Bei der Analyse laufender Altenpflege-Trends und entsprechend diskutierter Schwerpunktthemen blickt die deutsche Pflege-Szene gern herüber zu den Nachbarländern. Denn im europäischen Vergleich, haben sich z. B. die Niederlande einen Namen machen können, wenn es um avantgarde, innovative, aber auch um polarisierende Ansätze in der Altenpflege geht. In diesem Artikel soll es heute um “Green Care” gehen, wörtlich übersetzt also um “Grüne Pflege”. Während dieses Konzept in den Niederlanden aber auch in Norwegen oder Belgien bereits gut etabliert ist, befinden sich Länder wie beispielsweise Österreich und auch Deutschland noch in den Anfängen der Konzeption und Umsetzung von “Grüner Pflege”.

Was genau ist “Grüne Pflege”?

Das Albrecht Daniel Thaer – Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften der Lebenswissenschaftlichen Fakultät (Humboldt-Universität zu Berlin) beschreibt es mit diesen Worten:

”Green Care und Care Farming oder Soziale Landwirtschaft eröffnen den Blick auf einen in den letzten Jahren stark wachsenden Dienstleistungssektor in Gartenbau und Landwirtschaft. Unter Green Care werden dabei Angebote in den Bereichen Gesundheit, Soziales und Schule/Bildung in einem naturnahen Umfeld zusammengefasst.” 

(https://www.agrar.hu-berlin.de/de/lndw/proj_main/proj_urbs/greencare)

Die angesprochenen Angebote umfassen Aspekte von Freizeitgestaltung, Entspannung, Wellness, Gesundheitsförderung sowie therapeutische und integrative Aktivitäten. Naheliegenderweise handelt es sich dabei verstärkt um tiergestützte Angebote oder Angebote, die mit der landwirtschaftlichen Umgebung arbeiten. Im Rahmen der Behandlungen bzw. Aktivitäten wird auf Personen mit Erkrankungen oder mit psychischen oder physischen Behinderungen eingegangen. Entspannte Pflege im satten Grün findet verstärkt Anklang bei Personen mit Demenz und deren Angehörigen und auch bei Personen, die Süchte überwinden möchten. Hier trifft also Suchttherapie auf Gartentherapie. Wir können an dieser Stelle schon einmal festhalten, dass “Grüne Pflege” weitaus mehr umfasst, als die Pflege älterer Menschen.

Im Mittelpunkt: Der Mensch und sein Wohlbefinden

Es klang bereits an, “Green Care” ist ein Konzept, das sich nicht an ausgewählte Altersgruppen oder Bedürfnisgruppen richtet, sondern offen für alle ist, die ihr Wohlbefinden steigern möchten. Das kann z. B. eine Gruppe von Schüler*innen sein, die genug vom Klassenzimmer hat und draußen an der frischen Luft und in spannender Umgebung Neues regelmäßig lernen möchte. Das kann aber auch jemand sein, der versucht über seine Alkohol- oder Tablettensucht hinwegzukommen, ohne dabei in eine steril klinische Umgebung einzuziehen. Nicht zuletzt richtet sich das Konzept an alle, die (im Alter) Betreuung und Unterstützung im Alltag erfahren möchten, ohne jahrelang auf einen Heimplatz zu warten oder ohne sich auf den Lebensstil in einer Pflegeeinrichtung einlassen zu müssen. All diese Personen profitieren von Angeboten der “Grünen Pflege” genau wie die landwirtschaftlichen Familien, also die Betreiber*innen dieser Höfe und Farmen selbst. Sind deren Gehöfte und Areale nicht ausgelastet, tragen sich diese langfristig nicht selbst und steuern möglicherweise sogare auf den Ruin zu. Sie bieten den Platz, die Kapazitäten und Besonderheiten, mit denen ein klassisches Pflegeheim, eine Entzugsklinik etc. nicht aufwarten können. Da liegt es nahe das Eigentum oder die Pachtfläche wirtschaftlich wie gesellschaftlich wertvoll zu nutzen. Das Angebot von Green-Care Lösungen ist hier Trumpf. Bei der tatsächlichen Umsetzung können Landwirte entweder auf ihre eigenen Fähigkeiten pochen und relevante Fortbildungen absolvieren oder auch mit öffentlichen oder privaten Partnern zusammenarbeiten.

Luxus oder Notwendigkeit?

Alt werden und / oder genesen im ländlichen Idyll mag luxuriös und nach vereinzelten Ausnahmelösungen klingen, doch wird die strukturelle Adaption von originellen Pflege-Entwürfen wie das rund um Green-Care auch in Deutschland immer notwendiger. Steigende Zahlen Pflegebedürftiger treffen auf mittlerweile chronischen Mangel von Pflegekräften und erstarkenden Wunsch nicht langfristig im klassischen Pflegeheim oder in Einsamkeit im alten Zuhause zu leben. Kurzum: Wir sehen uns mit einem neuen Betreuungsaufwand konfrontiert, der gestemmt werden will und muss.

Die Niederlande legt vor

In den Niederlanden gehören Green-Care Angebote bereits zur Normalität. Dort hat sich nebst traditioneller Tagesbetreuung, die für gewöhnlich an ein Pflegezentrum angegliedert ist, auch das Angebot der “Green Care”-Tagesbetreuung auf landwirtschaftlichen Betrieben durchsetzen können, insbesondere hinsichtlich der Betreuung von Demenzpatient*innen. Gerade weil man in den Niederlanden hinsichtlich der “Grünen Pflege” so viele Erfolgsgeschichten verzeichnet, ist das Land stärker in den Fokus von Forscherteams gerückt, die ​Machbarkeitsstudien durchführen. Dabei soll untersucht werden, wie sich die erfolgreichen Konzepte auf Länder wie z. B. Österreich übertragen lassen.

Österreich adaptiert

Österreich steht hierbei exemplarisch für all jene Länder, die einen deutlichen Rückgang von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben verzeichnen, die den viel zitierten demografischen Wandel bereits zu spüren bekommen und die eine starke Abwanderung aus ländlichen Gebieten verbuchen. Um also “Herr” dieser großen Herausforderung zu werden, sehen sich die österreichische Land- und Forstwirtschaft sowie das Gesundheits- und Sozialsystem um. Klar ist: Nur eine dienstleistungsorientierte Landwirtschaft mit breit aufgestellten Einnahmequellen wird in den nächsten Jahrzehnten erfolgreich bestehen. Das Setzen entsprechender Impulse an die Landwirt*innen ist dabei genauso wichtig wie jenes an die Akteur*innen in der Pflege, welche schließlich wertvolle Kooperationspartner darstellen.

Wie aus einem Bauernhof ein Lebensraum für Menschen mit Pflegebedarf wird, macht z. B. der Rabingerhof der Familie Ratheiser in der Gemeinde Hüttenberg (Österreich) vor. Der Hof ist einer von ca. 40 “Green Care”-Betreiber*innen und pocht mittlerweile nicht nur auf den Verkauf von Bio-Fleisch und -Eiern, sondern bietet auch sechs älteren Personen ein neues Zuhause, Gemeinsam mit ihrem Mann und den vier volljährigen Kindern kümmert sich Brigitte Ratheiser um die Damen und Herren und das mit viel Herz, Kreativität und Tatendrang.

Die Rahmenbedingungen für das Betreiben eines “Green Care”-Hofes in Österreich haben sich in den letzten Jahren verbessert: ​Die Landwirtschaftskammer Wien hat im Jahr 2011 veranlasst, dass sich Landwirt*innen durch Zusatzausbildungen und Förderungen auf ihren Gehöften Lebensraum für Personen schaffen können, die der Pflege bedürfen. Ein wichtiger Schritt, der europaweit um Nachahmer buhlt.

Quellen:

https://www.agrar.hu-berlin.de/de/lndw/proj_main/proj_urbs/greencare
https://www.landwirtschaftskammer.de/landwirtschaft/landservice/
medienlandwirtschaft/gree ncare/index.htm
https://content.sciendo.com/view/journals/boku/67/4/article-p249.xml
https://www.bibliomed-pflege.de/news/29270-green-care-gruene-pflege https://www.zeit.de/2019/51/altenpflege-bauernhof-landwirte-innovation-oesterreich

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