Wir sprachen mit Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung (EHS). 

Warum ist die Digitalisierung speziell im Bereich Betreuung und Pflege so wichtig? Welchen Stellenwert nimmt sie bei der EHS ein? 

Bernhard Schneider: Unser primäres Ziel ist, die Lebensqualität unserer Kundinnen und Kunden zu erhöhen. Und ich bin überzeugt davon, dass wir dafür immer mehr digitale Innovationen brauchen werden. Wir entwickeln unsere Produkte für Wohnen, Pflege und Betreuung nicht nur für die jetzt 80-Jährigen, sondern auch für die in zehn oder 20 Jahren. Diese Menschen sind jetzt schon digital unterwegs, ihren Bedarf und ihre Wünsche müssen wir heute mitdenken. 

Daran bemisst sich auch der Wert von sozialen oder digitalen Innovationen: Verbessert eine App die Teilhabe? Erhöht ein Sensor die Sicherheit? Wenn sie das tun, dann wollen wir sie als Evangelische Heimstiftung ausprobieren. Deshalb ist Digitalisierung auch eines von acht Strategiefeldern, die wir verfolgen. Ein anderes ist Innovation. Denn wir setzen nicht nur auf Technik und Digitales, sondern auch auf Quartiersentwicklung, Nachhaltigkeit und andere soziale Innovationen. 

Im Übrigen sind auch diejenigen Arbeitgeber besonders attraktiv, die Innovationen anbieten.

Junge Menschen wollen Dinge ausprobieren, verstehen, was funktioniert und wo wir noch optimieren müssen. Und das ist doch toll! Diesen Elan und Innovationsgeist wollen wir auch in unserem Unternehmen haben. 

Die EHS legt einen hohen Wert darauf, mit innovativen Start-ups zu kooperieren. Warum fiel die Entscheidung darauf, gerade mit jungen Unternehmern/Unternehmen zusammenzuarbeiten?

Bernhard Schneider: Ja, das ist die berühmte Grundsatzfrage: Make or buy? Unser Kerngeschäft ist gute Pflege, darin sind wir die Profis.

In Sachen KI und sozialen Innovationen setzen wir auf den Erfindergeist externer Start-ups, weil es ihr Kerngeschäft ist.

Sie sind schneller, agiler und bringen die Expertise und Erfahrung in Sachen Digitalisierung mit. Davon profitieren wir als lernbereites Unternehmen. Gleichzeitig bieten wir den Zugang zu den tatsächlichen Nutzern und zur Praxis. So wird schnell klar, was funktioniert und wo es noch Optimierungsbedarf gibt. Es ist eine Win-win-Situation, und es freut mich zu sehen, wie viel Freude unsere Teams daran haben, Neues auszuprobieren. Die Kunden und Angehörigen übrigens auch. 

Können Sie uns die Start-ups nennen, mit denen die EHS bereits erfolgreich zusammenarbeitet?

Bernhard Schneider: Die Liste ist mittlerweile lang: Da wäre Myo, die Kommunikationsapp für Angehörige, bringliesel für Einkäufe, AlmaPhil und media4care, escos, mit dem wir unseren ALADIEN entwickeln (https://www.ev-heimstiftung.de/innovationen/aladien/), Lindera für die digitale Sturzprophylaxe. Gerade testen wir Navel, den sozialen Roboter aus München. In Modellprojekten haben wir außerdem mit nemlia, Otiom und BuildTelligent gut zusammengearbeitet. Und da gibt es sicher noch einige mehr.

Welche Anwendungen und Apps werden konkret angeboten? Und wie profitieren die verschiedenen Nutzer davon?

Bernhard Schneider: In unseren Residenzen und Betreuten Wohnungen ist unser ALADIEN immer mit dabei, mittlerweile sind 750 Wohnungen damit ausgestattet. ALADIEN steht für Alltagsunterstützende Assistenzsysteme und Dienstleistungen und wird gemeinsam mit escos aus Berlin kontinuierlich weiterentwickelt. ALADIEN sorgt für mehr Sicherheit und Selbstständigkeit – etwa durch die automatische Herdabschaltung, die Rolladensteuerung oder die Türkamera. Und es ist der Zugang ins Quartier, weil die täglichen Veranstaltungsangebote oder der Speiseplan angezeigt werden und man sich aktiv anmelden kann. 

Bei Myo ist es die schnelle und unkomplizierte Kommunikation mit Angehörigen. Das hat in der Coronapandemie vieles erleichtert und hat sich mittlerweile etabliert.

Der große Vorteil ist, dass die Angehörigen einen echten Eindruck vom Alltag im Pflegeheim bekommen und das Vertrauensverhältnis zu den Pflegekräften gefördert wird. 

Die media4care-App nutzen unsere Teams der Alltagsbegleitung für die Betreuung und Aktivierung von Gruppen oder Einzelpersonen. Das Angebot ist sehr abwechslungsreich, jederzeit verfügbar und wird laufend aktualisiert und erweitert. Es muss also niemand mehr stundenlang googeln, was es Neues gibt, weil die Ideen schon in der App sind.

Wie bekommen Sie die verschiedenen digitalen Anwendungen und Apps „unter einen Hut“ und machen diese für alle Beteiligten zugänglich?

Bernhard Schneider:

Nun, wenn eine App gut ist, dann ist sie auch selbsterklärend und intuitiv. Und wenn sie einen hohen Nutzen hat, dann klappt in der Regel auch die Anwendung.

Die klassische Bedienungsanleitung ist da fehl am Platz. Aber natürlich begleiten wir die Einführung von Innovationen.

Für ALADIEN haben wir spezielle Tablets, die unsere Kundinnen und Kunden beim Einzug in die Wohnung erhalten. In Zukunft werden die Apps auch in den App-Stores angeboten, sodass man sie auf eigene Geräte nutzen kann. Die Alltagsbegleitungen nutzen ALADIEN-Betreuungstablets, die wir zentral steuern können. Wir schulen natürlich Mitarbeitende regelmäßig und haben ALADIEN-Beauftragte in den Einrichtungen, die für die Kunden da sind, Stammtische organisieren und Fragen beantworten. 

Bei Navel, dem sozialen Roboter, den wir in zwei Einrichtungen einsetzen, haben wir Patinnen beziehungsweise Paten vor Ort, die sich kümmern.

Bei Myo waren die Entwickler selbst vor Ort und haben die Menschen geschult.

Wichtig für uns ist aber auch die interne Kommunikation. Unsere Mitarbeitenden sollen wissen, welche Innovationen wir einsetzen und warum. Hier setzen wir auf unser Logbuch, das eigene Intranet, die Website und unser Magazin „Gute Pflege“, und berichten regelmäßig.

Wie finden Sie neue, erfolgversprechende Start-ups?

Bernhard Schneider: Netzwerken ist das A und O. Wir gehen auf Messen und Veranstaltungen, vernetzen uns bei Fachtagen und Kongressen, sind Mitglied in Verbänden auf Bundesebene.

Seit zwei Jahren haben wir auch eine Referentin für Europapolitik und tauschen uns mit Trägern aus europäischen Ländern aus, die weiter sind als wir.

Viele Anfragen erreichen uns aber auch über unsere Website oder über Start-ups, mit denen wir schon arbeiten. Oder in den Quartieren vor Ort. 

Und welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit es zu einer Kooperation mit einem Start-up-Unternehmen kommt?

Bernhard Schneider: Die wichtigste Frage ist, ob es eine sichtbare Verbesserung in der Lebensqualität bei unseren Kunden gibt. Dafür sind Modellprojekte sinnvoll – Navel zum Beispiel setzen wir in zwei Einrichtungen ein und evaluieren wissenschaftlich. Erst dann entscheiden wir, wie es weitergeht. Spannend ist, ob die App für eine oder für alle Häuser sinnvoll ist, ob sie Prozesse vor Ort optimiert, ob sie entlastet oder einen anderen Mehrwert im Alltag bietet.

Wir haben fast 15.000 Kundinnen und Kunden, da suchen wir nicht nach Nischenprodukten, sondern nach Innovationen, die vielen Menschen spürbaren Nutzen bringen.

Und natürlich spielen auch die Kosten eine Rolle, denn als gemeinnütziges Unternehmen müssen wir die Wirtschaftlichkeit im Auge behalten. 

Beteiligt sich die EHS finanziell an bestimmten Start-ups, fungiert die EHS auch als Investor?

Bernhard Schneider: Als gemeinnütziges Unternehmen können wir nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen Finanzmittel aus der freien Rücklage in Start-ups investieren. Im Einzelfall ist das möglich, sodass wir bisher in zwei Start-ups investiert haben – die Regel ist das aber nicht.

Herzlichen Dank für die Beantwortung unserer Fragen.


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