Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat im Rahmen der Fördermaßnahme KMU‐Innovativ das Verbund- und Entwicklungsprojekt „SILVERlighting – Interaktives Beleuchtungssystem zur Unterstützung des Schlaf‐wach‐Rhythmus speziell für Menschen mit Demenzerkrankung“ gefördert. Teilnehmer des Konsortiums waren die licht raum stadt planung GmbH, das Fraunhofer‐Institut für Umwelt‐, Sicherheits‐ und Energietechnik UMSICHT, die Hochschule Ruhr West sowie die Sozialwerk St. Georg Niederrhein gGmbH.

Uwe Knappschneider ist Geschäftsführer der licht raum stadt planung GmbH (Büro für Lichtplanung mit Sitz in Wuppertal und Karlsruhe; www.licht-raum-stadt.de). Er nahm für den CareTRIALOG Stellung zu den Zielen und Ergebnissen des Projektes. 

Welche Kern-/Verhaltensaspekte standen bei der Entwicklung des interaktiven Beleuchtungssystems als Ziele im Mittelpunkt?

Uwe Knappschneider: Im Projekt SILVERlighting wurde eine Verbesserung der Befindlichkeiten und der Lebensqualität von älteren, an Demenz erkrankten Menschen durch die Entwicklung einer circadianen Beleuchtung angestrebt, mit dem Ziel, den Verbleib in der eigenen Häuslichkeit zu verlängern. Das System wurde zunächst in einer betreuten Wohngruppe erprobt, weiterentwickelt und anschließend in privaten Haushalten eingesetzt.

Demenziell veränderte Menschen zeigen neben dem graduell zunehmenden Verlust kognitiver Fähigkeiten bestimmte, teilweise beschwerliche Symptomatiken. Insbesondere die Destabilisierung oder sogar Umkehrung des Schlaf-Wach-Rhythmus führt bei den Betroffenen oft zu negativem Einfluss auf das Wohlbefinden, Ängsten, Unsicherheit und Verwirrtheit. Der unstetige Nachtschlaf, die Unruhe und der damit verbundene Leidensdruck pflegender Angehöriger zählen zu den am häufigsten genannten Gründen für die Entscheidung, ein an Demenz leidendes Familienmitglied in einem Pflegeheim unterzubringen.

Circadianes Licht kann also für den Betroffenen und für die Pflegenden unterstützend wirken, damit Menschen länger in ihrer häuslichen Umgebung verbleiben können.

Wie sieht ein optimales circadianes Beleuchtungssystem für nicht demenziell erkrankte Pflegebedürftige aus? In welchen Bereichen wird es eingesetzt?

Uwe Knappschneider: Die allgemeinen Anforderungen an Beleuchtung für Gesundheits- und Pflegebereiche sind vielfältig und müssen Kriterien der visuellen Barrierefreiheit und für Arbeitsumgebungen (Pflegende, Ärzte, Raumpfleger) erfüllen, aber auch Wohnlichkeit und Privatsphäre vermitteln. Damit ein circadianes Beleuchtungssystem optimal auf die Nutzer abgestimmt ist, müssen sowohl die äußeren (Architektur, Ausrichtung des Gebäudes, Bedingungen des natürlichen Tageslichtes, etc.), die inneren (Raumgestaltung, Farben, Materialien, etc.) als auch die individuellen Rahmenbedingungen (Alter, Sehvermögen bzw. Erkrankungen des Sehapparates oder andere gesundheitlich besondere Bedingungen, Nutzungsart, Nutzungsdauer, etc.) analysiert und aufeinander abgestimmt werden. Circadiane Beleuchtung ist sinnvoll in Bereichen mit längerer Aufenthaltsdauer, private Wohnräume, Gemeinschaftsräume und Arbeitsbereiche.

Damit eine circadiane Beleuchtung im aktivierenden Bereich wirksam ist, sollte diese im 45°-Winkel ins Auge einfallen. Aus diesem Grund ist eine Beleuchtung mit einem hohen Indirektanteil von Vorteil, da dieser über die Decke und das obere Drittel der Wände reflektiert wird. Das Vorbild im aktivierenden Bereich ist der „blaue Himmel“; also die große leuchtende Fläche.   

Bettlägerige Menschen und Bewohner von Pflegeheimen haben häufig deutlich weniger Tageslichtexposition – verglichen zu anderen Menschen. Die Lebensqualität und das Wohlbefinden kann mit circadianem Kunstlicht verbessert werden. Tageslicht kann nicht vollständig durch Kunstlicht in Hinsicht auf Quantität und Qualität ersetzt werden.

Für alle Menschen, insbesondere auch für kranke und ältere Menschen, gilt die Empfehlung, sich mindestens eine halbe Stunde am Tag draußen bei natürlichem Tageslicht aufzuhalten.

Positive Aspekte des natürlichen, dynamischen Tageslichtes in der Planung einer Beleuchtungsanlage zu berücksichtigen entspricht dem Zielen und Prinzipien des Human Centric Lighting, das bestmögliche künstliche Licht zu realisieren.

Wie unterscheidet sich dieses von Beleuchtungssystemen für Demenzerkrankte?

Uwe Knappschneider: Die Umgebungs- bzw. Milieugestaltung einschließlich der Beleuchtung hat für Menschen mit Demenz eine besondere Bedeutung, da sie helfen kann, Wahrnehmungsdefizite auszugleichen und dabei eine nicht-medikamentöse Maßnahme darstellt. Eine gute Beleuchtung fördert eine Alternativwahrnehmung entsprechend des Zwei-Sinne-Prinzips: Mindestens zwei der drei Sinne Sehen, Hören und Tasten/Fühlen sollen angesprochen werden, um gegebenenfalls vorhandene sensorische Defizite zu kompensieren. 

Demenziell erkrankte Personen reagieren besonders sensibel auf Blendung durch Kunst‐ bzw. Tageslicht, da diese die Orientierungsfähigkeit empfindlich stören, zu vorzeitiger Ermüdung und sogar zu Aggressivität führen kann. Auch Reflexionen sowie Schlagschatten und Farbflächen auf Fußböden können zu Fehlinterpretationen führen und somit Unsicherheit und Unwohlsein erzeugen.

Lichtsysteme mit einem hohen Indirektanteil erzeugen eine schattenarme Beleuchtung und vermeiden sog. „überholende Schatten“, die von demenziell erkrankten Menschen ebenfalls zu Fehlinterpretationen führen. 

Eine ganzheitliche Lichtplanung einschließlich detaillierter Abstimmung mit Farben und Materialien unter Berücksichtigung von Kontrastwerten ist daher wichtig.

Welche speziellen Eigenschaften benötigt ein Beleuchtungssystem für Pflegepersonal und pflegende Angehörige?

Uwe Knappschneider: Die wichtigste Eigenschaft, die ein dynamisches Beleuchtungssystem für das Pflegepersonal und pflegende Angehörige haben muss, ist die Benutzer-/Bedienfreundlichkeit und Zuverlässigkeit der Funktionen. Das System muss integriert und fehlerfrei arbeiten, sollte keinesfalls Gefühle von Fremdbestimmtheit und Übertechnisierung vermitteln. Das konfigurierte Beleuchtungsprofil soll nicht verändert werden können, da ansonsten die Wirksamkeit des circadianen Lichts nicht gegeben ist.

Das circadiane Licht kann für das Pflegepersonal bzw. die pflegenden Angehörigen dabei ebenfalls eine direkte positive Wirkung auf die Stabilisierung des circadianen Rhythmus haben. Da viele Pflegende im Schichtdienst arbeiten, kann besonders eine angepasste Nachtbeleuchtung, die die Melatonin-Ausschüttung nicht unterdrückt, ausgleichend wirken. Besondere Notfall-Lichtszenarien hingegen stellen Aufmerksamkeit förderndes Arbeitslicht bereit, wenn erforderlich.

Benennen Sie uns bitte den ausgewiesenen Nutzen für Pflegebedürftige/Demenzerkrankte, Pflegepersonal und pflegende Angehörige.

Uwe Knappschneider: Im Projekt SILVERlighting wurde in Phase 1 des Projektes ein neues circadianes Beleuchtungssystem in einem Bestandsgebäude errichtet. Der direkte Nutzen der neuen Beleuchtung, welche mit einer Umgestaltung der Umgebung durch weiß malen der vorher grün-blauen Raumdecken einherging, liegt zunächst in erhöhtem Sehkomfort, Sehleistung und verbessertem visuellem Ambiente. Die neue Anlage hat höhere Beleuchtungsstärken, blendfreies, gleichmäßiges und dynamisches Licht sowie die Anpassung der Beleuchtung an die jeweilige Tages- bzw. Nachtsituation und die Nutzungsbedingungen.

Bessere Aufmerksamkeit, Wahrnehmbarkeit und Orientierungsmöglichkeit sind ein direkter Nutzen und helfen sowohl den Pflegebedürftigen in ihrem Tagesablauf und bei der Kompensation von Wahrnehmungsdefiziten als auch den Pflegenden bei ihrer Arbeit und in ihrem Alltag. 

Der durch die circadiane Beleuchtung angestrebte Nutzen für die Pflegebedürftigen liegt in einer Verbesserung des Schlaf-wach-Rhythmus und der Schlafqualität, des Aktivitätsgrad bzw. der Aktivitätsbereitschaft, der Stimmungslage und dem Wohlbefinden. Insgesamt wird eine Verstetigung des Tagesablaufs angestrebt, insbesondere derer, die sich vorwiegend in Innenräumen aufhalten.

Wie macht sich die Wirksamkeit circadianer Beleuchtungssysteme bei den genannten Gruppen bemerkbar?

Uwe Knappschneider: Die statistische Auswertung der Tagebuch-Aufzeichnungen zeigt im Vergleich vor bzw. nach der Implementierung der circadianen Beleuchtung eine Reduzierung des nächtlichen Aufstehens, eine Verbesserung der Schlafqualität, Verstetigung der Zeiten, zu denen die Pflegebedürftigen abends ihr Zimmer aufgesucht haben sowie eine signifikante Reduzierung der Standardabweichung dieser Zeiten. Positive Veränderungen zeigten sich in den Dimensionen „Positiver Affekt“ und „Ruheloses angespanntes Verhalten“ im angewendeten „QUALIDEM“ Evaluierungsinstrument. Zum Einfluss der circadianen Beleuchtung auf Wohlbefinden und Lebensqualität der an Demenz erkrankten Menschen zeigen die Beurteilungen durch Mitarbeiter und Angehörige ein deutlich positives Bild, welches die statistischen Ergebnisse einzelner Evaluierungsinstrumente bestätigt. Die Auswertung der Befragungen von Angehörigen und MitarbeiterInnen zeigen eine hohe Akzeptanz der Beleuchtungssysteme, Gesamteindruck und Gestaltung der Beleuchtungsanlagen werden ebenfalls positiv beurteilt.

Was ist einem Lichtplaner bei der Entwicklung neuer Systeme wichtig? Worauf achten Sie, welche Aspekte stehen im Vordergrund?

Uwe Knappschneider: Der Nutzer und der Aspekt der Bedienfreundlichkeit stehen im Vordergrund bei der Entwicklung neuer Systeme für pflegebedürftige Menschen. Die Lichttechnik, die Steuerungsmöglichkeit und Einbindungsmöglichkeiten des Systems sind danach weitere entscheidende Punkte. Die Leuchten werden von uns spektral vermessen, um eine zuverlässige Datengrundlage für die Planung zu haben. Besonders interessant sind Systeme, die sich in Bestandsanlagen integrieren lassen, damit sich Umgestaltungen realisieren lassen.

Herzlichen Dank! 

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