Die Digitalisierung des Gesundheitswesens war 2024 allgegenwärtig – für Industrie, Kostenträger und Leistungserbringer gleichermaßen. Doch das abrupte Ende der Ampel-Koalition hat die digitalpolitische Agenda jäh unterbrochen. Während manche Akteure den Stillstand als Chance zur Konsolidierung sehen, sorgt die vorläufige Haushaltsführung für Unsicherheit und lähmt Innovationen.

Zwischen Vollbremsung und angezogener Handbremse

Die gescheiterte Bundesregierung hinterlässt eine digitalpolitische Lücke. Wichtige Reformen und Gesetzesvorhaben wurden gestoppt oder vertagt. Besonders im Bereich der Krankenhausreform wurden zwar noch richtungsweisende Maßnahmen verabschiedet, doch zentrale digitalpolitische Initiativen, darunter Regelungen zur Telemedizin und digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA), müssen auf eine neue Regierung warten. Die kommenden Bundestagswahlen entscheiden daher über die weitere Richtung der digitalen Gesundheitsstrategie – für manche mit Hoffnung, für andere mit Sorge.

Während das Regierungs-Aus eine plötzliche Vollbremsung bedeutete, gleicht die aktuelle vorläufige Haushaltsführung einer angezogenen Handbremse. Neue Förderprojekte und Investitionen stehen auf der Kippe, da Mittel nicht bewilligt werden. Dies betrifft insbesondere Forschungsvorhaben im Gesundheitsbereich, die unter dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) laufen. Verzögerte Bewilligungen führen zu Unsicherheiten, Personalabwanderung und steigenden Projektkosten. Kurzfristig bleibt die Katastrophe aus, doch langfristig droht Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren.

Verordnungen als Brücke bis zur neuen Regierung

Gesetzliche Vorhaben ruhen, doch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) nutzt Verordnungen als Steuerungsinstrument. Zwei aktuelle Beispiele sind die C5-Äquivalenz-Verordnung sowie Regelungen zur anwendungsbegleitenden Erfolgsmessung von DiGA, die aus dem Digital-Gesetz abgeleitet wurden. Diese Maßnahmen bieten Spielraum für Fachdebatten und Detailausarbeitungen, die ohne den politischen Druck eines laufenden Gesetzgebungsprozesses tiefergehender geführt werden können.

Atempause für die Umsetzung digitaler Projekte

Trotz politischer Ungewissheit schreitet die Digitalisierung im Gesundheitswesen voran. Die elektronische Patientenakte (ePA) startete am 15. Januar 2025 in Modellregionen. Der Wechsel vom Opt-in zum Opt-out sowie die damit verbundene flächendeckende Einführung sind bedeutende Meilensteine der Ampel-Regierung. Besonders die Pflegebranche wird in den kommenden Monaten verstärkt in die Umsetzung eingebunden.

Auch die Krankenhäuser befinden sich mitten in ihren Digitalisierungsprojekten. Die Fortschritte des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) zeigen messbare Erfolge: Der Digitalradar Score stieg um über 25 Prozent, und der Breitbandausbau in Krankenhäusern hat sich massiv verbessert. Während viele Häuser noch an ihren Projekten arbeiten, profitieren sie von der vorübergehenden digitalpolitischen Pause, um ihre Implementierungsprozesse zu stabilisieren.

Brüssel und Berlin: Digitales Momentum nicht verlieren

Der Blick geht über Deutschland hinaus: In Brüssel werden entscheidende Weichen für die digitale Zukunft gestellt. Die Umsetzung des EU AI Acts und des Europäischen Gesundheitsdatenraums (EHDS) sind zentrale Themen, die auf nationaler Ebene dringend weiterentwickelt werden müssen. Ebenso steht die strukturelle Neuordnung der Gematik durch das Gesundheits-Digital-Agentur-Gesetz (GDAG) aus. Ein besonderes Problem bleibt die fehlende Rechtsgrundlage für die Vergabe der Krankenversichertenummer (KVNR) in der privaten Krankenversicherung – ein Hemmschuh für die Teilnahme von Privatversicherten an der Telematikinfrastruktur.

Zeit nutzen und Weichen für die Zukunft stellen

Die Bundestagswahl und die anschließende Regierungsbildung werden Zeit in Anspruch nehmen. Die neuen Mehrheitsverhältnisse könnten die politischen Akteure vor ähnliche Herausforderungen stellen, an denen die Ampel zerbrochen ist. Bis dahin liegt es an den Akteuren der Branche, diese Atempause strategisch zu nutzen – zur Stabilisierung, zur weiteren Digitalisierung der Organisationen und zur Vorbereitung auf die nächste politische Phase.

Denn eines ist klar: Wer sich jetzt gut positioniert, wird beim nächsten Digitalisierungsschub des Gesundheitswesens an vorderster Front stehen.

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