Wir sprachen mit der Erfinderin der Tovertafel und CEO von Active Cues, Hester le Riche. Mittels interaktiver Lichtprojektionen können bei Menschen mit Demenz unerwartete Ressourcen aktiviert werden, sie haben Spaß und erleben sich als kompetent. Davon profitieren nicht nur die Bewohner, sondern auch die Pflegenden und die Angehörigen.
Frau Dr. Le Riche, Sie haben vor fünf Jahren die Tovertafel entwickelt. Welches Fazit ziehen Sie nach diesen fünf Jahren?
Hester le Riche: Wir sind unglaublich stolz, dass wir den Pflegebereich mit der Tovertafel bereits seit fünf Jahren nachhaltig beeinflussen. In dieser Zeit ist Active Cues nicht nur erwachsen geworden, sondern auch zu einem Unternehmen mit rund 50 Mitarbeitern herangewachsen. Doch viel wichtiger: Wir machen einen Unterschied im Leben von Menschen mit Beeinträchtigungen. Menschen mit Demenz, Erwachsene mit geistiger Behinderung, Familienangehörige: Wir sorgen dafür, dass alle aktiv teilnehmen, Spaß haben, sich weiterentwickeln und soziale Kontakt knüpfen können. Auf das Pflegepersonal hat die Tovertafel ebenfalls einen positiven Effekt, hat sich bei Studien herausgestellt. Kurzum: Wir schaffen Glücksmomente in der Pflege.
Warum die Tovertafel (zu Deutsch Zaubertisch)?
Hester le Riche: Ganz zu Beginn des Projekts saß ich mit einigen Bewohnern um einen großen Tisch herum und wir spielten gemeinsam mit den Lichtprojektionen. Neben mir saß ein älterer Herr mit Demenz, der schon mehr als vier Wochen kein Wort mehr gesprochen hatte. Er schaute ganz fasziniert auf die sich bewegenden Lichtspiele auf dem Tisch, beugte sich dann zu mir herüber und flüsterte mir ins Ohr: “Das ist ein Zaubertisch, nicht wahr?” Und damit hatten wir den passenden Begriff für unser innovatives Produkt gefunden.
Wie haben Sie die Tovertafel entwickelt?
Hester le Riche: Wir arbeiten nach der sogenannten Co-Designmethode. Das heißt, wir entwickeln all unsere Produkte in enger Zusammenarbeit mit unserer Zielgruppe: Gemeinsam mit Pflegekräften, Verhaltenstherapeuten, Begleitern und Familienangehörigen vertiefen wir uns während kreativer Sitzungen in die Interessen, Bedürfnisse und Erlebniswelt von Betroffenen. So können wir dafür sorgen, dass sie durch unsere Produkte optimal stimuliert werden.
Wie funktioniert die Tovertafel genau?
Hester le Riche: Die Tovertafel ist ein Gerät, das an der Decke angebracht wird, beispielsweise über dem Esstisch einer Pflegeeinrichtung. In diesem Gerät befinden sich ein hochwertiger Beamer, Infrarotsensoren, Lautsprecher und ein Prozessor, mit dem die Spiele auf den Tisch projiziert werden. So entstehen farbenfrohe Projektionen auf dem Tisch, die auf Hand- und Armbewegungen reagieren.
Berührt man zum Beispiel eine Blüte, wird diese immer größer und schöner. In einem anderen Spiel bewegen sich Seifenblasen über den Tisch, die durch Berührung zum Platzen gebracht werden können. So können die Bewohner selbstständig die Lichtprojektionen berühren und verändern und haben Spaß dabei.
Welche Rolle spielt Technologie in der Betreuung von Demenzkranken?
Hester le Riche: Wir glauben, dass Technologie eine Schlüsselrolle in der Beziehung zwischen Pflegekraft und Bewohner spielen und Bewohnern mehr Selbstständigkeit und Pflegemitarbeitern mehr Freude an der Arbeit schenken kann. Wir möchten die schöne Seite von Technologie im Pflegebereich hervorheben. Um für dieses Thema strukturell zu sensibilisieren, haben wir das Konsortium “Kraft der Innovation” ins Leben gerufen. Diesem sind inzwischen zahlreiche Partner aus dem Pflegebereich, der Wirtschaft, dem Bildungswesen und dem Technologiesektor beigetreten. Gemeinsam wollen wir zeigen, wie wichtig Technologie für den Pflegebereich ist.
Wie kann die Tovertafel jetzt in Zeiten von Corona unterstützen?
Hester le Riche: Da zur Zeit der Besuch in Pflegeeinrichtungen nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt möglich ist, führt dies zu sozialer Isolation und Einsamkeit. Die Tovertafel bietet die Möglichkeit, Menschen zu aktivieren. Hierdurch entstehen wertvolle Kontaktmomente für die Bewohner und Kunden, sowohl untereinander als auch mit dem Pflegepersonal. Diese Momente sind gerade jetzt für diese Zielgruppe wichtiger denn je.
Wir haben uns daher auch dazu entschlossen, bis 1. Juni alle Tovertafel-Spiele frei zugänglich zu machen. Nutzer der Tovertafel haben somit Zugang zum kompletten Spieleangebot und können für ihre Bewohner und Pflegemitarbeiter zusätzliche Momente der Freude und des persönlichen Kontakts schaffen.
Eignet sich die Tovertafel für alle Menschen mit Demenz?
Hester le Riche: Wir haben die Tovertafel speziell für Menschen in der mittleren und späten Phase der Demenz entwickelt. Die Spiele sind genau auf diese Zielgruppe abgestimmt, damit sie in der Lage sind, dieses Spiel selbstständig zu spielen und dabei auch Erfolgserlebnisse haben. Eine sensorische Stimulation gelingt in diesem Stadium der Demenz noch sehr gut.
Die Bewohner können sich entweder selbstständig oder unter Aufsicht der Betreuung, mit denTovertafel Spielen beschäftigen. Oder in der Gruppe und mit Pflegemitarbeitern und Angehörigen. Physiotherapeuten nutzen die Spiele, um gezielt Bewegungen zu fördern.
Wie können Menschen mit Demenz von Spielen profitieren?
Hester le Riche: Menschen mit fortgeschrittener Demenz müssen viele Verluste hinnehmen und mit unterschiedlichsten Einschränkungen leben. Beim Spielen wird Apathie reduziert und sie haben ein Erfolgserlebnis, das stärkt das Selbstvertrauen.
Spiele stimulieren dabei auf unterschiedlichen Ebenen: Sie fördern die Bewegung, die Kognition und das soziale Miteinander. Die Einschränkungen durch eine Demenz oder Schmerzen werden durch ein Spiel natürlich nicht ‘weggezaubert’, aber die Bewohner mit Demenz sind für eine Weile davon abgelenkt und sind glücklich.
Sie arbeiten eng mit Universitäten auf der ganzen Welt zusammen. Was sagen Forschungsergebnisse über die Wirkung von Tovertafel?
Hester le Riche: Die Studien sind vor allem auf die Bewegungsförderung fokussiert und zeigen, dass die Tovertafel positive Effekte auf die körperliche Aktivität der Bewohner hat. Folgestudien konnten belegen, dass Tovertafel Apathie, Anspannung sowie herausfordernde Verhaltensweisen reduziert, soziale Interaktion fördert und positive Emotionen weckt.
Auch für die Pflegemitarbeiter sind eindeutige Effekte nachweisbar: Durch den Einsatz von Tovertafel erleben Pflegende eine geringere Arbeitsbelastung und einen ruhigeren Arbeitsalltag.
Welche Rückmeldungen erhalten Sie von Pflegemitarbeitern, die mit Tovertafel arbeiten?
Hester le Riche: Wir bekommen viele Briefe und E-Mails von Pflegenden, die uns oft ganz erstaunliche Erlebnisse schildern: Bewohner, die Jahre nicht mehr gesprochen haben, beginnen plötzlich wieder zu reden, bewegen sich wieder oder nehmen am Gemeinschaftsleben teil.
Pflegende erleben, dass mit die Tovertafel wieder eine geeignete Form der Aktivierung für Menschen mit schwerer Demenz möglich ist. Es scheint, als ob Tovertafel ein bisschen Magie in den Pflegealltag bringt.
Was ist aus Ihrer Sicht das wichtigste Argument, die Tovertafel in Pflegeeinrichtungen einzusetzen?
Hester le Riche: Eine Demenz ist keine leichte Erkrankung, gerade im fortgeschrittenen Stadium. Das wichtigste Argument ist für mich, dass mit der Tovertafel die Lebensqualität von Menschen mit Demenz, der Pflegemitarbeiter und der Angehörigen deutlich verbessert wird.
Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen.
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