Stephan Ehret ist Interims-Manager und Projektleiter mit den Schwerpunkten Change Management, Prozessberatung und Mitarbeiterführung und hat schon viele Unternehmen in Veränderungsprozessen und Krisenzeiten begleitet. Wir sprachen mit ihm über Krisenmanagement, Agilität und Mitarbeiterführung.
Warum kommen manchen Unternehmen besser durch eine Krise als andere?
Stephan Ehret: Eine Krise kommt immer ungeplant. Je früher man eine Krise erkennt, ihre Art sowie ihr Ausmaß versteht und vor allem als neue Realität annimmt, um so mehr Zeit und Optionen hat man, um darauf reagieren zu können. Unternehmen, die in ihrem Handeln eher eingefahren sind und eine negative Fehlerkultur haben, sind dann sehr von Angst geprägt. Krise kann man nur mit Abweichung von Routinen bewältigen und das muss man vor allem erst einmal akzeptieren – als Individuum und als Organisation.
Gibt ist einen Unterschied zwischen einer Krise und einem Notfall?
Stephan Ehret: Absolut! Es geht dabei vor allem um den zeitlichen Aspekt. Ein Notfall hat unmittelbare Auswirkungen und bedarf deshalb auch unmittelbarer Maßnahmen. Einen Notfall, kann ich durchaus durch einmalige extreme Anstrengungen bewältigen und dann geht es weiter wie bisher. Dies sind dann die Momente von Helden.
Bei einer Krise sind die Auswirkungen dauerhafter. Ich kann z.B. nicht über drei Wochen jeden Tag 20 Stunden unter Stress arbeiten – auch der größte Held ist hier irgendwann am Ende. Ich muss andere Optionen finden: Können wir mehr Ressourcen aktivieren? Können wir anders arbeiten? Hier geht es vor allem das Problembewusstsein und eine zügige Einführung von Veränderungen und neuen Routinen, bevor meine Ressourcen verbraucht sind (Menschen, Material, Geld,…).
Welche Eigenschaften benötigt ein Krisenmanager/in?
Stephan Ehret: Entscheidungsfreude, Vertrauen, Kreativität, Empathie, Kommunikationsstärke und Authentizität.
Letztendlich sind das natürlich Eigenschaften, die ich sowieso von einer Führungskraft erwarten würde. Extreme Umstände bringen unsere grundlegenden Eigenschaften und Talente aber um so stärker hervor.
In Krisensituationen Entscheidungen auf spärlichen und unsicheren Informationen zu treffen, liegt nicht jedem Menschen. Alle Charaktere, die eher perfektionistisch veranlagt sind, haben es da besonders schwer. Ich muss vor allem den zeitlichen Horizont von Entscheidungen einschätzten. Was braucht es sofort, was demnächst? Ein Feuer ohne vollen Wassertank zu löschen wird schwierig.
Wunderbare positive Beispiele für gute Krisenmanager kann man bei der Sternenflotte (Star Trek) ansehen. Ob nun Cathryne Janeway oder Jean-Luc Picard. Gerade wenn es eng wird, vertrauen sie auf die Kompetenz ihrer Mitarbeiter, stärken ihnen den Rücken und vermitteln die größeren Zusammenhänge. Mit solchen Führungskräften zieht es sich leichter ins Ungewisse.
Was passiert, wenn Führungskräfte nicht erfolgreich eine Krise bewältigen können? Wer springt dann ein?
Stephan Ehret: Führungskräfte werden in normalen Wirtschaftsunternehmen nicht nach ihrer Krisenfähigkeit ausgesucht.
Wenn eine Notsituation so stark wird, dass die rugläre Führungskraft nicht mehr wirkt, nicht mehr anerkannt wird, werden andere Mitarbeiter sichtbar werden, die eine natürliche Autorität und positive Tatkraft ausstrahlen. Hinter diesen Mitarbeitern versammeln sich dann die Menschen. Es gibt dazu die wunderschöne englische Komödie ‚Zustände wie im Paradies‘ wo der Butler der Chef einer gestrandeten Adelsfamilie wird. Wichtig ist, dass diese Autorität genutzt wird, um Lösungen zu finden.
Werden wir mal konkret jetzt bezogen auf die Corona-Krise. Viele Unternehmen in der Pflege erleben den Ausnahmezustand und befinden sich mittlerweile seit Wochen im Krisenmodus. Wie können die Mitarbeiter unterstützt werden? Was sind die drängendsten Aufgaben der Führungskräfte?
Stephan Ehret: Auf die Menschen zu achten, Wichtiges priorisieren und Unwichtiges weglassen und immer wieder zu schauen, ob eingeführte Veränderungen funktionieren. Seien Sie ehrlich aber laden Sie nicht Ihre eigenen Ängste auf den Mitarbeitern ab!
Gerade bei großen Organisationen: Die oberste Führung muss sichtbar sein! Winston Churchill ist ein großartiges Beispiel für eine gelungene oberste Führung in der Krise mit einer Omnipräsenz und positiver Leidenschaft.
Ein Weg heute könnte sein, dass der Vorstand eine regelmäßige WhatsApp an die Mitarbeiter schickt und auf Feedback und Kommentare sichtbar zu reagiert – ggfs. so jeden Morgen über den aktuellen Status zu Corona zu informieren. Es ist enorm hilfreich, so ungefilterte Informationen von der Basis zu bekommen und eine gute Führung wird das dankbar annehmen.
Hilft z. B. Agilität bei einer schon bestehenden und sich wahrscheinlich noch weiter verstärkenden Ressourcenknappheit, um besser durch die Krise zu kommen? Haben diese Unternehmen jetzt bessere Chancen?
Stephan Ehret: Definitiv! Wer schon vor der Krise Flexibilität, Transparenz und selbstorganisierte Organisationsformen trainiert und angewandt hat, wird es leichter haben – mit dem Zusatz, dass darauf geachtet wird, dass Entscheidungen zügig getroffen werden. Gruppen- und konsensgetriebene Entscheidungen, sind oft zu langsam, wenn es brennt. Hier darf sich Führung nicht scheuen, mindestens stark zu steuern, z.B. durch zielgerichtete Entscheidungsregeln oder die Stärkung organisatorischer Rollen, die auf Effizienz achten.
Gab es schon einmal eine persönliche Krisensituation, in der es um „Leben und Tod“ ging?
Stephan Ehret: In der Tat ja. Ich bin leidenschaftlicher Segler und habe einige Jahre als Ausbilder und Charterskipper gearbeitet.
Auf einer Fahrt ist das Boot fast untergegangen. Ich war als Schiffsführer mit einer Gruppe von sieben Ärzten unterwegs.
Es war sonnig aber mit viel Wind. Eigentlich keine große Sache auch mit einer unerfahrenen Crew, eher nur ein paar sportliche Stunden. Meine größte Sorge war, dass vielleicht jemand seekrank werden könnte.
Als wir auf der Ostsee waren, sagte mir ein Gast das unter Deck Wasser sei. ‚Na ja, das wird schon nicht so wild sein‘ – dachte ich mir.
Als ich nach unten ging stand ich schon bis zum Knöchel im Wasser. Es war klar, es wurde schnell mehr und es war nicht klar woher es denn kommt.
Mein erster Gedanke war: „Das steht doch nur in Büchern.“ – Über diesen Punkt musste ich im Kopf hinwegkommen und ab dort habe ich gehandelt: Meiner Crew Anweisungen gegeben, jemand an die Pumpe gesetzt, den Kurs in Richtung Küste geändert, einen Notruf abgesetzt und weiter mit zwei Gästen nach dem Leck gesucht. Ich glaube, einem Gast habe ich sogar eine Leine in die Hand gedrückt, mit der Aufgabe diese festzuhalten nur damit er beschäftigt war, weil ich den Eindruck hatte, dass er sonst mental einbricht. Am Ende hat ein banaler Küchenlappen gereicht, dass Loch einigermaßen abzudichten bis wir im Hafen waren. Wie sich dann im Nachhinein herausgestellt hat, hatten wir unsere Propellerwelle verloren. Vermutlich durch einen Wartungsfehler, aber das hat sich nie aufgeklärt.
Wenn man diesen Punkt überwunden hat, dass es JETZT UND HIER passiert, kann man etwas tun. Handeln ist besser als nichts tun, immer wieder innehalten und nachdenken ist besser als reiner Aktionismus und nie darf man die Zuversicht aufgeben.
Und eine berufliche Situation?
Stephan Ehret: Beruflich bin ich ja viel in der IT unterwegs. IT hat ja viel Übung im Umgang mit Störung, gerade weil die Veränderungszyklen so kurz sind, gibt es immer wieder die Herausforderung, mit wenig erprobten Systemen im Echtbetrieb zu stehen.
Einmal habe ich im Online Geschäft als verantwortlicher Teamleiter den Totalausfall einer Spielplattform erlebt. Da steigen die Emotionen schnell an, wenn eigentlich 50.000 Euro in der Minute als Umsatz durch die Systeme laufen sollten.
Hier ging es in der Notfallbewältigung erst einmal darum, interdisziplinär die Spezialisten zu versammeln, die bekannten Fakten effizient miteinander zu teilen und dann gezielt Arbeitsaufträge zu verteilen. Ich habe in meiner Rolle vor allem den Informationsfluss gesteuert und die Kommunikation nach außen bedient, damit die Spezialisten ungestört an den Problemen arbeiten konnten. Da ging es dann unter anderem auch darum, einem Vorstand liebevoll zu vermitteln, da seine Anwesenheit in diesem Moment nicht hilfreich ist.
Die Krisenbewältigung begann dann direkt nachdem wir wieder online waren. Unser Fokus lag darauf, vor allem interdisziplinär an Qualitätsthemen zu arbeiten, was somit zu neuen Arbeitsprozessen und einem technischen Frühwarnsystem geführt haben, wodurch dauerhaft eine Stabilität erreicht werden konnte.
Kann jeder Krisenmanagement lernen?
Stephan Ehret: Ja, auf jeden Fall, wobei ich das Lernen zwischen der Organisation und dem Individuum unterschieden möchte.
Das organisatorische Lernen, ist eine Aufgabe der obersten Führung. Wie robust, anpassungsfähig soll mein Unternehmen sein? Welche grundlegenden Prozesse benötige ich? Wenn ich hierüber Klarheit habe, kann man einen unternehmensweiten Lern- und Ausbildungsprozess beginnen. Externe Beratung kann hier helfen, aber die Grundidee muss immer von dem Unternehmen selbst kommen.
Auf der Ebene der einzelnen Mitarbeiter geht es sehr stark um ein Denken in Rollen und somit darum, wer tatsächlich für solche Rollen geeignet ist. Hier ist es wichtig, die individuellen Eigenschaften/Fähigkeiten für solche Rollen festzulegen und dann freiwillige Kandidaten dafür zu finden. Auch hier: Wenn sie Mitarbeiter zu Rollen ‚verdonnern‘, werden sie scheitern!
Wenn ich passende Kandidaten gefunden habe, kann ich diese dann ausbilden. Es ist letztendlich ein Stück Führungsausbildung. Agile Organisationen verwenden für diese Rollen auch die Bezeichnung ‚laterale Führung‘. Dies ist ein wichtiges Verständnis für die Bedeutung dieser Rollen.
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