Prof. Dr. Matusiewicz steht für die Digitale Gesundheit in Deutschland. Er ist Dekan und Institutsdirektor an der FOM Hochschule und geschäftsführender Gesellschafter der DXM Group. Er ist zudem Wissenschaftler, Multi-Founder, Herausgeber, Autor, Keynote Speaker und Moderator im Gesundheitswesen; https://dxmg.de/.
Es heißt, es gibt keine guten Unternehmen. Es gibt nur gute Unternehmer. Was macht einen guten Jungunternehmer, der ein Start-up gegründet hat, aus?
Prof. Dr. David Matusiewicz: Also, ich kenne diesen Spruch, klar. Doch allein der gute Unternehmer reicht für ein gutes Unternehmen nicht aus, denn ich benötige beides. Wenn ich kein passendes, funktionierendes Unternehmensgeschäftsmodell vorweisen kann, dann nutzt mir der empathischste, netteste, beste Gründer nichts. Aber es stimmt schon, dass dieser Spruch auch einen gewissen philosophischen Charakter in sich trägt. Denn schlussendlich liegt der Fokus vieler Investoren beim Menschen beziehungsweise investieren Geldgeber in Menschen, da verschiedene Menschen und Konstellationen mit dem ein oder anderen Geschäftsmodell oder Geschäftsthema besser umgehen und darauf reagieren können. Auf der anderen Seite sieht man allerdings auch, dass viele Unternehmen aufgrund von Menschen scheitern. Ein Beispiel: Zwei Freunde haben ein Start-up gegründet, und es ist erfolgversprechend angelaufen. Doch dann zerstreiten sich die beiden Jungunternehmer. Und wegen der auseinandergebrochenen persönlichen Ebene, funktioniert auch das Geschäft bald nicht mehr wie gewünscht – obwohl das Produkt beziehungsweise die Dienstleistung gut ist. Im Positiven raufen sich die beiden Freunde wieder zusammen, im Negativen bleibt der Konflikt ungelöst. So beeinflussen die unterschiedlichsten Beziehungskonstellationen immer auch die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens – das ist eben die menschliche Komponente.
Für einen Investor ist das Gesamtbild wichtig. Ein Investor braucht von einem guten Jungunternehmer ein belastbares Geschäftsmodell.
Und hier reden wir nicht von einem ewig langen Businessplan von 40, 80 Seiten, denn den liest sowieso niemand (tldr – too long didn’t read, wie Journalisten es gerne ausdrücken). Es geht vielmehr darum, einen Onepager vorlegen zu können, der die wesentlichen Aspekte und die Ziele des Start-ups ganz konkret aufzeigt und das Unternehmen unter Berücksichtigung des Wettbewerbs klar und eindeutig positioniert. Wichtig ist auch, dass die richtige Manpower für die entsprechenden Tätigkeitsfelder und Aufgaben im jungen Unternehmen dahintersteht. Beispielsweise sind bei Investoren diverse Teams gern gesehen. Alles in allem machen die genannten Punkte ein Start-up für einen Investor zu einer spannenden Sache.
Was unterscheidet die Start-up-Welt von der klassischen Unternehmenswelt?
Prof. Dr. David Matusiewicz: Aus meiner Sicht ist der Purpose das größte Unterscheidungsmerkmal. Einige (Groß-)Unternehmen verlieren im Laufe der Zeit oder auch über Jahrzehnte hinweg ihren eigentlichen, übergeordneten Unternehmensnutzen aus den Augen, sie verlieren die Seele des Unternehmens, sie verlieren die Leidenschaft. So kann es passieren, dass zum Beispiel eine IT-Firma keine eigenen Ideen und Projekte mehr hervorbringt, und sich praktisch nur noch über Wasser hält.
Im Gegensatz dazu steht bei einem Start-up der Purpose ganz stark im Mittelpunkt – für das kleine, junge Unternehmen zu leben, auch etwas mehr dafür zu geben und zu wissen, wofür etwas getan, neu entwickelt, neu aufgebaut wird.
Es herrscht ein Gründergeist, eine riesige Begeisterung und eine Hingabe dafür, mit einer bestimmten Idee, einer Funktion, einer Dienstleistung, einem Produkt etwas zu verbessern, eben etwas tun zu können. Ich denke, das ist der wesentliche Unterschied zu den großen Unternehmen, in dem jeder ein Rädchen ist und nur das zählt, was am Ende des Tages hinten aus der Fabrikhalle herauskommt.
Welche Schlüsselindikatoren sollten für Start-up-Investoren erfüllt sein, damit junge Unternehmen für sie interessant sind?
Prof. Dr. David Matusiewicz: Als BWLer sage ich, es muss auf jeden Fall ein USP (Unique Selling Proposition) vorhanden sein. Ein junges Unternehmen braucht also ein Alleinstellungsmerkmal, es braucht einzigartige Verkaufsargumente sowie eine konkrete Positionierung und ein klares Unterscheidungsmerkmal vom Wettbewerb. Es bringt rein gar nichts, die x-te Dokumentations-App im Gesundheitswesen oder für die Pflege auf den Markt bringen zu wollen, mittels der man bestehende analoge Prozesse (zum Beispiel Checklisten) nun digitalbasiert abbildet. Das braucht kein Mensch mehr, denn es gibt mittlerweile genügend Möglichkeiten, auch genügend Nicht-Healthcare Tools, auf die man zurückgreifen kann.
Was gebraucht wird, sind fast schon disruptive Ideen, das heißt, es braucht den Willen, etwas ganz anders machen, ganz neue Lösungen finden zu wollen.
Eine Methode, die hier häufig Anwendung findet, ist das sogenannte First Principle Thinking, bei diesem Ansatz wird zuallererst ein Prozess und/oder ein Problem bis auf den Anfangspunkt, den fundamentalen Kern heruntergebrochen und danach kritisch hinterfragt: Wieso gibt es das? Brauche ich das? Und wenn ich das brauche, wie kann ich es auf eine völlig neue Art machen? Diese Methode soll dazu führen, umzudenken, kreative, innovative Lösungen zu finden, die sich vom Althergebrachten unterscheiden und wesentliche Verbesserungen ermöglichen. Es geht eben nicht einfach darum, analoge Prozesse vom Papier 1:1 ins Digitale zu übersetzen, sonders es geht schlussendlich darum, ganze Prozesse und auch Geschäftsmodelle zu überdenken und neu zu denken.
Und welche sind das speziell im Bereich Gesundheitswesen/digitale Transformation im Gesundheitswesen?
Prof. Dr. David Matusiewicz: Das ist davon abhängig, welcher Investor in welchen Gesundheitssektor investiert. Zudem investieren die Geldgeber zu verschiedenen Zeitpunkten, also entweder früher oder später, sprich, existiert das Start-up-Unternehmen beziehungsweise das Kleinunternehmen bereits und werden schon Umsätze erzielt oder nicht. Ein belastbarer Indikator für eine Investition ist sicher die Betrachtung und Einbeziehung des demografischen Wandels, denn die Menschen werden immer älter. Deswegen ist diese Altersgruppe interessant und verspricht auch nachhaltige Investments.
Die Schlüsselindikatoren sind multifaktoriell. Im Bereich des Gesundheitswesens ist es besonders wichtig, dass dieser besondere Markt verstanden wird. Das bedeutet, dass die einzelnen Akteure ein Begriff sind, die Finanzierungssystematik verstanden gilt, und auch rechtliche Rahmenbedingungen sollten ebenso betrachtet werden.
Gerade multiprofessionelle Teams (Arzt/Pflegender/Therapeut, BWLer, ITler etc.) sind gefragt, die die einzelnen Bereiche gemeinsam beherrschen und sich vor allem gegenseitig sinnvoll ergänzen.
Generell kann man postulieren: Die Mischung aus verschiedenen Indikatoren macht ein Investment für Geldgeber interessant: Auf Gründer- beziehungsweise Jungunternehmerseite muss eine überzeugende Idee oder ein überzeugendes Projekt vorhanden sein. Wichtige Aspekte für Investoren sind sicher auch vorhandene Erfahrungen, spezifische Kompetenzen und die eigentliche Gründungsmotivation. Nicht selten (oder auch sinnvollerweise) wird ein Start-up aus der eigenen Berufserfahrung des Jungunternehmers heraus gegründet, da in dem Falle auf bestehende Beziehungskonstellationen, funktionierende Netzwerke und Ökosysteme zurückgegriffen werden kann. Letztendlich hängt aber auch viel von der Intuition, von einem gewissen „Bauch-Algorithmus“ der Geldgeber und Förderer ab, die über eine Investition entscheiden. Denn man kann nicht alles im Vorfeld an Kennzahlen festmachen, da es gerade ganz am Anfang eines Start-ups noch gar keine messbaren Kennzahlen gibt.
Welche Themen sind heutzutage bei Start-ups in der Gesundheitsversorgung/Pflege am drängendsten sowie am zukunftsträchtigsten – und warum?
Prof. Dr. David Matusiewicz: Es gibt heute ehrlich gesagt überall große Herausforderungen und noch auf jeder Ebene (Mikro – einzelne Akteure, Meso –Verbände, Makro – Staat) dringende Handlungsbereiche, da die Einnahmen und Ausgaben im Gesundheitswesen immer weiter auseinandergehen, der Fachkräftemangel immer größer wird und der demografische Wandel den Bedarf immer weiter nach oben schraubt.
Wichtig sind „große Lösungen“ beziehungsweise Themen wie beispielsweise Cloud-basierte Systeme oder elektronische Identitäten (eID) und eine digitale Dokumentation, bevor wir über künstliche Intelligenzen, Robotik, Virtual Reality/Augmented Reality und andere exponentielle Technologien sprechen können.
Am Ende werden die Start-ups erfolgreich sein, die grundlegende und valide Konzepte zur Neujustierung des Gesundheits- und Pflegesystems vorlegen und einen langen Atem haben, dies alles in den nächsten Jahren – neben der Motivation auch finanziell – umzusetzen.
Von welchen Parametern ist es abhängig, ob sich ein Gesundheits-/Pflege-Start-up am Markt hält und etabliert?
Prof. Dr. David Matusiewicz: Ich verlasse mich in dem Falle auf keinen Fall auf die Politik. Auf keinen Fall glaube ich, dass wir im Hinblick auf Vorgaben und Regularien hier weiterkommen.
Ich verlasse mich hier voll und ganz auf das Unternehmertum und auf die guten Ideen, die sich am Markt durchsetzen und von den Bedarfen der Familien, Pflegebedürftigen, Angehörigen usw. angetrieben werden, da sie bereit sind und sein werden, für passgenaue und bedarfsgerechte Pflege, pflegerelevante Dienstleistungen und weitere Hilfen Geld auszugeben.
Ich glaube es dauert nicht mehr lange, dass sich Start-ups fest etablieren, die Matchmaking-Plattformen anbieten. Die Nutzer haben dann dort die Möglichkeit, die gewünschten Leistungen, wie ambulante Grundpflege, spezielle Pflegeleistungen, Haushalts- und Einkaufshilfen usw., anzufordern, und die Plattform vermittelt im Anschluss sofort eine geeignete Pflegekraft oder auch einen Studenten – ja nach Bedarf und Leistung – aus der Region. Der Markt der Gesundheitsversorgung und Pflege wird zukünftig breiter aufgestellt sein. Es wird weiterhin die staatliche Pflege und das staatliche Gesundheitswesen geben, doch es wird auch immer mehr Menschen geben, die sich mehr, bessere, andere Pflege, neue Lösungen und Angebote leisten möchten und leisten werden.
Herzlichen Dank für dieses Gespräch.
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