In seinem europaweiten Betreuungs- und Pflegedienstleistungsnetzwerk bietet Korian unter anderem Langzeitpflegeeinrichtungen, betreutes Wohnen, alternative Wohnkonzepte, Intensivpflege sowie häusliche Pflege- und Serviceleistungen. Neben Deutschland und Frankreich ist die Korian Gruppe auch in Belgien, Italien, den Niederlanden, Spanien und Großbritannien aktiv. Mit Sitz in München betreibt Korian Deutschland rund 230 Einrichtungen und 51 ambulante Dienste (www.korian.de). Wir sprachen mit Francois de Chalendar, Chief Information Officer bei Korian Deutschland, über die Digitalisierung in der Altenpflege.
Wie hoch sind digitale Innovationsstrategien bei Korian aufgehängt? Und wer/welche Stelle ist für die Förderung und Implementierung der Innovationsstrategien verantwortlich?
Francois de Chalendar: Korian fördert digitale Innovationsprojekte auf höchster Ebene.
Es gibt einen Digitalisierungsausschuss, der unsere Spitzenprojekte koordiniert und begleitet.
Bei der Implementierung von Innovationen spielen zudem die verschiedenen Fachabteilungen eine wichtige Rolle. Einige Projekte werden beispielsweise von unserem zentralen Qualitätsmanagement geleitet.
Welche digitalen Innovationsstrategien verfolgt Korian konkret? Und was sind die größten Herausforderungen?
Francois de Chalendar: Um die Potenziale der Digitalisierung auch im Pflege- und Gesundheitsbereich voll ausschöpfen zu können, brauchen wir eine gemeinsame IT-Infrastruktur für alle Akteure.
Ich nenne hier vor allem Schnittstellen wie Pflegeeinrichtungen, Ärzte, Therapeuten und Angehörige. Die Pflege muss zukünftig ebenfalls an die Telematik-Infrastruktur angebunden werden.
Auch die sehr hoch angesetzten Datenschutzbestimmungen, die sich zum Teil von Bundesland zu Bundesland unterscheiden, stellen eine große Herausforderung für das Vorantreiben der Digitalisierung dar.
Wir benötigen daher einheitliche Datenstandards und eine entsprechende Refinanzierung der nötigen Investitionen. Zudem muss die Refinanzierung digitaler Innovationen geregelt sein.
In wenigen Einrichtungen stehen wir vor der Herausforderung, eine gute WLAN-Infrastruktur zu schaffen, denn sie ist die Grundvoraussetzung für digitale Innovationen. Dort sind aufgrund dicker Wände, die die Konnektivität einschränken, umfangreiche Bauarbeiten nötig.
Welchen Fokus setzen Sie bei der Digitalisierung beziehungsweise bei welchen digitalen Produkten?
Francois de Chalendar: Uns ist ganz wichtig: Digitalisierung ist kein Selbstzweck! Es geht nicht um schicke Anglizismen oder Hochglanzprojekte. Stattdessen ist unser Maßstab: Wie können wir die Pflege unserer Bewohnerinnen und Bewohner ganz konkret verbessern? Wo können wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ganz konkret entlasten?
Vor dem flächendeckenden Einsatz neuer digitaler Anwendungen testen wir diese daher auf konkrete Funktionalität und Praktikabilität.
Zudem legen wir großen Wert darauf, unsere Bewohnerinnen und Bewohner und Angehörigen über digitale Innovationen zu informieren und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend zu schulen.
Denn Verständnis und Akzeptanz digitaler Lösungen sind die unabdingbare Voraussetzung dafür, dass diese auch wirklich angewendet werden.
Welche Digitalisierungsprojekte wurden dabei bereits erfolgreich umgesetzt?
Francois de Chalendar: In unseren Einrichtungen wurden in den vergangenen Jahren eine Vielzahl an Digitalisierungsprojekten umgesetzt.
Bis auf wenige Ausnahmen sind alle unserer rund 230 Einrichtungen mit WLAN ausgestattet. Denn das ist die Grundvoraussetzung für alle weiteren Digitalisierungsprojekte.
Auf unserer Einkaufsplattform Koriando können sowohl die Einrichtungen als auch die Zentrale unter einer Vielzahl von Produkten die passenden auswählen und digital bestellen.
Zudem arbeiten unsere Häuser und ambulanten Dienste mit einer EDV-gestützten Dokumentation. Dadurch gewinnen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Zeit, die sie für die Pflege und Betreuung unserer Bewohnerinnen und Bewohner nutzen können.
Darüber hinaus haben wir zu Beginn der Corona-Pandemie alle Häuser mit Tablets ausgestattet, mit denen unsere Bewohnerinnen und Bewohner zum Beispiel per Skype ihre Angehörigen zu Hause sprechen und sehen konnten. Dies war ein ganz wichtiger Punkt in der schwierigen Zeit der Pandemie.
Des Weiteren kommt in unseren Einrichtungen die App Lindera zum Einsatz, die mittels Gangbildanalyse das Sturzrisiko bestimmt und zugleich mögliche Maßnahmen anbietet.
Dadurch konnten wir die Zahl der Stürze in den Einrichtungen, in denen die App eingeführt wurde, um bis zu 60 Prozent reduzieren.
Wir haben die App gemeinsam mit dem Start-up Lindera dahingehend weiterentwickelt, dass die Daten nun direkt in die EDV-Dokumentation übertragen werden können – eine echte Zeitersparnis für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Ein weiteres erfolgreiches Projekt ist der Onlinelieferservice BringLiesel. Per App können unsere Bewohnerinnen und Bewohner Produkte des täglichen Bedarfs ganz einfach aussuchen und bestellen. Der Einkauf wird direkt in die Einrichtung geliefert und von den Pflegekräften überbracht.
Ein Angebot, das von Bewohnerinnen und Bewohner, die nicht mehr selbst einkaufen können, sehr gerne angenommen wird.
Als weitere digitale Innovationen sind noch die E-Learning-Plattform der Korian-Akademie sowie die App „Super Nurse“ zu nennen. Beide Tools ermöglichen digitale Lern- und Weiterbildungsangebote.
Damit können wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schnell, umfassend und dezentral schulen.
Zu Beginn der Corona-Pandemie hatten wir zusammen mit dem Start-up W-AYS unsere „Besucher-App“ entwickelt. Die App ermöglicht eine bessere Koordinierung der Besuche von Angehörigen, entlastet Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und hilft im Fall einer COVID-19-Infektion, die Kontaktpersonen schnell zu ermitteln.
Die App kommt mittlerweile auch bei anderen Trägern zum Einsatz.
Auch in anderen Ländern, in den Korian aktiv ist, suchen wir nach digitalen Neuerungen und etablieren diese, wenn möglich, unternehmensweit. In Frankreich sammeln wir gerade erste Erfahrungen mit dem Thema Robotik, etwas das sicher auch für all unsere Standorte interessant sein dürfte.
Unser Ziel ist, all diese Einzelmaßnahmen zu einem übergreifenden Konzept zusammenzufügen.
Denn Digitalisierung bietet die Chance, sowohl die Effizienz, zum Beispiel durch eine elektronische für alle Beteiligten zugängliche Dokumentation, als auch die Effektivität, zum Beispiel durch die permanente Gewährleistung von Nähe und Sicherheit auch in neuen Wohnformen, deutlich zu steigern.
Bitte beschreiben Sie uns den Nutzen für die Mitarbeitenden? Und wie profitieren die Bewohnerinnen und Bewohner von den Digitalisierungsmaßnahmen?
Francois de Chalendar: Digitale Lösungen können unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Alltag entlasten und unterstützen. Beispielsweise gewinnen sie dank der EDV-gestützten Dokumentation Zeit, die sie für die Pflege und Betreuung unserer Bewohnerinnen und Bewohner nutzen können.
Digitale Innovationen ermöglichen zudem ganz neue Behandlungsmöglichkeiten und steigern gleichzeitig das Wohlbefinden unserer Bewohnerinnen und Bewohner.
Unsere Bewohnerinnen und Bewohner profitieren zudem von neuen Serviceangeboten, sei es die Kommunikation mit ihren Angehörigen oder der Einkauf beim Onlinelieferservice. Das sind neue Angebote, die das Leben erleichtern und die es ohne Digitalisierung überhaupt nicht gäbe. Daher werden sie von den Bewohnerinnen und Bewohnern auch sehr gut angenommen.
Welche Digitalisierungsprojekte stehen als Nächstes an?
Francois de Chalendar: In unserer Einrichtung in Karlsfeld (Bayern) ist gerade das Projekt „Pflege 2030“ gestartet. Gemeinsam mit der Korian-Stiftung, dem Fraunhofer Institut und der Uni Bremen testen wir die Umsetzung des neuen Pflegepersonalbemessungsverfahrens unter Berücksichtigung digitaler Anwendungen. Gefördert wird das Projekt vom bayerischen Gesundheitsministerium.
In einem nächsten Schritt werden wir unseren Pflegekräften sowohl ambulant als auch stationär die mobile Dokumentation ermöglichen. Zudem befindet sich aktuell eine automatische Sprachdokumentation in der Pilotphase.
Ein weiterer Fokus liegt auf der digitalen Sturzprävention mit Sensorböden und Robotik sowie einem digitalem Recruiting-Tool.
Herzlichen Dank für Die Beantwortung unserer Fragen.