Andreas Bierod ist Geschäftsführer der Caritas-SkF-Essen gGmbH (CSE). Die CSE  ist eine gemeinnützige GmbH mit Sitz in Essen, die 2018 gegründet wurde. Gesellschafter sind zu gleichen Teilen der Caritasverband für die Stadt Essen e. V. und der Sozialdienst katholischer Frauen Essen-Mitte e. V. (SkF). Die 50 Einrichtungen der CSE haben rund 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Im Stadtteil Altenessen eröffnet in Kürze der erste Gesundheitskiosk der Stadt Essen. Ein weiterer soll im Stadtteil Katernberg folgen. Was sind die Gründe, solche Kioske zu etablieren?

Andreas Bierod: Der konkrete Anlass war die Schließung von jeweils einem Krankenhaus innerhalb kürzester Zeit in den beiden genannten Stadtteilen. Dies hat zu einer intensiven Debatte über die Gesundheitsversorgung in den beiden Stadtteilen geführt, die bis heute nicht abgeschlossen ist. Dennoch wurde schnell klar: Die Stadtteile, die sich durch eine stark migrantisch geprägte und zu einem überproportionalen Anteil bildungsbenachteiligter Bevölkerung auszeichnen, brauchen etwas anderes als ein Krankenhaus zur Akutversorgung.

Die Menschen vor Ort brauchen eine niedrigschwellige Anlaufstelle für alle ihre Fragen rund um ihre Gesundheit. 

Darüber hinaus zeichnen sich beide Stadtteile durch eine lebendige Zivilgesellschaft aus, mit vielen Akteuren, die sich über die Gesundheitskioske nun neu zum Thema Gesundheit austauschen – und die wir vernetzen. 

Wie und von wem werden die Gesundheitskioske finanziert und umgesetzt?

Andreas Bierod: Die Finanzierung stellen einerseits zu 50 Prozent für die ersten drei Jahre die Stadt Essen mit bis zu 500.000 Euro pro Jahr und andererseits die Krankenkassen zur Verfügung. Mit der AOK haben wir dazu bereits einen Vertrag ausverhandelt, mit den anderen Kassen sind die Verhandlungen noch nicht ganz abgeschlossen.
Um die Umsetzung kümmert sich eine extra hierfür gegründete Managementgesellschaft, die „Gesundheit für Essen gGmbH“. Als Caritas-SkF-Essen gGmbH sind wir deren Mehrheitsgesellschafter. Als weitere Gesellschafter fungieren ein Ärztenetzwerk (Ärztenetz Essen-Nordwest e. V.) sowie ein Akteur des Gesundheitswesens (Sport- und Gesundheitszentrum Altenessen e. V.). 

An wen richtet sich das Leistungsangebot hauptsächlich?

Andreas Bierod: Die Gesundheitskioske stehen allen Bewohnerinnen und Bewohnern offen, auch die Angebote der Gesundheitsbildung richten sich an alle Menschen im Stadtteil. 

Die Mitarbeitenden im Gesundheitskiosk sind alle mehrsprachig, um insbesondere die migrantische Bevölkerung auch in ihrer Muttersprache (arabisch, polnisch, russisch etc.) anzusprechen. Wir wollen damit insbesondere dieser Zielgruppe neue Wege ins Gesundheitssystem eröffnen beziehungsweise sie darin begleiten. 

Die Bildungs- und Präventionsangebote sollen auch die Menschen erreichen, die eher bildungsfern sind.

Und welche Leistungen werden dort konkret angeboten?

Andreas Bierod: Wir stehen noch sehr am Anfang, das Soft-Opening fand Anfang April statt, die große Eröffnungsfeier ist am 30. April 2022. Es soll aber dort neben einer offenen Beratung und Sprechstunde zu allen Gesundheitsthemen auch die Möglichkeit geben, den Blutzucker, Puls, Blutdruck und Ähnliches zu messen. Im Vordergrund stehen aber keine medizinischen Leistungen, sondern die Orientierung der Menschen in unserem doch etwas kompliziert gewordenen Gesundheitssystem, insbesondere für Menschen, die nicht Deutsch als Muttersprache, Sehprobleme, Bildungsdefizite oder einfach ein vertieftes Interesse haben.

Unsere Kolleginnen und Kollegen verstehen sich somit auch als Lotsen durch das Gesundheitssystem.

Gemeinsam für die Gesundheitskioske der Stadt Essen: Andreas Bierod, Geschäftsführer der Betreibergesellschaft; Dr. med. Tobias Ohde, Ärztenetz Essen Nord-West e.V.; Prof. Dr. Björn Enno Hermans, Direktor des Caritasverbandes für die Stadt Essen; Peter Renzel, Gesundheitsdezernent der Stadt Essen; Nicole Ginter, Saeed Al Masri, Vladislav Seifert und Julia Grabemann, Team des Gesundheitskiosks; Gerd-Peter Wolf, Vorsitzender des SGZ Altenessen e.V.; Thomas Kufen, Oberbürgermeister sowie Matthias Mohrmann, Vorstandsmitglied der AOK Rheinland/Hamburg (v.l.n.r.)

Hierbei kommt der Präventionsarbeit ebenso eine Beachtung zu wie die Begleitung der Therapie durch verschiedene Ärzte, Physiotherapeuten und anderen.

Wie müssen wir uns den Betrieb eines solchen Kiosks vorstellen – und wer leitet den Kiosk?

Andreas Bierod: Wie schon gesagt, starten wir erst langsam.

Bisher besteht das Team aus vier Personen, die alle eine medizinische Grundausbildung sowie ein zusätzliches Studium im Bereich Sozialarbeit oder etwas Vergleichbares abgeschlossen haben.

Die vier kriegen sich gut selbst organisiert, sind aber in die Strukturen des Mehrheitsgesellschafters der Betreibergesellschaft, der Caritas-SkF-Essen gGmbH, eingebunden. 

Für den weiteren Aufbau und den Betrieb der beiden Gesundheitskioske in Essen suchen Sie ab Sommer 2022 zusätzliche Community Health Nurses. Dieses Berufsbild ist noch sehr neu in Deutschland. Was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile/Besonderheiten des neuen Berufsbilds?

Andreas Bierod: Unser Angebot will systemische Grenzen zwischen Medizin und Sozialarbeit überwinden. Bisher finden Ausbildungen vorwiegend systemimmanent im Gesundheitswesen oder der Sozialarbeit statt.

Berufsbilder wie die der Community Health Nurses haben einen ganzheitlicheren Anspruch, sehen den Menschen mit seinen komplexen Problemlagen und als Teil einer Gemeinschaft im Stadtteil mit wiederum sehr eigenen Themen.

Der Vorteil liegt also im vernetzten Denken und in der Schnittstellenfunktion, diese ist uns sehr wichtig.

Wir wird/soll die Zusammenarbeit im Quartier zum Beispiel mit der ambulanten und stationären Pflege sowie der Wohnungswirtschaft aussehen?

Andreas Bierod: Die Pflegedienste sind nur einer von vielen Kontakten. Wir suchen den kontinuierlichen Austausch mit Ärzten, Physio- und Ergotherapeuten, mit Sportvereinen, Fitnessstudios und allen, die irgendwie mit dem Thema Gesundheit zu tun haben. Gleichzeitig haben wir als Caritas-SkF-Essen eine sehr lange Erfahrung in der Quartiersarbeit, die wir hier gezielt einbringen können. Wir kennen die Stadtteile, die dortigen formellen und auch informellen Strukturen – und man kennt uns. Das ist sehr hilfreich. 

Gibt es Vorbilder (Inland/Ausland), an denen Sie sich orientieren und was kann man von bereits bestehenden Projekten dieser Art lernen (z. B. Modellprojekt in Hamburg Billstedt)?

Andreas Bierod: Wir stehen mit den Hamburger Kolleginnen und Kollegen im engen Austausch. Wir nutzen eine gemeinsame Software und lernen voneinander: Wir wollen Anfangsfehler der Hamburger vermeiden; die Hamburger, die bisher sehr medizinisch geprägt sind, profitieren vom breiten Wissen einer Wohlfahrtsorganisation. 

Mit anderen Projekten, die gerade insbesondere in NRW starten, suchen wir gerade den Kontakt, um uns wechselseitig auf dem Laufenden zu halten.

Mit Projekten im Ausland stehen wir bisher nicht im Austausch. Ich habe einiges gelesen, sehe aber immer Probleme in der rechtlichen und damit am Ende auch wirtschaftlichen Umsetzung der Ideen, zum Beispiel derer von Buurtzorg aus den Niederlanden. Ich finde es gut, dass wir in Deutschland nun eigene Wege ausprobieren, die sowohl ausländische Gedanken aufgreifen, als auch eigene rechtliche Möglichkeiten nutzen. Einen großen Anteil daran trägt bei uns die Stadt Essen, die durch eine hälftige Finanzierung der Gesundheitskioske vieles ermöglicht, was nicht durch Krankenlassenleistungen abgedeckt ist. 

Besten Dank für die Beantwortung unserer Fragen.

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