Jens Teutrine, MdB, ist Sprecher für Bürgergeld und Pflege der FDP im Deutschen Bundestag und Vorsitzender der Jungen Gruppe innerhalb der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag.

Wie sehen die Eckpfeiler der Gesundheitspolitik Ihrer Fraktion aus? Welche Schwerpunkte setzen Sie/werden Sie zukünftig setzen?

Jens Teutrine: Neben der Stärkung der Wirtschaft und mehr Ordnung in der Migration stehen Gesundheit und Pflege bei vielen Menschen zu Recht ganz weit oben auf der politischen Prioritätenliste. Obwohl wir eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt haben, spüren viele, dass die Versorgungssicherheit Stück für Stück schwindet. Der noch auf uns zukommende demografische Wandel wird massiv unterschätzt. Die ersten geburtenstarken Jahrgänge gehen nun in Rente, der erhöhte medizinische und pflegerische Bedarf tritt also erst in ein paar Jahren so richtig ein. Gleichzeitig geht viel Fachpersonal – knapp ein Drittel in den nächsten zehn Jahren – in den wohlverdienten Ruhestand. Eigentlich müssten in der Politik alle Alarmglocken läuten, um sich auf diese soziale Frage unserer Zeit vorzubereiten. Stattdessen wird auf Sicht gefahren.

Die mangelnde Vorbereitung auf die Demografie wird uns noch auf die Füße fallen.

Es wird sich von Legislatur zu Legislatur irgendwie durchgewurstelt, statt in Jahrzehnten zu denken. Der Schwerpunkt muss daher auf Versorgungssicherheit liegen. Daraus leiten sich unzählige Handlungsfelder ab: von Reformen der Pflegeversicherung über eine Vertrauens- statt Misstrauenskultur bei Vorschriften und Bürokratie bis hin zu einem neuen Modus bei der Fachkräftegewinnung aus dem Ausland, zum Beispiel bei der Anerkennung. Statt kleiner Stellschrauben mangelt es an dem nötigen Reformwillen.

Was sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Themen der aktuellen Pflegepolitik? Wie möchten Sie diese Themen anpacken?

Jens Teutrine: Man merkt an der ersten Antwort, dass ich mich im Schwerpunkt mit der Pflegepolitik beschäftige. Gerade in der Pflege ist das Sichern der Pflegeversorgung die oberste Priorität. Viele Anbieter stehen vor wirtschaftlichen Problemen. Das Finden einer Pflegeversorgung wird massiv schwieriger. Viele Pflegefachkräfte scheiden absehbar aus dem Dienst aus. Gleichzeitig werden immer mehr Menschen pflegebedürftig. Ich möchte den Pflegeeinrichtungen – insbesondere auch kleinen, privaten und familiengeführten – bei diesen Herausforderungen den Rücken stärken, indem die Pflegesatzverhandlungen schneller und einfacher werden. Doppelte Regelungen und Dokumentationen – auch zwischen Landes- und Bundesrecht – müssen abgebaut werden.

Es kann nicht sein, dass die Überprüfungen des Medizinischen Dienstes und der Heimaufsicht nicht aufeinander abgestimmt sind, sich in den Prüfinhalten quasi doppeln, viel Zeit in Anspruch nehmen und als Selbstzweck verkommen.

Wenn wir nicht zu einer Vertrauens- statt Misstrauenskultur kommen, mache ich mir Sorgen um die Vielfalt der Versorgungslandschaft. Haben wir auch Mut zu neuem Denken! Anstatt kleinliche Änderungen beim bestehenden Anerkennungsverfahren an zwei, drei Stellen vorzunehmen, sollten wir die Logik grundlegend ändern. Die langwierigen und kostenintensiven Anerkennungsverfahren wirken einerseits hinderlich für die – gewünschte und benötigte – Fachkräftezuwanderung in der Pflege und andererseits stark abschreckend für internationale Pflegefachkräfte, die in ihren Heimatländern eine sehr gute und oft akademische Pflegeausbildung durchlaufen haben und weltweit respektiert und anerkannt sind.

Alle mindestens dreijährig beruflich oder akademisch ausgebildeten Pflegefachkräfte aus dem Ausland mit entsprechenden Sprachkenntnissen sollen direkt während des Anerkennungsverfahrens eingesetzt werden dürfen, solange keine triftigen Gründe dagegensprechen.

Die Kosten für die gesetzlichen und die privaten Krankenkassen steigen und steigen. So befürchtet der Chef der größten deutschen Krankenkasse TK, Jens Baas, ohne politisches Eingreifen einen mittelfristigen Anstieg der Krankenkassenbeiträge auf 20 Prozent. Wie kann/muss von politischer Seite hier gegengesteuert werden?

Jens Teutrine:

Die GKV hat kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem.

In diesem Jahr erwarten wir Ausgaben in Höhe von 341 Milliarden Euro. Das ist ein neuer Rekordwert. Der größte Kostentreiber ist der Krankenhausbereich. Hier haben wir schon etwas getan. Wir müssen aber weitere Strukturreformen anpacken, damit das Geld dort ankommt, wo es am besten für die Patientinnen und Patienten wirkt. Wir brauchen mehr Digitalisierung, mehr Bürokratieabbau und mehr Ambulantisierung. Wir setzen auf eine Patientensteuerung und ein sogenanntes Primärarztsystem. Der Hausarzt oder der Kinderarzt sind erste Ansprechpartner und helfen den Patienten bei der Koordination der passenden Behandlung. Damit wollen wir lange Wartezeiten sowie kostenintensive Doppeluntersuchungen verhindern.

Viele Pflegeeinrichtungen stehen aufgrund hoher Inflation, explodierender Energie- sowie steigender Personalkosten und Problemen bei der Refinanzierung vor der Insolvenz. Welche Maßnahmen sehen Sie konkret vor, um die immer weiter steigenden Kosten für Betreiber abzufedern?

Jens Teutrine: Wie die Frage es schon richtig darstellt, ist das Problem sehr vielschichtig. Wenn die Pflege in Deutschland eines nicht hat, dann ist es ein Nachfrageproblem.

Betten kann man aber nur füllen, wenn das Personal vorhanden ist, und Gebäude kann ich nur bauen und halten, wenn der Staat aufhört, bis ins letzte Detail energetische und bauliche Vorschriften zu erlassen.

Das wollen wir beenden.

Zur Wahrheit gehört aber leider auch, dass die Bundesländer ihren Verpflichtungen zur Zahlung von Investitionskosten nicht nachkommen.

Ich möchte keinen Schwarzen Peter hin und her schieben, aber Ross und Reiter nennen. Ich bin jedenfalls bereit, alle Schritte zu gehen, die notwendig sind. Es mangelt an politischer Verlässlichkeit und wirtschaftlicher Planbarkeit.

Hatten Sie selbst schon einmal Gelegenheit, eine oder mehrere Pflegeeinrichtungen zu besuchen, um sich ein Bild der Lage zu machen? Welche Eindrücke haben Sie mitgenommen? Gab es konkrete Anregungen/Forderungen/Kritik seitens der Bewohnerinnen/Bewohner und/oder dem Pflegepersonal?

Jens Teutrine: Seit knapp 1,5 Jahren darf ich zusätzlich zu meiner Arbeit im Ausschuss für Arbeit und Soziales die Pflegepolitik in meiner Fraktion übernehmen. Der Besuch von Pflegeeinrichtungen gehört zu meinen Lieblingsterminen. In kaum einem anderen Bereich wird man so viele Menschen sehen, die aus einer tiefen intrinsischen Motivation zur Arbeit gehen. Auch die Dankbarkeit der Bewohnerinnen und Bewohner gegenüber den Mitarbeitenden ist schön zu sehen. Ich verlasse aber auch kein Heim, keinen ambulanten Dienst und kein Gespräch mit pflegenden Angehörigen, ohne einen Zettel mit mindestens zehn konkreten Handlungsaufträgen. Ich habe diese stets und auch teilweise erfolgreich versucht, im Gesundheitsministerium und bei meinen Kollegen in der Fraktion umzusetzen. Die Liste ist jedoch noch nicht abschließend erledigt, und ich würde mich freuen, in der nächsten Legislaturperiode die To-Dos weiter abzuarbeiten.

Es gibt jedoch To-Dos, die eigentlich bei jedem Termin aufstoßen und mich der mangelnde Fortschritt selbst frustriert. Ich kann mich schon selbst nicht mehr hören, wenn es um Bürokratieabbau geht.

Das ist aber ein Zeichen, dass dort einfach zu viel geredet und zu wenig gehandelt wird.

Wie können die steigenden Eigenanteile der Bewohnerinnen und Bewohner abgefedert werden?

Jens Teutrine: Zuallererst kann es nicht sein, dass Politik immer wieder Maßnahmen beschließt und verspricht, ohne für eine adäquate Gegenfinanzierung zu sorgen. Diese Unehrlichkeit und das Verschieben der Probleme auf die Zukunft müssen aufhören. Konkret wälzen die Bundesländer ihre Investitionsaufgaben auf die Bewohnerinnen und Bewohner ab. Dasselbe gilt für Ausbildungskosten. Wir sehen, dass Gehälter und Leistungen im Bereich der Pflege versprochen wurden, ohne zu bedenken, wer das am Ende zahlen muss. Es fehlt eindeutig an Transparenz bei politischen Entscheidungen.

Wir brauchen auch deutlich mehr private und betriebliche Vorsorge. Die Pflegelücke ist ein finanzielles Thema, das wir als FDP auf dem Rentenbescheid mit thematisieren wollen.

Den Bürgerinnen und Bürgern muss früher bewusstwerden, dass man für die Pflege sehr gut vorsorgen kann. Pflege ist teuer. Ich warne aber davor, die Eigenanteile zu deckeln. Vorschläge in diese Richtung würden die Sozialbeiträge immens steigen lassen.

Wir brauchen hier ein besseres Gleichgewicht.

Das alles muss bezahlt werden: Welche Finanzierungsvorschläge haben Sie?

Jens Teutrine: Neben einem Boost in privater und betrieblicher Vorsorge mache ich mich für mehr Kapitaldeckung in der sozialen Pflegeversicherung stark. Laut eines Gutachtens, das meine Fraktion bei Prof. Dr. Friedrich Breyer beauftragt hat, explodiert der Pflegebeitragssatz bis 2050 auf 7 %. Gegenüber dem heutigen Stand würden sich diese Abzüge vom Bruttolohn damit verdoppeln. Der Beitragssatz für alle Sozialversicherungen übersteigt dann die Marke von 50 % des Bruttolohns deutlich. Die Ausgaben der Pflegeversicherung werden sich in den nächsten sieben Jahren verdoppeln. Die letzte Verdopplung dauerte 19 Jahre. Daran sieht man die Wucht, die auf uns zukommt.

Ich möchte den kapitalgedeckten Pflegevorsorgefonds stärken, statt im Umlagesystem allein auf die demografische Entwicklung zu setzen.

Das wäre nämlich eine schlechte Wette. Ein größerer Teil des derzeitigen Versicherungsbeitrags soll breit gestreut über Jahrzehnte am Kapitalmarkt angelegt werden. Mit den Renditen können die Beitragssteigerungen in einigen Jahren bereits abgefedert und gleichzeitig die Finanzierung der Pflege sichergestellt werden.

Die Gefahr liegt nicht in mehr Kapitaldeckung der Pflegeversicherung, sondern darin, darauf zu verzichten. Andere Länder – wie Schweden – zeigen uns, wie Sozialsysteme mit mehr Kapitaldeckung funktionieren.

Während Robert Habeck Kleinanleger und Aktiensparer mit Sozialbeiträgen belasten will, wollen wir als FDP, dass alle Beitragszahler vom Kapitalmarkt profitieren.

Besten Dank für die Beantwortung unserer Fragen.

>> Hier geht es zum „Konzept der FDP für eine nachhaltige Finanzierung der Pflege“

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