Prof. Dr. Ruut Veenhoven ist der Begründer der World Database of Happiness und Soziologieprofessor an der Universität Rotterdam. Die World Database of Happiness ist eine Datenbank, welche weltweit die Ergebnisse der Glücksforschung der letzten 100 Jahre sammelt und kategorisiert. Sie befindet sich in der Erasmus Universität in Rotterdam (https://worlddatabaseofhappiness.eur.nl/).
Warum ist das Glück für Menschen so wichtig und lässt sich Glück definieren?
Prof. Ruut Veenhoven: Ich definiere Glück als Lebenszufriedenheit, die Erfüllung die man im eigenen Leben findet. Menschen streben typischerweise nach Glück, und
Glück bringt eine Reihe an positiven Nebeneffekten mit sich: zum Beispiel ein aktiveres Sozialverhalten und eine verbesserte Gesundheit.
Glück ist ein Indikator für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, insbesondere die affektive (gefühlsbetonte) Komponente des Glücks.
Immer wieder rangieren nordeuropäische Länder in Sachen Glück ganz oben in den Top-Ten-Listen – vor allen Dingen Dänemark und ganz aktuell Finnland. Warum sind gerade die Menschen in diesen Ländern glücklicher als in Deutschland, was machen diese Länder anders?
Prof. Ruut Veenhoven: Die genannten Länder zeichnen sich meist durch ihre individualistischeren Gesellschaften aus, in denen es deutlich mehr Wahlfreiheiten gibt, als in den eher kollektivistisch geprägten Ländern in Süd- und Osteuropa.
Freiheitsgrade beziehungsweise Freiräume erhöhen die Chancen, ein Leben zu führen, das man selbst gestalten kann und das zu einem selbst passt.
Die größere Freiheit resultiert zum einen aus weniger gesellschaftlichen und sozialen Beschränkungen und zum anderen aus der großen Anzahl an verschiedenen Wahlmöglichkeiten. Individualistische Kulturen erhöhen auch die innere Freiheit sowie das Bewusstsein eigener Präferenzen. Die Freiheit in Deutschland ist der Freiheit in skandinavischen Ländern sehr ähnlich. Dass die Deutschen dennoch ein bisschen weniger glücklich sind, hat andere Ursachen. Auch die Schatten des Zweiten Weltkriegs wirken immer noch nach – insbesondere im ehemaligen Ostdeutschland.
Wie verändert sich das Glücksempfinden beziehungsweise wie verändern sich die Indikatoren/Parameter für Glück im Laufe eines Lebens (jung versus alt)?
Prof. Ruut Veenhoven: Die Indikatoren bleiben gleich (laut eigenen Angaben zur Lebenszufriedenheit).
Die Bedingungen für ein glückliches Leben sind für Jung und Alt ähnlich: Sowohl junge als auch alte Menschen brauchen Sozialkontakte und Aktivitäten – lediglich die Art und Weise des Auslebens sind zwischen Jung und Alt anders, was dem Unterschied in den Lebensjahren und Lebenserfahrungen geschuldet ist.
Viele Menschen verbringen ihren letzten Lebensabschnitt in Pflege-/Seniorenheimen: Wie können sich zum einen die Bewohner und Bewohnerinnen ein Stück vom Glück bewahren?
Prof. Ruut Veenhoven: Es mag verwundern, doch Bewohnerinnen und Bewohner eines Pflegeheims mit gewissen körperlichen oder kognitiven Einschränkungen sind schon ziemlich glücklich. Und sie sind nicht weniger glücklich als Seniorinnen und Senioren mit ähnlichen Einschränkungen, die noch in ihrem eigenen Zuhause wohnen. Für manche Ältere kann Einsamkeit/Vereinsamung zu einem Problem werden, was wiederum auf das Glücksempfinden drückt. Doch obwohl weniger glücklich, macht es die meisten Seniorinnen und Senioren nicht unglücklich.
Im Laufe unseres Lebens erkennen wir, dass das Leben eben nicht problemfrei ist; Probleme gehören offensichtlich dazu.
Und wie sieht es mit dem Pflegepersonal aus, das ja speziell auch durch die Corona-Pandemie nicht selten an ihre psychische und physische Belastungsgrenze geht?
Prof. Ruut Veenhoven: Dazu fehlen mir belastbare Daten. Doch ich weiß, dass Menschen, die im Pflegebereich arbeiten, einen relativ hohen Zufriedenheitsgrad aufweisen, das heißt, dass sie ziemlich glücklich sind – und das, trotz aller Belastung.
Aus meiner Sicht beeinflusst die herausfordernde Corona-Situation ihr Glück nicht nur negativ, sondern sie bringt auch positive Effekte mit sich: so zum Beispiel ein viel schärferes und überzeugteres (stolzeres) Bewusstsein für die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit.
Hat sich das Glücksempfinden durch Corona verändert?
Prof. Ruut Veenhoven: Ja, das Glücksempfinden hat sich verändert.
Die Mittelwerte der Lebenszufriedenheit sind in den meisten EU-Ländern im Laufe der Pandemie zurückgegangen.
Im ersten Corona-Jahr konnten noch keine Auswirkungen auf das Glücksempfinden registriert werden, doch seit der zweiten Welle beobachten wir eine Senkung. Auf einer Skala von null bis zehn sind zum Beispiel die Dänen einen Punkt weniger glücklich, die Niederländer einen halben Punkt. In Deutschland hat sich der Mittelwert des Glücksempfindens noch nicht gesenkt (Daten aus Herbst 2021). In einigen Osteuropäischen Ländern ist der Glücksverlust kleiner. Wahrscheinlich ist dies auf die laufenden Verbesserungen der Lebensbedingungen nach der Wende zurückzuführen.
Sind glückliche Menschen gesünder?
Prof. Ruut Veenhoven: Auf jeden Fall. Glückliche Menschen leben länger.
Glück macht weniger anfällig für Erkrankungen.
Zudem achten glückliche Menschen mehr und besser auf ihre Gesundheit. Glückliche Menschen leben aber nicht länger, wenn sie einmal von einer tödlichen Krankheit betroffen sind. Ihre letzten Lebensjahre sind allerdings angenehmer.
Welche Konsequenzen können/sollten Politik und Wirtschaft aus den Ergebnissen Ihrer World Database of Happiness ziehen?
Prof. Ruut Veenhoven: Vieles. So wie die Gesundheit staatlich/wirtschaftlich gefördert wird, sollte zum Beispiel auch sowohl die Freiheit in der Lebensführung als auch die Freiheit in der Erziehung gefördert werden.
Ich wünsche mir eine Professionalisierung des Berufs Lifecoach und mehr Investitionen in die Glücksforschung.
Was halten Sie von einem Chief Happiness Officer im Unternehmen? Oder von der Einführung eines Bruttonationalglücks wie im Königreich Bhutan?
Prof. Ruut Veenhoven: Chief Happiness Officers versuchen, in Arbeitsorganisationen die Arbeitszufriedenheit zu erhöhen – und damit die Produktivität. Das ist OK. Aber die Produktivität wird mehr von der Lebenszufriedenheit beeinflusst als von der Arbeitszufriedenheit.
Und der Schlüssel zu einer höheren Lebenszufriedenheit liegt oft eher im privaten Bereich als im Arbeitsleben. Ähnlich verhält es sich auch beim Thema Gesundheit.
Dazu können Chief Happiness Officers Unterstützung externer Lifecoaches anbieten oder Selbsthilfe mit Instrumenten wie die GeluksWijzer (www.gelukswijzer.nl/hi/).
Was in Bhutan Bruttonationalglück heißt, ist nicht nur die durchschnittliche Lebenszufriedenheit im Land, sondern auch die Summe mehrerer nicht-wirtschaftlicher Ebenen wie Schulung, Gesundheit und Schutz der Religion. In Deutschland werden diese Sozialindikatoren schon seit den 1970er-Jahren systematisch gemessen. Zusammengenommen in einem Index spricht man heutzutage von der ‚breiten Wohlfahrt‘.
Vielen herzlichen Dank!