Die NCL-Stiftung setzt sich intensiv für die Forschungsförderung ein, um den von NCL betroffenen Kindern eine Chance auf bisher fehlende Therapie- und Heilungsansätze zu ermöglichen; www.ncl-stiftung.de

Der CareTRIALOG sprach mit Dr. Frank Stehr (Vorstand) und Dr. Herman van der Putten (Forschung) über die Stiftungsarbeit.

Welchen Zielen widmet sich Ihre Stiftung?

Dr. Frank Stehr und Dr. Herman van der Putten: Die gemeinnützige NCL-Stiftung mit Sitz in Hamburg setzt sich seit ihrer Gründung im Jahr 2002 aktiv für die nationale und internationale Forschungsförderung ein, um den von der juvenilen NCL betroffenen Kindern eine Aussicht auf bisher fehlende Therapie- und Heilungsansätze zu geben. Dazu initiieren, unterstützen und finanzieren wir weltweite Forschungsanstrengungen, fördern Forschungskooperationen, organisieren regelmäßig Wissenschaftler-Treffen, und haben ein globales NCL-Forschungsnetzwerk aufgebaut. Zudem bieten wir Fortbildungsveranstaltungen für Medizinerinnen und Mediziner an, sind mit Angeboten für Schulen aktiv und sensibilisieren die Öffentlichkeit für die Erkrankung.

Wie entsteht Kinderdemenz?

Stehr und van der Putten: Allen Formen der Kinderdemenz NCL liegen Defekte in bestimmten Genen (CLN1-14) zugrunde. Aufgrund der Genmutationen werden wichtige Proteine nicht oder nur unvollständig gebildet.

In der Folge kommt es zu einer krankhaften Anhäufung von Abbauprodukten in den Lysosomen, den Recyclinghöfen der Zellen, und zu einer Degeneration von Zellen im Gehirn und in der Netzhaut.

Wann bzw. in welchem Alter treten üblicherweise erste Anzeichen und Symptome auf und welche Symptome sind das?

Stehr und van der Putten: Das hängt von der jeweiligen NCL-Form und der korrespondierenden Mutation ab. Die häufigsten NCL-Formen in Deutschland sind CLN1, CLN2 und CLN3.

Bei der klassischen infantilen CLN1 liegt der Erkrankungsbeginn im Krippenalter (6 bis 12 Monate). Die ersten Symptome sind Probleme bei der psychomotorischen Entwicklung, epileptische Anfälle und progressive motorische Entwicklungsrückschritte bis zum frühen Tod.

Bei der klassischen spätinfantilen CLN2 erkranken die Kinder meist im Kleinkindalter (2 bis 4 Jahre). Das Leitsymptom sind schwerbehandelbare epileptische Anfälle, wobei viele der betroffenen Kinder schon vorher eine Sprachentwicklungsstörung aufweisen und zu einem hohen Prozentsatz „Late Talker“ sind. Im weiteren, unbehandelten Verlauf kommen unter anderem motorische Entwicklungsrückschritte und die Erblindung hinzu.

Der Erkrankungsbeginn der juvenilen CLN3, die im Fokus der NCL-Stiftung steht, liegt bei 4 bis 7 Jahren. Typischerweise tritt im Einschulalter zunächst eine Sehstörung auf, die innerhalb von 1 bis 3 Jahren zu einer vollständigen Erblindung führt.

Es folgen ein demenzieller Abbau und motorische Probleme. Später können epileptische Anfälle auftreten. Im Teenageralter sind die Patientinnen und Patienten meist an den Rollstuhl gefesselt und leiden unter dem Verlust der Sprachfähigkeit. Im jungen Erwachsenenalter sind die Patientinnen und Patienten in der Regel bettlägerig und werden über eine Magensonde künstlich ernährt.

Warum erfolgt eine Früherkennung oft spät und wie kann eine Früherkennung bei Ärztinnen und Ärzten aber auch bei Eltern gefördert werden?

Stehr und van der Putten: NCL zählt zu den seltenen Erkrankungen, von denen es weltweit circa 5.000 bis 8.000 gibt. Das heißt, für Ärztinnen und Ärzte ist es eine große Herausforderung, auf Anhieb die richtige Diagnose zu stellen. Zumal die Symptome bei den verschiedenen NCL-Formen individuell sehr heterogen sein können und nicht unmittelbar ein klares Bild ergeben. Daher ist es für uns als NCL-Stiftung ein großes Anliegen, Augen- und Kinderärztinnen und -ärzte sowie Schulärztinnen und -ärzte zu schulen, da es häufig zu Fehldiagnosen kommt.

So bieten wir eine zertifizierte Fortbildung speziell zum Thema NCL-Diagnostik an, organisieren Vorträge bei entsprechenden Kongressen und bringen Fachpublikationen und Merkblätter auf den Weg. Darüber hinaus versuchen wir, dass entsprechende Praxissoftware und App-basierte Symptomfinder die NCLs berücksichtigen.

Um auch betroffene Eltern, die noch keine Diagnose erhalten haben, werdende Eltern, und auch die nächste Generation zu erreichen, sensibilisieren wir die Öffentlichkeit mit verschiedenen Veranstaltungen und Formaten. Wir sind auf den bekannten Social-Media-Kanälen aktiv und haben verschiedene Angebote für Schulen entwickelt.

Wie kann Kinderdemenz verzögert oder gestoppt werden (Medikamente/Therapien/Heilansätze)?

Stehr und van der Putten: Die Entwicklung kausaler Therapieansätze ist herausfordernd, da die NCLs eine heterogene Gruppe erblich-bedingter Erkrankungen darstellen, die die Symptomkombination von Erblindung, Demenz, motorischer Abbau und Epilepsie eint sowie die namensgebenden Ceroid-Lipofuszin-Ablagerungen, die sich im Lysosom ansammeln. Jede NCL-Form muss einzeln betrachtet werden, wobei bestimmte Therapieansätze, wie zum Beispiel eine Enzymersatztherapie oder auch eine Gentherapie als Methode übertragbar sind. Der Einsatz von „Small Molecules“ (Wirkstoffen) bedarf der Kenntnis des jeweiligen Pathomechanismus, um eine zielgerichtete Therapie zu entwickeln.  

Die im Sommer 2017 erste zugelassene Therapie für NCL ist die mittels Cerliponase alfa (Brineura®) durchgeführte Enzymersatztherapie bei Kindern, die an CLN2 erkrankt sind. Hierbei wird das bei CLN2 fehlende Enzym TPP1 als rekombinant hergestelltes Protein durch ein implantiertes Reservoir im Zwei-Wochen Takt direkt in das Gehirn infundiert.

Die Therapie bewirkt eine signifikante Verlangsamung des Krankheitsverlaufs.

Außerdem befinden sich mehrere AAV-basierte gentherapeutische Ansätze für bestimmte NCL-Formen (CLN3 und CLN6) schon in der klinischen Prüfung. Für CLN1, CLN2, CLN5 und CLN8 existieren Programme, die mittlerweile die spät-präklinischen Entwicklungsphase erreicht haben. Darüber hinaus wurde in den USA eine klinische Prüfung bei CLN3 mit dem Medikament Miglustat gestartet. Weitere Substanzen haben den Status „Investigational New Drug“ von der FDA erhalten und zeigen bereits hoffnungsvolle Ergebnisse in präklinischen Modellen.

Da sich alle Therapie-Ansätze, außer der CLN2-Enzymersatztherapie, noch in der Prüfung befinden, liegt der Schwerpunkt der Therapie bei NCL bei der palliativen Behandlung klinischer Symptome, wie der Epilepsie, Myoklonien und Spastiken. 

Durch regelmäßige körperliche Aktivitäten, wie zum Beispiel Sport und Physiotherapie, können möglicherweise die motorischen Fähigkeiten länger erhalten und die Entwicklung von Spastiken verzögert werden.

Beim Umgang mit auftretenden psychopathologischen Symptomen, wie Schlafstörungen, Angst, aggressivem Verhalten, Halluzinationen oder Depressionen, sollte zunächst das Management von Umwelt-Triggern im Vordergrund stehen. Insgesamt ist eine multidisziplinäre Versorgung bedeutsam – mittels Physiotherapie, pädagogischer Betreuung in der Schule, Ergotherapie und Kinderhospizbegleitung.

Gibt es spezialisierte Einrichtungen, in denen Kinder mit Demenz betreut werden können?

Stehr und van der Putten: Für die klinische Betreuung sollte immer ein spezialisiertes Zentrum aufgesucht werden. In Deutschland zählen dazu das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, wo es eine NCL-Sprechstunde gibt und das internationale NCL-Patientenregister geführt wird, sowie die Kinderneurologie in Gießen.

Es gibt noch eine Reihe weiterer neurologischer Erkrankungen, wo bei betroffenen Kindern eine Demenz auftreten kann; NCL ist der häufigste Grund.

Abhängig von der jeweiligen Krankheit gibt es eine Vielzahl an neuropädiatrischen Einrichtungen.

Für die ganzheitliche Betreuung stehen Kinderhospize und ambulante Kinderhospizdienste zur Verfügung, die für die regelmäßige Entlastung der betroffenen Familien immens wichtig sind. Auch die Selbsthilfegruppe NCL-Gruppe Deutschland spielt eine wichtige Rolle, vor allem in der Betreuung der Familien und dem entlastenden Angebot von Kinderfreizeiten.

Was raten Sie Eltern, deren Kind von der Diagnose Kinderdemenz betroffen ist?

Stehr und van der Putten: Nehmen Sie möglichst schnell Kontakt zu NCL-Spezialisten auf. Im klinischen Bereich zum UKE in Hamburg. Wichtige Unterstützung können die Eltern auch von der NCL-Gruppe Deutschland erhalten. Die NCL-Stiftung hat wertvolle Informationen und Tipps, die zum Beispiel in einem speziellen Elternratgeber zusammengefasst wurden. Auch der Besuch der Homepage www.ncl-stiftung.de lohnt sich sowie ein Anruf in der Stiftung, um mehr über den aktuellen Stand der NCL-Forschung zu erfahren.

Können bestimmte Erkenntnisse und Forschungsergebnisse auch auf die Behandlung von Demenz bei Älteren transferiert werden?

Stehr und van der Putten: Ein klares Ja. Es gibt Gemeinsamkeiten bei Kinder- und Altersdemenzen, sowohl auf klinischer, als auch auf der Ebene der Molekularmechanismen. Hervorzuheben sind die Schnittmengen zwischen NCL und Alzheimer- sowie Frontotemporaler Demenz. Im Verlauf dieser Erkrankungen kommt es zu einem Verlust von Nervenzellen (Neurodegeneration), es zeigt sich eine Demenz und weitere neurologische Symptome treten auf.

So kann ein vertieftes Verständnis der zellspezifischen Krankheitsmechanismen bei der Kinderdemenz dazu beitragen, neue Zielstrukturen für eine Therapie zu identifizieren, die auch bei Demenzerkrankungen des Alters relevant sind. Diese Schnittmengenforschung sollte zügig auf- und ausgebaut werden.

Herzlichen Dank!

Foto (Dr. Stehr): © Andreas Überschär

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