Hosea-Che Dutschke ist Direktor des Amtes für Gesundheit und Pflege (Health and Care Department) der Kommune Aarhus. Wir sprachen mit ihm über sein neues Konzept der „Loving Municipality“ („Die liebende Kommune“).

Wie bedeutet „liebende Kommune“ und wodurch zeichnet sich das Konzept aus?

Hosea-Che Dutschke: Durch den Begriff „Liebe“ drückt sich die „Beziehung/Verbindung zwischen Menschen“ aus. Das Konzept der „liebenden Kommune“ ist eine neue Verwaltungsstrategie, und sie schafft Strukturen und Angebote, dass sich ältere Menschen wieder begegnen können. Denn der demografische Wandel trägt dazu bei, dass immer größere Teile der älteren Bevölkerung auf soziale Leistungen und Unterstützung angewiesen und zusätzlich von Vereinsamung bedroht sind. Die „liebende Kommune“ bietet in Aarhus 37 multifunktionale Begegnungszentren in Kombination mit innovativer, digitaler Technik. In diesen Zentren können die Bürgerinnen und Bürger städtische Dienstleistungen in Anspruch nehmen, kulturelles Leben genießen, Treffen oder Veranstaltungen organisieren, sich bis ins hohe Alter weiterbilden, ihren Interessen nachgehen und auch innovative digitale Angebote testen u.v.m.

Auf diese Weise sorgt die „liebende Kommune“ dafür, dass die älteren Menschen wieder zusammenfinden und sehr viel stärker, eigenverantwortlich in das gesellschaftliche Leben integriert werden.

So können sie wieder ein aktiver Teil der Gemeinschaft werden und ihre Lebenssituation dadurch verbessern.

Was sind die Kernelemente der „liebende Kommune“, die in Aarhus umgesetzt werden?

Hosea-Che Dutschke: Ein Kernelement der „liebenden Kommune“ ist der Grundsatz „Keep the citizens away“. Etwas überspitzt und provokant gesagt, wir haben die Intension, uns selbst arbeitslos zu machen. Das bedeutet, dass wir den Menschen ein Leben unabhängig von kommunaler Unterstützung ermöglichen wollen. Unsere Angebote und präventiven Maßnahmen konzentrieren sich deswegen darauf, die älteren Menschen zu befähigen, so lange wie möglich ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen. Das fördert zudem das Wohlbefinden und steigert die Lebensqualität.

So werden in Dänemark sogenannte Freiheitstechnologien (Welfare Technology oder Ambient Assisted Living Technology) entwickelt. Mithilfe dieser digitalen/technischen Neuerungen sollen die Selbstständigkeit und die Mobilität gefördert werden.

Ein weiteres Kernelement ist der Grundsatz „We are with the citizens“. Dieser Leitspruch zielt auf einen stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalt ab. Zum einen werden die Angestellten des Health and Care Departments in Aarhus dazu angehalten, Familien und Angehörige darin zu bestärken, mehr Verantwortung füreinander zu übernehmen. Zum anderen sollen auch die älteren Menschen selbst sowie Freiwillige und Nachbarn in das gegenseitige Füreinander mit eingebunden werden. Menschen brauchen Gemeinschaft, und ein gestärkter gesellschaftlicher Zusammenhalt reduziert die Gefahr, in die Vereinsamung abzurutschen. 

Wie konnten Sie die Kommune Aarhus vom Konzept überzeugen? Wie wird das Konzept angenommen?

Hosea-Che Dutschke: Es gibt zwei zentrale Punkte. Schauen wir dafür unter Berücksichtigung des demografischen Wandels 10 bis 15 Jahre in die Zukunft. Erstens, der Anteil der älteren Bevölkerung wird weiter steigen. Deswegen werden immer mehr Menschen für die Pflege und Betreuung sowie auch immer mehr kommunale soziale (Unterstützungs-)Leistungen benötigt. Zweitens, mit zunehmender Zahl an alten Menschen, steigt auch der Anteil derer, die unter Vereinsamung leiden. Das sind die großen Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. So besteht die dringende Notwendigkeit, sich mit neuen Konzepten der Altenpflege und zur besseren Einbindung älterer Menschen in das gesellschaftliche Leben zu befassen.

Wir dürfen nicht weitermachen wie bisher, wir brauchen neue Blickwinkel und müssen ein neues Verständnis von Gemeinschaft und gesellschaftlichen Zusammenhalt ausbilden.

Die „liebende Kommune“ bietet hier konkrete Ansätze und Maßnahmen, und sie kann außerdem als „Sparplan“ gesehen werden, der zur Entlastung der kommunalen Verwaltung führt. Das hat die Politik verstanden, und so wurde bzw. wird das Konzept gut angenommen.

Das Coronavirus hat uns weiterhin im Griff. Kontaktbeschränkungen, Besuchsverbote sind schon auf gewisse Weise zur neuen Realität geworden. Inwieweit treibt die Coronakrise die Entwicklung und den Einsatz von Robotern, Künstlicher Intelligenz und anderer digitaler/technischer Hilfsmittel voran?

Hosea-Che Dutschke: Die Digitalisierung wird in Dänemark auf Hochtouren vorangetrieben. Hier belegt Dänemark die Spitzenposition in Europa und ist Deutschland ein ganzes Stück voraus.

Digitale Tools und technische Hilfsmittel sind schon weit verbreitet.

Sie stellen sicher, dass die Menschen bis zum Ende ihres Lebens digitale und virtuelle Möglichkeiten haben, miteinander zu interagieren und Verbindungen und Freundschaften zu pflegen. Die Coronakrise ist hier auf jeden Fall ein großer zusätzlicher Treiber. So wurde im Zuge der „liebenden Kommune“ das Onlinekursangebot erweitert. Oder die Kommune fördert beispielsweise gezielt Konzerte von lokalen Künstlerinnen und Künstlern vor Pflegeeinrichtungen und treibt die IT-Unterstützung für ältere Menschen weiter voran. Doch eins kann die Digitalisierung nicht: echte zwischenmenschliche, persönliche Kontakte ersetzen.

Die sozialen, zwischenmenschlichen Kontakte sind seit Beginn der Krise eingeschränkt worden. Wird es durch immer mehr Zeit im eigenen Wohnbereich zu einer deutlichen Vereinsamung der Menschen kommen?

Hosea-Che Dutschke: Ein ganz klares Ja! Betrachten wir uns selbst und was passiert, wenn wir über einen längeren Zeitraum keinen oder nur wenig echten persönlichen Kontakt zu anderen Menschen haben. Das Abgeschottet-sein bzw. die soziale Isolation verändert Menschen und kann zu Einsamkeitsgefühlen und Depressionen führen. Eine große Gefahr besteht darin, dass sich Menschen an die Einsamkeit gewöhnen und es nach einer gewissen Zeit als „normal“ empfinden.

Doch Vereinsamung ist nicht gesund, einsame Menschen haben ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko.

Aus diesem Grund entwickeln wir Strategien, die – sobald es die Coronalage erlaubt – dabei helfen, wieder persönliche Kontakte aufzubauen, dass die Menschen ihren eigenen Bereich verlassen können und wieder unter andere Mitmenschen kommen.

Welche konkreten Ansätze sehen Sie, damit ältere Menschen gut, selbstbestimmt und ohne Verlust sozialer Interaktion mit neuer, innovativer Technik alt werden können?

Hosea-Che Dutschke: Hier sehe ich vor allem Gespräche und Gruppentherapien über die Videoplattformen Zoom oder Teams. Doch besonders wichtig ist uns, die digitale Welt mit realen sozialen Treffen zu kombinieren. Bei uns gibt es dazu den Begriff „bindeled“ (Bindeglied). Wir versuchen, die Menschen mit ihren unterschiedlichen Interessen über unsere diversen Medien zu erreichen. Virtuelle Kontakte und Kommunikation über digitale Kanäle sind das eine, doch wir wollen die Menschen, die aufgrund von Corona bereits ein Jahr zu Hause sitzen, auch wieder physisch in unseren 37 Begegnungszentren zusammenbringen.

Wie führt man ältere Menschen, die neuer Technik oft eher skeptisch gegenüberstehen, an dieses Thema heran? Welche Hilfe benötigen ältere Menschen?

Hosea-Che Dutschke: In unseren 37 multifunktionalen Begegnungszentren haben wir auch Internet-Cafés, wo ältere Menschen Hilfe finden können. Doch 90 Prozent der dänischen Bevölkerung sind bereits digital und von den älteren Menschen (über 65 Jahren) sind es bis zu 80 Prozent.

Das zeigt, dass die ältere dänische Bevölkerung die bestehenden digitalen Angebote akzeptiert und sehr gut mit den digitalen Möglichkeiten zurechtkommt.

Das heißt nicht, dass die Menschen auf physische Treffen verzichten wollen, doch für den Einsatz digitaler Anwendungen ist die Infrastruktur in Dänemark bereits etabliert und die Akzeptanz entsprechend hoch. Über unser Seniorenmagazin, das jeder Bürger und jede Bürgerin über 65 Jahren erhält, und über alle Medien, die uns zur Verfügung stehen, können wir immer wieder neue digitale Anwendungen und deren Möglichkeiten gezielt vermitteln und die Senioren für das Thema „Digitalisierung“ weiter öffnen.

Verändern sich durch die Coronakrise unsere Arbeits- und Lebenswelten gerade für immer? Welche nachhaltigen Veränderungen werden bleiben?

Hosea-Che Dutschke: Die hilfreichen und unterstützenden digitalen Programme und Strukturen werden sicher bleiben. So auch der selbstverständliche Umgang mit den verschiedenen digitalen Medien und deren alltäglicher Einsatz. Vielleicht wird er bisschen weniger, denn auf der anderen Seite sind die Menschen von all den Einschränkungen müde geworden und sehnen sich nach Freiheit und echten persönlichen Kontakten. 

Herzlichen Dank für dieses Gespräch.

Foto: Aarhus Kommune

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