hat auch mit der schlechten Zahlungsmoral der Pflegkassen zu tun. Gepaart mit langwierigen und schwierigen Verhandlungen in Zeiträumen von mindestens sechs Monaten und mehr. Notwendige Höherstufungen dauern ähnlich lange.

Die Aufrechterhaltung der Liquidität ist eine der großen Herausforderungen. Und das bei gleichzeitigen Fachkräftemangel und daraus resultierender Minderauslastung und Mindereinnahmen. Der Einsatz von nicht refinanzierbarer Zeitarbeit beschleunigt nur die negative Spirale. 

Gerade in der Zeit der Coronapandemie – zumindest am Anfang – galten Pflegende als die Helden, denen applaudiert wurde. Sie müssten, so war allenthalben zu hören, mehr für ihre wertvolle Arbeit bekommen. Jetzt bekommen sie mehr und damit steigen im aktuellen System auch die Kosten für diejenigen, die die Pflege in Anspruch nehmen. Auch bei der aktuell vorgestellten Pflegereform bleibt Pflegebedürftigkeit im Alter das Armutsrisiko Nr. 1. Warum lässt man Bewohnerinnen und Bewohner in einem Altenheim nicht einen Sockelbetrag zahlen? Weitere notwendige Kosten wie Pflege und Behandlung werden von den Sozialkassen getragen. Das wäre eine Umkehr des bisherigen Systems und würde vor Armut im Alter schützen, weil die Selbstbeteiligung gedeckelt wäre.

Mit welchen Kostentreibern (steigende Mieten, hohe Energiepreise, Bürokratiemonster, Fachkräftemangel) haben Sie am meisten zu kämpfen?

Karl Schulz: Einerseits fehlt es an Geld, andererseits an Menschen, die die Arbeit erbringen. Mitarbeitende in der Pflege werden über teils unsinnige Vorgaben daran gehindert, Menschen die Zuwendung zukommen zu lassen, die sie verdienen. Der Anspruch auf gute und würdevolle Pflege ist nach meiner Meinung ein Menschenrecht.

Unter dem Strich sind die sogar manchmal von Fachleuten nicht mehr zu durchschauende Regelungen und Zuständigkeiten, unsinnige Dokumentationen und der Fachkräftemangel die größten Hindernisse.

Um dem Fachkräftemangel zumindest ein wenig entgegenwirken zu können, suchen wir Pflegekräfte auch im Ausland. Die Kosten für die Anwerbung, die Einreise und die Anerkennung der Abschlüsse aus dem Ausland werden nicht refinanziert. Eine Pflegefachkraft aus dem Ausland kostet uns zwischen 5.000 – 10.000 Euro bis sie als Fachkraft einsetzbar ist.

Des Weiteren werden notwendige Innovationen und Investitionen in Digitalisierung und Nachhaltigkeit bisher so gut wie gar nicht refinanziert. Gerade die notwendigen Investitionen zur Erreichung der Klimaziele werden bei den bestehenden Rahmenbedingungen für viele Träger und damit für die gesamte Sozialwirtschaft perspektivisch zur Insolvenzfalle.

Und was wiegt am schwersten? Warum?

Karl Schulz: Wir sind es den vielen Pflegenden – egal ob im familiären Kontext oder im sogenannten institutionellen Bereich – schuldig, hier zu grundlegenden, strukturellen Änderungen zu kommen. Unsere Mitarbeitenden benötigen ebenso dringend eine Perspektive für bessere Rahmenbedingungen. Gott sei Dank gibt es noch junge Menschen, die sich für diesen sinnstiftenden, tollen Beruf interessieren, und es gibt noch viele langjährige und erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit unendlich viel Herzblut und Engagement die Pflegebedürftigen versorgen und unterstützen.

Aber auch hier sind Grenzen erreicht, eigentlich überschritten, und wir müssen alle Sorge dafür tragen, dass Frustration und Belastung beherrschbar bleiben und alle möglichst schnell mit einer Perspektive ausgestattet werden.

Welche Auswirkungen hat diese Gemengelage konkret auf neue Projektentwicklungen bei Rummelsberger?

Karl Schulz: Wir überlegen sehr genau, ob und wie wir einerseits Angebote ausbauen. Darüber hinaus schauen wir selbst, an welchen Stellen wir unter Umständen auch zu viel angeboten haben. So schließen wir aktuell eine Tagespflege, weil wir wenige Kilometer weiter eine zweite haben. Die beiden waren vielleicht räumlich zu dicht aufeinander in einem ländlichen Bezirk. Das stellt aber nicht infrage, dass wir Seniorentagesstätten anbieten, denn die sind sinnvoll, entlasten Pflegende zu Hause, bringen den Seniorinnen und Senioren Lebensqualität und können auskömmlich betrieben werden. 

Selbstkritisch müssen wir sagen, die eine oder andere Entwicklung in der Sozialgesetzgebung mitgemacht zu haben, obwohl bei unseren eigenen Fachleuten Skepsis herrschte. Wir waren zuweilen weder von der Intention noch von der positiven Wirkung überzeugt.

Vielleicht wären wir heute weiter, wenn wir als Sozialpartner ab und zu Nein gesagt hätten.

Welche Ansätze sehen Sie, um die wirtschaftliche Lage von Betreibern/Pflegeheimen zu verbessern?

Karl Schulz: Im Moment: Ehrlich gesagt keine. Deswegen haben fünf Experten, zwei Juristen und ich Vorschläge zu einer signifikanten Veränderung des bestehenden Systems der Pflege formuliert. Es handelt sich um einen Diskussionsvorschlag zur Reform der Pflegeversicherung. Im Fokus stehen dabei die betroffenen Leistungsberechtigten und damit letztendlich die Auftraggeber. Ihnen soll, so das Papier, das unter www.rummelsberger-diakonie.de/fileadmin/user_upload/Diskussionsbeitrag_Pflegeversicherungsreform_web_2023.pdf heruntergeladen werden kann, ein persönliches Zeitbudget zur Verfügung gestellt werden, mit dem Pflege und Unterstützung selbstbestimmt gebucht werden können. Das wäre eine Perspektive, die sich bereits in der Eingliederungshilfe bewährt. Der Vorschlag befasst sich weiter damit, wie Leistungen jenseits eines starren Personalschlüssels übergreifend und wirksam Pflege und Betreuung sicherstellen können. Wir sehen den Diskussionsbeitrag als Startschuss: Die Akteure der Politik, die Kostenträger und die Sozialwirtschaft gehören an einen Tisch, bis es einen New Deal gibt. Wir müssen wieder vor die Krise kommen.

Es braucht eine Reform die den Namen wirklich verdient, denn das was die Politik derzeit vorlegt, wird die Probleme nicht einmal verringern.

Wie beziehungsweise mit welchen Maßnahmen reagiert Rummelsberger?

Karl Schulz: Das erarbeitete Papier ist das eine. Darüber hinaus versuchen wir, auf der politischen Ebene für unser Anliegen zu werben. Es geht dabei auch um Gerechtigkeit.

Jedem soll die Pflege zukommen können, die er braucht, unabhängig davon wie und wo er lebt.

Unsere Vorschläge stoßen auf Interesse. Das ist schon mal der erste Schritt. 

Wie wird sich der Pflegeheimmarkt in den kommenden Jahren wohl entwickeln? 

Karl Schulz:

Offensichtlich hat ja keine Trägerstruktur, weder private, noch frei-gemeinnützige oder kommunale wirklich gute Antworten. Es geht allen schlecht.

Ich werbe noch einmal dafür: Alle Beteiligten der Sozialwirtschaft gehören an einen Tisch. Dann muss ideologiefrei diskutiert werden, damit wir einen großen Wurf landen können, eben einen New Deal, diesmal für die Pflege. Wenn wir es nicht schaffen, die pflegerische Versorgung individualisiert, generationengerecht und nachhaltig aufzustellen, überlassen wir eine ganze Generation ihrem Schicksal.

Herzlichen Dank.

1 comment
  1. Ein spannendes Interview, vielen Dank Frau Lötzerich-Bernhard. Vorschläge für eine Strukturreform kommen von vielen Seiten; ebenso werden viele Positionspapiere veröffentlicht, die einen Systemwechsel fordern. Was bleibt davon? Die vielen Initiativen müssen sich vernetzen und an einem Tisch mit der Politik, den Kostenträgern und den Verbänden der Anbieter eine geeinte Umsetzung in Gang setzen. http://www.i-pag.de ist mit dem Vorschlag CareShare13 auf sehr große Resonanz gestoßen. Es helfen keine Beschönigungen mehr, sondern klare Worte müssen gesprochen werden. Wie bereits mehrfach betont: es ist fünf NACH zwölf!!

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