Prof. Dr. Barbara Klein ist Soziologin und Sprecherin des interdisziplinären Forschungszentrums FUTURE AGING der Frankfurt University of Applied Sciences. Dort leitet sie den Masterstudiengangs Inclusive Design – Digital Health und Case Management. Zuvor war sie unter anderem in Leitungsfunktion bei der Fraunhofer Gesellschaft tätig. Sie hatte und hat Gastprofessuren an der Northumbria University in Newcastle, GB und der Osaka University in Japan inne. Prof. Klein ist Präsidentin des Austrian-German-Swiss Chapters der International Society for Gerontechnology (ISG). Ihre Arbeit wurde mit dem Forschungspreis der Hessischen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften 2019 ausgezeichnet.

Welche verschiedenen robotischen Systeme/Roboterarten gibt es bis dato, und durch was unterscheiden sie sich?

Prof. Barbara Klein: Es gibt eine Reihe von robotischen Systemen für das Gesundheitswesen. Beispiele sind fahrerlose Transportsysteme, die Materialien befördern; Reinigungs- und Desinfektionsroboter. Letztere haben sicherlich ein hohes Potenzial bei der Bekämpfung von Bakterien sowie von Corona- und anderen Viren. 

Darüber hinaus gibt es robotische Systeme zur Unterstützung der Pflege und robotische Systeme als Hilfsmittel für pflegebedürftige Menschen. 

In welchen Bereichen der Pflege kommen die unterschiedlichen Robotertypen konkret zum Einsatz? Und wie unterstützen robotische Systeme Personal und Pflegebedürftige?

Prof. Barbara Klein: Robotische Systeme, die Pflegekräfte in ihrer Arbeit unterstützen, sind zum Beispiel Exoskelette – eine Art Stützstruktur, die von Pflegekräften zur Kraftunterstützung bei Hebe- und Transferaufgaben eingesetzt werden können. Dieses habe ich in Japan ausprobieren dürfen und in einer japanischen Altenpflegeeinrichtung im Einsatz gesehen. Leider ist diese Technologie bislang in Deutschland nicht erhältlich. Der Vorteil dieser Exoskelette liegt darin, dass die Kraftbelastung des Pflegepersonals deutlich reduziert und somit zum Beispiel Rückenerkrankungen entgegengewirkt werden kann. Ob diese Technologie 1:1 auf die deutsche/europäische Situation übertragbar ist, müsste sowohl in technologischer als auch in arbeitswissenschaftlicher Hinsicht untersucht werden. 

Eine weitere spannende Entwicklung zur Unterstützung der Arbeit in der Pflege ist zum Beispiel ein intelligenter Pflegewagen, der vom Fraunhofer IPA entwickelt wurde. Dieser Pflegewagen transportiert – wie auch reguläre Pflegewagen – Materialien, fährt allerdings autonom und in seiner Endentwicklung soll er automatisch das Warenlager anfahren und Materialien holen. Das hätte sicherlich eine große Arbeitsentlastung zur Folge, da das System automatisch erkennt, wann aufgefüllt werden muss und man dadurch immer gut in der pflegerischen Situation ausgestattet ist.

Der Robbenroboter PARO ist mittlerweile dafür bekannt, dass er zur Alltagsgestaltung oder auch in therapeutischen Settings in der Altenhilfe eingesetzt wird. Ein vergleichbares Produkt ist die Katze JustoCat®. Sind die hygienischen Anforderungen geringer, werden auch ähnliche Produkte der Spielzeugindustrie eingesetzt. 

Darüber hinaus gibt es weitere Roboter, die schon heute in Europa erhältlich sind. Ein wesentliches Merkmal dieser Roboter ist, dass sie in vielen Bereichen eingesetzt werden können. Dadurch, dass diese Produkte sehr neu sind, müssen für diese erst Anwendungsfelder und Einsatzbereiche entwickelt und gegebenenfalls auch programmiert werden. Zu nennen sind hier zum Beispiel die humanoiden Roboter NAO und PEPPER. Diese Roboter wurden ursprünglich als Lehr- und Lernplattformen für Schulen und Hochschulen entwickelt. Heute gibt es für diese auch Anwendungen im Sozial- und Gesundheitswesen. Unter dem Namen ZORA wurde der Roboter NAO so weiterentwickelt, dass physiotherapeutische Übungen mit ihm möglich sind. Das Einsatzgebiet ist vor allem die Altenhilfe. Für den „großen Bruder oder die große Schwester“ PEPPER gibt es in der Regel in Form von Piloterprobungen verschiedene Einsatzfelder zum Beispiel als eine Art Concierge oder auch zur Unterhaltung. Im Studium Generale an unserer Hochschule haben Studierende verschiedene Ideen entwickelt und erste Anwendungen programmiert (http://www.youtube.com/barrierefreieswohnen). 

Telepräsenzroboter gibt es schon seit vielen Jahren – wir haben bei uns an der Frankfurt UAS verschiedene Exemplare und dazu mittlerweile einige Erfahrungen gesammelt. Diese Telepräsenzroboter – so unsere Untersuchungen – haben ein großes Potenzial, damit sind die unterschiedlichsten Anwendungen möglich. Würde ein solcher Telepräsenzroboter zum Beispiel in einer Pflegeeinrichtung stehen, können sich Ärzte einwählen und zum Beispiel eine Sprechstunde vor Ort abhalten, ohne tatsächlich vor Ort sein zu müssen. Ebenso können sich Angehörige einwählen und virtuell mit der pflegebedürftigen Person einen Kaffee gemeinsam trinken und unterhalten. Ist ein Bewohner bettlägerig, so kann er sich über ein Tablet mit dem Telepräsenzroboter in der Einrichtung bewegen und so andere Bewohner besuchen. Für den Krankenhausbereich gibt es Roboter, die über Telepräsenz auch ärztliche Untersuchungen ermöglichen.

Bedauerlicherweise werden diese Geräte in Deutschland kaum eingesetzt. Zum Teil liegt es auch daran, dass die technische Infrastruktur wie ein durchgängiger Internetanschluss in den Einrichtungen nicht vorhanden ist. 

In Zeiten von Corona liegt der Mehrwert solcher Telepräsenzroboter auf der Hand. Sozialer Kontakt ist ohne physische Präsenz möglich und kann dabei alle Beteiligten schützen. Eine australische Untersuchung hat in der Vergangenheit gezeigt, dass auch Menschen mit dementiellen Erkrankungen ihre Verwandten im Telepräsenzroboter erkennen und mit ihnen kommunizieren können. 

Der persönliche Assistenzroboter LIO ist mit einem Arm ausgestattet und kann damit Objekte greifen und transportieren. Darüber hinaus kann der Roboter Personen erkennen und individuell begrüßen und bietet neben einer Erinnerungsfunktion auch diverse Unterhaltungsmöglichkeiten. 

Nicht nur das Personal und die Bewohner in Pflegeeinrichtungen können von robotischen Systemen profitieren, sondern auch hilfe- und pflegebedürftige Menschen, die möglichst lange ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben in den eigenen vier Wänden anstreben. Welche Systeme haben bereits heute den Weg in den häuslichen Bereich gefunden und wie bewerten sie deren Nutzen und Mehrwert?

Prof. Barbara Klein: Es gibt viele verschiedene Systeme, die die Mobilität unterstützen können. Hier sind mittlerweile erste robotische Rollatoren erhältlich.

Es gibt sehr viele hochtechnisierte Rollstühle für die unterschiedlichsten Einschränkungen, die damit den betroffenen Menschen mehr Lebensqualität ermöglichen; mittlerweile auch Rollstühle, die Treppen überwinden können. Für gelähmte Menschen gibt es auch verschiedene Exoskelette, die zum Gehen und zum Training eingesetzt werden können. 

Für die Nahrungsaufnahme gibt es eine Reihe robotischer Esshilfen, die Menschen, die ihre Arme nicht mehr bewegen können, beim Essen und Trinken unterstützen. 

Wird noch mehr Unterstützung benötigt, gibt es robotische Arme, die darüber hinaus zum Beispiel auch dafür eingesetzt werden können, dass man sich selbst kratzen, Türen öffnen oder sich schminken kann. Im Rahmen des BMBF-Projektes „MobILe- Physische Mensch-Roboter-Interaktion. Akzeptanz einer robotischen Trinkhilfe für Tetraplegie“ (BMBF 16SV7868) kristallisierte sich heraus, dass betroffene Menschen mit einer solchen Technologie wieder selbst entscheiden können, was und wie und in welcher Reihenfolge und Schnelligkeit sie essen können. Bei einer menschlichen Assistenz kann so etwas in der Regel (aus unterschiedlichen Gründen) nicht umgesetzt werden. 

Wie sieht aus Ihrer Sicht die Zukunft robotischer Systeme in der Pflege aus? Welche Herausforderungen sind noch zu meistern oder welche Voraussetzungen müssen noch geschaffen werden?

Prof. Barbara Klein: Im Bereich robotischer Systeme wird auch weiterhin viel geforscht und entwickelt, so dass es in Zukunft mehr Produkte geben wird. Hier sind noch viele Herausforderungen anzugehen, zum Beispiel die sichere Mensch-Roboter-Interaktion oder auch die Kommunikation mit so einem System oder die Entwicklung von robotischen Systemen für bestimmte Aufgaben wie zum Beispiel Unterstützung bei der körperlichen Hygiene u.v.m. Im Rahmen eines EU-Projektes I-Supported Bath Robots – Entwicklung einer robotischen Duschhilfe (EU HORIZON 2020; 780938) hat sich gezeigt, dass sowohl von Seiten der pflegebedürftigen Menschen als auch bei den Fachkräften ein hoher Bedarf für die Unterstützung dieser Aufgabe gesehen wird. Eine große Rolle spielen hier neben den Kosten, dass die robotischen Systeme nicht nur sicher, sondern auch einfach zu bedienen und zu warten sind.

Weitere Voraussetzungen sind die Information und Qualifizierung sowohl der Fachkräfte als auch der betroffenen Menschen, um damit die Gestaltungsoptionen für eine gute pflegerische Arbeit und für die Autonomie und Teilhabe von pflegebedürftigen oder behinderten Menschen zu ermöglichen. Im Kontext ist es essenziell, einen ethischen Diskurs zu führen, um damit zu nachhaltigen und guten Lösungen zu kommen.

Unsere Hochschule engagiert sich schon seit vielen Jahren, die Studierenden, Fachkräfte und Öffentlichkeit über diese Themen zu informieren. Dazu gibt es die neue (Dauer-)Erlebnis-Ausstellung „Hallo Freiheit! Zusammen über Barrieren“ (vormals: Ausstellung Barrierefreies Wohnen und Leben), die gemeinsam mit der Frankfurter Stiftung für Gehörlose und Schwerhörige und dem Sozialverband VdK Hessen-Thüringen e.V. betrieben wird. Sie zeigt aktuelle Lösungswege und Hilfsmittel zum barrierefreien Wohnen und Leben. Gleichzeitig gibt sie Einblicke in die Welt der Gehörlosen und Schwerhörigen (www.frankfurt-university.de/hallofreiheit). Im Masterstudiengang Inclusive Design (vormals Barrierefreie Systeme M.Sc.) setzen sich Studierende aus der sozialen Arbeit und Pflege, Informatik und Ingenieurwissenschaften und sowie der Architektur mit diesen Themen auseinander und entwickeln und forschen gemeinsam an inklusiven Lösungen für ein selbstbestimmtes und selbständiges Leben. 

Herzlichen Dank für die Beantwortung unserer Fragen.

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