Seit 2013 ist Tino Sorge CDU-Bundestagsabgeordneter für Magdeburg sowie Schönebeck, Barby, Calbe und die Gemeinde Bördeland. Seit 2021 leitet er zudem die Arbeitsgruppe Gesundheit als Gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion.

Der deutsche Pflegemarkt ist dramatisch in Schieflage geraten, die Insolvenzmeldungen steigen. Denn sehr viele Pflegeeinrichtungen melden, dass ihre monatlichen Ausgaben durch die monatlichen Einnahmen nicht mehr gedeckt werden und sie deswegen zur Refinanzierung auf andere Quellen zurückgreifen müssen. Das kann und wird auf Dauer nicht gutgehen. Wie kann und muss hier die Bundesregierung der wirtschaftlichen Belastungen der Pflege durch Inflationssteigerung und Energiekostenexplosion nachhaltig entgegenwirken?

Tino Sorge: Nicht nur bei den Pflegeeinrichtungen, sondern auch in Krankenhäusern, Arztpraxen und Apotheken macht sich die wirtschaftliche Rezession bemerkbar. Inflation, steigende Energiepreise und Personalkosten setzen die Pflege unter erheblichen Druck. Hier wäre zuallererst Karl Lauterbach in der Pflicht, die Einrichtungen vor übermäßigen Belastungen zu schützen. Der Gesundheitsminister dringt mit seinen Anliegen aber offenbar am Kabinettstisch nicht durch.

Wir brauchen daher zunächst erst einmal wieder ein gemeinsames Verständnis innerhalb der Bundesregierung über den Stellenwert von Pflege in unserer Gesellschaft. 

Und wie kann eine ausreichende Refinanzierung der Personalkostensteigerung erzielt werden?

Tino Sorge: Dass die Personalkosten steigen, ist zunächst Ausdruck der Tarifeinigung, von der viele Tausend Beschäftigte im Gesundheitswesen künftig profitieren werden. Es ist gut, dass die Gesundheitsberufe durch eine höhere Vergütung aufgewertet und damit attraktiver werden. Allerdings kann es keine Lösung sein, dass Pflegeanbieter dadurch in wirtschaftliche Not geraten oder die erhöhten Kosten direkt auf die Pflegebedürftigen umlegen.

Von der Bundesregierung ist in der aktuellen Lage leider keine Entlastung zu erwarten: Die Reform der Pflegefinanzierung hat die Regierungskoalition im Streit auf das Jahr 2024 verschoben. Bereits jetzt aber plündert sie den Pflegevorsorgefonds. Er war als finanzielles Polster gerade für die geburtenreichen Jahrgänge, die Babyboomer, gedacht, die in den kommenden Jahren ins pflegebedürftige Alter kommen werden. 

Für uns als Union liegt ein Lösungsansatz längst auf dem Tisch: Viele versicherungsfremde Leistungen, die momentan noch von der Pflegeversicherung übernommen werden, müssen ausgegliedert und in ihre eigentliche Zuständigkeit überführt werden.

Damit hätten wir bereits ein auskömmliches Polster geschaffen, mit dem Personalkostensteigerungen zumindest teilweise refinanziert werden könnten. 

Der medizinische Fortschritt und die Alterspyramide sorgen für einen schnell wachsenden Bedarf an stationären Pflegeheimplätzen in den nächsten 5 bis 10 Jahren. Die zu versorgenden Menschen werden tendenziell älter und kränker. So wird auch die Anzahl an schwer pflegebedürftigen Menschen stark ansteigen. In den nächsten Jahren werden ca. 15.000 zusätzliche Pflegeheimplätze pro Jahr benötigt (man geht sogar von 100.000 in den nächsten 7 Jahren aus), die Bautätigkeit jedoch stagniert. Was sind die Gründe?

Tino Sorge: Die baupolitische Vollbremsung der Ampelkoalition trifft auch die Planung und Errichtung von neuen Pflegeeinrichtungen ins Mark. Rohstoffpreise steigen, die Zinsentwicklung ist ungünstig und verlässliche wirtschaftliche Prognosen mag in diesen Zeiten kaum noch jemand abgeben. Hier braucht es einen Investitionsschub, um die benötigten Plätze in den Einrichtungen in den kommenden Jahren zu erreichen.  

Unabhängig davon muss der Schwerpunkt deutlich stärker auf Prävention liegen. 

Viele Tausend stationäre Pflegefälle ließen sich jährlich verhindern, wenn es bessere niedrigschwellige Versorgungsangebote gäbe, beispielsweise für Alleinstehende. Auch die Pflege durch enge Angehörige muss ausgebaut werden, sie ist häufig günstiger als eine Unterbringung im Heim.

Vor allem entspricht sie dem Wunsch der allermeisten Senioren, den Lebensabend so lange wie möglich in der eigenen Wohnumgebung zu verbringen. 

Möglicherweise bietet die anstehende Krankenhausreform auch Perspektiven für die Umwandlung von Kliniken in Pflegeeinrichtungen. Dieser Aspekt sollte auf jeden Fall mitgedacht werden. Zu oft ist momentan nur von Schließungen die Rede, dabei liegt in Umstrukturierungen zugunsten neuer Pflegekapazitäten ein großes Potenzial.

Und wie können Investitionen konkret angeschoben/gefördert werden, um die zukünftige Versorgungssicherheit im Land überhaupt zu gewährleisten? 

Tino Sorge: Wir brauchen neue Impulse für mehr Pflegeeinrichtungen, gerade auf dem Land. Leider sind viele Länder und Kommunen, die den demografischen Wandel bereits heute besonders stark erleben, finanziell nicht stark genug aufgestellt.

Eine Lösung könnte sein, dass sich der Bund im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Möglichkeiten gemeinsam mit den Ländern am Aufbau neuer Pflegeheime beteiligt.

Vor allem müssen wir den größten Pflegedienst Deutschlands stärken: Das sind nämlich die pflegenden Angehörigen. Also Kinder, Enkelkinder und Lebenspartner, die unter großem persönlichem Einsatz für ihre Liebsten sorgen.

Angehörige, die sich mit Hingabe um Pflegebedürftige in der Familie kümmern, sollten dafür entlastet werden – gerade, wenn man dafür zeitweise aus dem Beruf aussteigen muss und das Einkommen über Monate fehlt. Mit Modellen wie Lohnersatzleistungen gibt es Errungenschaften, mit denen der Sozialstaat gute Erfahrungen gemacht hat. Im Sinne der Generationengerechtigkeit sollten wir daher auch über Entlastungen für pflegende Angehörige diskutieren.

Auch der Fachkräftemangel macht der Pflegebranche mehr als nur zu schaffen. Welche Maßnahmen zur Lösung des Personalproblems müssen zeitnah greifen, und wie soll das erreicht werden? 

Tino Sorge: Um den Bedarf zu decken, sind mehr Angebote und mehr Personal erforderlich. Fest steht: Um den Mangel an professionellen Pflegekräften zu beheben, müssen sich die Maßnahmen zuallererst intensiv darauf konzentrieren, Personal zu halten und es neu- beziehungsweise zurückzugewinnen. Denn viele der Beschäftigten in der Pflege werden schon altersbedingt in den kommenden Jahren aus dem Berufsleben ausscheiden. 

Als Union unterstützen wir die Anstrengungen, die Pflegeausbildung attraktiver zu machen, auch durch mehr und vor allem bessere Akademisierung. Sie allein ist allerdings nicht der Schlüssel. Die Pflegeberufe müssen für alle jungen Menschen eine Karriereoption sein, egal ob mit oder ohne Studium. Anderenfalls haben wir in einigen Jahren nur noch „Häuptlinge“ und keine „Indianer“ mehr, wir brauchen aber am Bett jede Hand. 

Gleichzeitig brauchen wir attraktivere Arbeitsbedingungen.

Viele ausgebildete Pflegekräfte, die ihrem Beruf den Rücken gekehrt haben, würden bei geänderten Rahmenbedingungen wieder zurückkehren.

Neue Arbeitszeitmodelle, Rehabilitations- und Erholungsangebote sowie die bessere Implementierung von betrieblichem Gesundheitsmanagement können dazu beitragen.  

Ergänzend brauchen wir aber auch eine Intensivierung der Anwerbung ausländischer Pflegekräfte. Hier sind es immer noch lange Wartezeiten und hohe bürokratische Hürden, die potenzielle Bewerber aus dem Ausland oft abschrecken. Dabei muss aber immer klar sein: Wir wollen keinen „brain drain“ aus dem Ausland, es gibt aber viele Länder, die über den eigenen Bedarf hinaus ausbilden. 

Bei all den genannten Herausforderungen wird es nicht zu vermeiden sein, dass der Eigenanteil der Pflegebedürftigen in Pflegeeinrichtungen (deutlich) steigt. Immer mehr Pflegebedürftige sind bereits heute auf Sozialhilfe angewiesen. Welche Erwartungen haben Sie an die Bundesregierung, damit Pflegebedürftige (und auch Angehörige) entlastet werden?

Tino Sorge: Die immer weiter steigenden Eigenanteile sind sozialer Sprengstoff. Für besonders gravierende Konstellationen werden wir zusätzliche Härtefallregelungen brauchen, bis Entlastungen wirken. Wir werden die Finanzierung der Pflege grundsätzlich auf ein neues, stabileres Fundament stellen müssen. Diese Debatte erfordert Mut, denn sie ist unpopulär und unbequem. 

Die soziale Pflegeversicherung ist ein Teilleistungsmodell, dabei sollte es auch bleiben. Sie kann ein Mindestmaß absichern, aber längst nicht alle Risiken. Darum werden wir in Zukunft einen Vorsorge-Mix brauchen.

Neben der sozialen Pflegeversicherung müssen wir die betriebliche Vorsorge stärken und die Menschen zu mehr eigenverantwortlicher Vorsorge animieren.

Die Bundesregierung scheut sich bisher, eigene Vorschläge vorzulegen. Es hilft aber nichts, die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen.

Welche Ideen haben Sie konkret zum Thema Entlastungen der Pflegeheimbewohner und auch der Pflegeheimbetreiber? 

Tino Sorge: Jeder Bürger und jede Bürgerin muss sich darauf verlassen können, am Lebensabend in guten Händen versorgt zu werden. Falls die Belastungen immer weiter steigen, müssen Bund und Länder gemeinsam intervenieren. Es braucht eine Regelung, die auch in Zeiten deutlicher Kostensteigerungen soziale Härten vermeidet. 

Als letzte Linie bleibt die Hilfe zur Pflege. Es geht um das zentrale Versprechen des Sozialstaates, dass niemand alleingelassen wird. Daran halten auch wir als Union fest.

Wir müssen darum aber umso dringender über die generationenübergreifende Frage der Finanzierung reden. 

Gibt es weitere Maßnahmen, die Sie von der Bundesregierung fordern?

Tino Sorge: Pflege wurde lange Jahre als etwas Selbstverständliches behandelt. Oft wurde vergessen, dass sie mit größtem persönlichem Einsatz und hohen Kosten verbunden ist. Beides gehört wieder stärker ins Zentrum der politischen Debatte. 

Gute Pflege gibt es nicht zum Spartarif, und diese Problematik wird sich in den kommenden Jahren durch den demografischen Wandel verschärfen. Darum erwarten wir als Union von der Bundesregierung, dass sie die gesellschaftliche Debatte, wie viel uns die Altersvorsorge wert ist, offener und ehrlicher führt als bisher.

Klammheimlich die Reserven zu plündern, reicht nicht.

Besten Dank für die Beantwortung unserer Fragen.

Foto: Copyright Tino Sorge.

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