Der DBfK ist die berufliche Interessenvertretung der Gesundheits- und Krankenpflege, der Altenpflege und der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. Der DBfK ist deutsches Mitglied im International Council of Nurses (ICN) und Gründungsmitglied des Deutschen Pflegerates (DPR). Wir sprachen mit Frau Prof. Dr. h. c. Christel Bienstein, Präsidentin des DBfK; www.dbfk.de

Wie würden Sie die aktuelle Lage der Gesundheitsversorgung in unserem Land beschreiben?

Prof. Christel Bienstein: Die Gesundheitsversorgung steckt schon jetzt in der Krise, und diese wird sich verschärfen. Die Pflegekrise ist dabei das zentrale Problem, das dringend behoben werden muss. Uns fehlen schon heute rund 200.000 Pflegestellen – und bis 2030 werden es bis zu 500.000 fehlende Stellen sein. Dieses Problem werden wir ohne grundsätzliche Reformen im Gesundheitswesen nicht lösen können. Auch die Anwerbung von Pflegenden aus dem Ausland kann angesichts des weltweiten Mangels nicht der einzige Ansatz sein.

Neue pflegerische Berufsbilder in Gesundheitsförderung und Prävention wie die Community Health Nurse können Pflegebedürftigkeit vermeiden.

Hervorheben: Dazu braucht es neue Versorgungsmodelle wie Primärversorgungszentren, außerdem eine neue Aufgabenverteilung unter den Gesundheitsberufen.

Dafür müssen wir massiv in Bildung und insbesondere in Pflegebildung investieren. Denn in einer alternden Gesellschaft mit großen medizinischen Fortschritten ist Gesundheit und gutes Leben mit Krankheit auf hochqualifiziertes Pflegepersonal angewiesen. 

Nach dem ersten Jahr der Ampelregierung: Welche Maßnahmen und pflegepolitischen Reformen wurden aus Ihrer Sicht bis jetzt erfolgreich umgesetzt?

Prof. Christel Bienstein: Zuvor hat die Konzertierte Aktion Pflege keine bedeutenden Verbesserungen für die Pflege gebracht.

Letztes Jahr ist mit der PPR 2.0 zwar ein erster Schritt zu besseren Personalschlüsseln erfolgt, aber viele weitere Maßnahmen und Reformen sind noch offen.

Es sollte jetzt mit Mut und Tempo an weitere grundlegende Reformen gehen. Mit der angekündigten Krankenhausreform können – gut gemacht – viele sinnvolle Maßnahmen zur Verbesserung der Situation in der Pflege auf den Weg gebracht werden.

Wo sehen Sie noch sehr große Herausforderungen und dringenden Handlungsbedarf – vor allem in Bezug auf die Bereiche der beruflichen Pflege?

Prof. Christel Bienstein: Ganz grundsätzlich muss die Expertise der professionell Pflegenden wirklich anerkannt werden, und das drückt sich entschieden auch in Mitbestimmung und Handlungsspielräumen aus. Deshalb fordern wir die Heilkundeübertragung und die Mitbestimmung in den relevanten Gremien. Pflegebildung spielt eine Schlüsselrolle für die Sicherung der Gesundheitsversorgung und die Aufwertung des Berufs.

Die Herausforderungen in der professionellen Pflege werden in einer alternden und multimorbiden Gesellschaft komplexer, und es werden mehr wissenschaftliche Erkenntnisse in der Praxis erforderlich.

Die Pflegestudiengänge müssen daher ausgebaut und gefördert werden. Zudem wird der Beruf attraktiver, wenn er Karrierewege ermöglicht, die sich finanziell lohnen und in denen man auf Augenhöhe und eigenverantwortlich im Gesundheitswesen agieren kann.

Wie können die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessert werden?

Prof. Christel Bienstein: Professionell Pflegende wollen ihre Kompetenzen zum Wohle der Menschen mit Pflegebedarf einsetzen. Wenn das nicht geht, weil Zeit fehlt oder der rechtliche Rahmen es nicht zulässt, frustriert das und führt in vielen Fällen zum Berufsausstieg. Der Personalschlüssel und der Qualifikationsmix sind daher wichtige Hebel für bessere Rahmenbedingungen – und dafür sind wiederum faire Gehälter notwendig. Wenn die Qualifikation, die Verantwortung und die Belastung sich gleichen, sollte auch das gleiche Gehalt gezahlt werden. Das gilt innerhalb der Pflegeberufe und darüber hinaus.

Pflegefachpersonen und Ingenieurinnen/Ingenieure sind Studien zufolge auf dem gleichen Niveau anzusiedeln, die Gehaltsunterschiede sind aber immens.

Und welche Änderungen/Verbesserungen wünsche Sie sich in der Pflegebildung? Wie sieht für Sie ein umfassendes, schlüssiges Bildungskonzept für Pflegeberufe aus?

Prof. Christel Bienstein: Ich wünsche mir ein Pflegebildungskonzept, in dem es durchgängige und bundeseinheitliche Wege von der Assistenz bis zur Professur gibt. Dabei muss die akademische Ausbildung massiv ausgebaut und gefördert werden. Sie ist in Deutschland ganz besonders unterentwickelt. Es gehört dazu, dass die Praxiseinsätze im primärqualifizierenden Studium bezahlt werden, dass es Promotionsprogramme gibt, um den pflegewissenschaftlichen Nachwuchs und damit auch die benötigten Professuren zu qualifizieren.

Die komplexeren Pflegebedarfe erfordern auch mehr Kolleginnen und Kollegen mit Masterabschluss in der direkten Versorgung – das sind Advanced Practice Nurses in den Klinken und Einrichtungen und Community Health Nurses in der Primärversorgung.

Deutlich wird dieser Bedarf auch, wenn man sich die Stellungnahmen der Regierungskommission zur Reform der Krankenhäuser und Notfallversorgung anschaut, in denen Pflegefachpersonen eine tragende Rolle spielen. Ohne hochqualifiziertes Pflegepersonal kann das nicht gelingen.

Wie bewerten Sie hinsichtlich „Pflege“ die vom Bundesgesundheitsminister angekündigten Reformen, wie zum Beispiel die Einführung von Gesundheitskiosken und die Krankenhausreform? Was muss noch passieren, um die Gesundheitsversorgung in Deutschland langfristig zu sichern?

Prof. Christel Bienstein: Die Reformpläne bieten eine Chance, die Versorgung der Bevölkerung zu verbessern und zugleich der Pflegekrise entgegenzuwirken. Wir sehen im Vergleich zu anderen OECD-Ländern, dass wir das teuerste Gesundheitssystem haben und auch bei den Pflegefachpersonen pro Kopf weit vorne liegen.

Aber der Gesundheitsstatus bei uns ist gerade einmal Mittelmaß und die Anzahl von Pflegefachpersonen pro Krankenhauspatient liegt weit unter dem Durchschnitt. Wir sehen also deutlich, dass wir eine Fehlversorgung im System haben, die dringend behoben werden muss. 

Die Sorge um Gesundheit setzt bei uns zu spät an, meistens eben erst, wenn die Menschen schon krank sind. Gesundheitskioske und Primärversorgungszentren unter der Leitung von Community Health Nurses erreichen die Menschen früher und können daher Gesundheit fördern und erhalten oder ein gutes und eigenständiges Leben mit einer chronischen Erkrankung ermöglichen. Damit diese Chancen genutzt werden können, müssen die Strukturen im Leistungs- und Heilberuferecht geschaffen werden. 

Herzlichen Dank für die Beantwortung unserer Fragen.

Foto: © Gudrun Arndt 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert