Seit 2014 ist Sylvia Hütte-Ritterbusch als Teamleiterin Resource Management zuständig für Demografie-Themen im Mercedes-Benz Werk Bremen. Als Projektleiterin verantwortet sie die aktuelle Demografie-Ausstellung „EY ALTER“. Davor sammelte sie langjährige Führungserfahrung im Expatriatemanagement an Standorten wie Bremen, Stuttgart, Peking und Zürich.

Mercedes-Benz Cars startete bereits vor einiger Zeit mit der Demografie-Initiative „YES – Young and Experienced together Successful“. Damit strebt Daimler einen internen Kulturwandel an. In welcher Form hat sich die nachhaltige Veränderung der Altersstruktur bei Mercedes-Benz in den vergangenen Jahren in erster Linie bemerkbar gemacht?

Sylvia Hütte-Ritterbusch: In unseren Werken setzen wir schon länger auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit von jungen und erfahrenen Mitarbeitern. Auch in Zeiten der Digitalisierung und Industrie 4.0 ist der Mensch weiter ein wichtiger Erfolgsfaktor im weltweiten Produktionsnetzwerk von Mercedes-Benz Cars. Die Initiative YES hat seit Einführung großartige Veränderungen mit sich gebracht. Unter anderem ist dafür der sogenannte Demografie-Spiegel, ein Baustein von YES, verantwortlich. Er dient als standardisiertes Mess- und Steuerungsinstrument, das den Ist-Zustand an den Standorten von Mercedes-Benz Cars in Bezug auf Altersstruktur und Demografie bezogene Maßnahmen transparent macht. Auf Basis dieser Ergebnisse werden vom Arbeitgeber, dem Betriebsrat und den Arbeitnehmern konkrete Initiativen etwa im Bereich Qualifizierung und Gesundheitsmanagement entwickelt und zügig umgesetzt. Seit dem Startschuss im Jahr 2015 wurden in 30 Bereichen Demografie-Spiegel implementiert und rund 270 Maßnahmen mit über 670 Teilnehmern zu den Themen Gesundheit, Wissen, Karriere und Team abgeleitet. 

Wie entstand die Initiative YES (Auslöser, Motivation, Ziele)?

Sylvia Hütte-Ritterbusch: Der demografische Wandel bringt starke Verschiebungen in der Altersstruktur mit sich. Wir als Mercedes-Benz Cars stellen uns den damit einhergehenden Herausforderungen. Mit einer älter werdenden Belegschaft rückt eine neue Arbeitsorganisation mit enger Zusammenarbeit der Generationen in einer modernen Produktionsumgebung in den Fokus. Daher wurde 2015 die Demografie-Initiative YES gestartet. Ziel ist es, Altersstereotype durch Talente und Potenziale zu ersetzen und einen generationenübergreifenden Austausch anzukurbeln. 

Wie und warum entwickelte sich daraus die öffentlich zugängliche Ausstellung EY ALTER?

Sylvia Hütte-Ritterbusch: Die Erlebnisausstellung „EY ALTER – du kannst dich mal kennenlernen“ ist ein Baustein der YES-Initiative. Motiviert durch den internen Erfolg der Initiative wollen wir mit „EY ALTER“ auch in der Bevölkerung ein breites Bewusstsein dafür schaffen, dass der demografische Wandel eine Chance ist. 

Wir fordern die Menschen auf, das Altern und die damit verbundenen Vorurteile zu hinterfragen.

Im Vordergrund stehen dabei 20 Mitmachstationen, an denen man seine verschiedenen Potenziale erkunden kann. Das reicht von der Reaktionsfähigkeit bis zur Lebenserfahrung, von der Wahrnehmung bis zur geistigen Denkfähigkeit. Besucher können in fünf Themenbereichen erleben, was unser Denken über Alt und Jung bestimmt und wie persönliche Potenziale in Teams mit unterschiedlichen Generationen eingebracht werden können. Inkludiert ist auch ein Alters-Check zum biologischen-, sozialen-, gefühlten- und Erfahrungsalter. Man ist also um einige wichtige Erkenntnisse reicher, wenn man die Ausstellung verlässt. Aufgrund der positiven Ergebnisse aus unseren internen Führungskräfteworkshops laden wir nun auch außerhalb von Mercedes Benz Personaler, Entscheider und Fachkräfte dazu ein, von unseren Erfahrungen zu partizipieren. Besonders freut uns darüber hinaus, dass EY ALTER als außerschulischer Lernort in Berlin täglich Schulklassen empfängt, die sich bereits mit dem Thema Demografie positiv auseinandersetzen. 

Wie bringt man Jung und Alt konstruktiv zusammen bzw. wie kann man gegenseitige Rollenklischees (bewusst spitz formuliert: jung, neugierig und unerfahren vs. alt, schulmeisterlich/lethargisch und unflexibel) abbauen?

Sylvia Hütte-Ritterbusch: Bei „EY ALTER“ ist Mitmachen angesagt. Wir setzen bewusst auf das Prinzip der Beteiligung und Selbsterfahrung, um das Thema Chancen im demografischen Wandel so erlebbar zu machen. Und wir hinterfragen die üblichen Klischees. So müssen Besucher sich zu Beginn der Ausstellung für eine von zwei Eingangstüren entscheiden. Über der einen prangt das Wort „Jung“, über der anderen das Wort „Alt“. Das ist eine ganz individuelle Entscheidung, denn es gibt keine Altersgrenze, ab der ein Mensch alt ist. Wir fragen: Alt sein – was bedeutet das überhaupt? Vor Kurzem war zum Beispiel eine Frau mit ihrem 98-jährigen Vater bei uns in der Ausstellung. Die beiden haben ganz bewusst beide Türen passiert. Weil er sich, wie sie meinte, schon manchmal alt fühlt, aber andererseits auch unbedingt mindestens 100 werden will. Wir hatten hier auch schon 30-Jährige, die sich nach einem anstrengenden Arbeitstag bei „Alt“ einordneten, und 70-Jährige, die ganz selbstbewusst und ohne mit der Wimper zu zucken bei „Jung“ eintraten. Nachdem Besucher sich für ein Eingangstor entschieden haben, werden sie mit klassischen Vorurteilen wie „Dir fehlt die Erfahrung“ oder „Deine beste Zeit hast du hinter dir“ konfrontiert.

Wir wollen hier ein bisschen provozieren, irritieren und die Besucher dazu auffordern, über ihr eigenes Alter, ihre eigenen Vorstellungen vom Alter nachzudenken. 

Zusammenbringen ist das eine, doch wie nutzt man die Potenziale im Betrieb konkret (wer kann wie von wem lernen)?

Sylvia Hütte-Ritterbusch: Unter anderem haben wir Mitarbeitern um die 50 angeboten, zusammen mit Jugendlichen noch einmal eine Ausbildung zu machen. Sie haben dann gemeinsam die Berufsschulbank gedrückt. Das kam bei beiden Altersgruppen total gut an. Auch haben erst kürzlich Ältere und Jüngere zusammen eine Videoplattform im Intranet aufgebaut. Erfahrene zeigen hier, wie Maschinen und Arbeitsabläufe funktionieren und verraten ihre Tricks und Kniffe. Altersgemischte Teams können extrem erfolgreich sein, wenn beide Seiten offen sind und ihre Stärken gleichmäßig einbringen. 

Auf welchen Betriebsebenen sollte dies (wie) gesteuert werden, um ein nachhaltiges Miteinander zu erreichen?

Sylvia Hütte-Ritterbusch: Wir haben bis heute fast 2500 Führungskräfte zum Thema Demografie qualifiziert und dabei sehr positive Rückmeldung zur Bedeutung dieser Schulungsreihe erhalten. Denn ein wichtiger Erfolgsfaktor von YES liegt (wenn auch nicht ausschließlich) in der regen Beteiligung der Führungskräfte. Sie werden sensibilisiert, die erfolgreiche Zusammenarbeit in altersgemischten Teams zu fördern. So können Mitarbeiter über das gesamte Arbeitsleben hinweg motiviert ihre Fähigkeiten entfalten. 

EY ALTER kann noch bis 19. Januar 2019 in Berlin besucht werden. Wie sieht bis dato Ihr Fazit (auch im Hinblick auf die gesellschaftliche Wahrnehmung) aus?

Sylvia Hütte-Ritterbusch: Wir freuen uns, dass wir die Ausstellung nach Bremen und Stuttgart nun in Berlin präsentieren können. Insgesamt waren bereits über 360.000 Besucher in „EY ALTER“ über alle drei Standorte verteilt. Ein Wert, der uns sehr stolz macht. Wir hoffen natürlich, dass wir in Berlin und an möglichen weiteren Standorten noch viele Menschen dazu bringen können, sich mit dem demografischen Wandel und dem Thema Alter(n) auf eine neue Art auseinanderzusetzen (www.eyalter.com/de). 

Herzlichen Dank für die Beantwortung unserer Fragen.

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