Die Entwürfe des Studios sind von zeitloser Einfachheit inspiriert und orientieren sich am menschlichen Maßstab. „Nur wer wagt, etwas Neues zu machen, wer Grenzen überschreitet, kann neues Wissen erfahren.“ Dies ist Matteo Thuns treibende Energie. Matteo Thun ist in Südtirol geboren und aufgewachsen. Nach seinen Studien bei Oskar Kokoschka und Emilio Vedova an der Akademie in Salzburg schloss er sein Architekturstudium an der Universität Florenz mit Auszeichnung ab. 1981 gründete er mit Ettore Sottsass die „Memphis-Gruppe“ und eröffnete 1984 sein eigenes Architektur- und Designstudio Matteo Thun & Partners – Mailand, München: Matteo Thun & Partners.
Was sind die Kernpunkte Ihrer Architektursprache bzw. wir würden Sie die Philosophie Ihrer Architektur beschreiben?
Matteo Thun: Für uns hat jedes Projekt seine eigene Identität – der Genius Loci bestimmt den Stil unserer Architektur. Dabei ist die Natur immer ein integraler Bestandteil.
Bei unserer Arbeit verfolgen wir einen multikulturellen, holistischen Ansatz – sowohl in kleinem wie in großem Maßstab. Dieser interdisziplinäre Prozess fokussiert sich auf ästhetische und technische Beständigkeit unserer Gebäude und Produkte.
Wie wirkt sich Ihre Architektur auf die Menschen in Ihren Bauten aus bzw. was möchten Sie im Idealfall erreichen?
Matteo Thun: Wir versuchen, die Beziehung zwischen physischem Raum und dem Wohlbefinden des Menschen positiv zu beeinflussen.
Um dies zu erreichen, setzen wir vor allem taktile, natürliche Materialien, warmes Licht, Holz und viel Grün im Interior ein.
Es bestehen keine Zweifel darin, dass Natur regenerierend auf uns Menschen wirkt.
Welche Konzepte und Materialien werden die Architektur in den nächsten Jahren maßgeblich prägen?
Matteo Thun: Wir erleben einen Moment polyzentrischer Entwicklung: mehr städtische Zentren um bestehende Zentren. Holzbau – auch der mehrgeschossige Holzbau erlebt ein Hoch – und das global. Auf der ganzen Welt beginnt man Gärten, Terrassen und grüne Höfe auch in die vertikale Architektur zu integrieren.
Die Menschen wollen keine unerträglich verdichteten Städte mehr – sie wollen ‚grün’ leben – auch in der Stadt.
Gerade in den Großstädten ist, wie wir es nennen „botanische Architektur“ sinnvoll, weil sie neben der CO2-Reduktion auch für den Menschen erwiesenermaßen neurologische, psychologische und physiologische Vorteile bietet.
Und – Holz ist ein fantastisches Baumaterial – nicht nur wegen der Patina, die es über die Jahre entwickelt – das wäre zu wenig. Holz ist ein nachwachsender Rohstoff und meist aus der Bauregion beziehbar. Es ist recyclingfähig und kohlenstoffneutral, flexibel, leicht und verfügt über hervorragende statische Eigenschaften. Es ist formbar und sorgt für gutes Raumklima. Es ist optimal für Pre-Fabrikation geeignet und individuell konfigurierbar. Konstruktionen aus Holz erfüllen nicht nur die klassischen Anforderungen an Statik, Schallschutz, Brandschutz, sondern werden zunehmend auch wirtschaftlich interessant. Vorgefertigt ermöglicht es uns, Bauzeit und Kosten enorm zu reduzieren. Um deutlich mehr Holz zu verbauen, bedarf es allerdings, dass wir auch deutlich mehr aufforsten – mehr Bäume pflanzen.
Wie verändert Corona neue Architekturkonzepte?
Matteo Thun: Insgesamt haben die zunehmenden Belastungen des Alltags, die längeren Arbeitszeiten, die Unfähigkeit, sich von digitaler Technologie zu trennen, und das Aufkommen des Coronavirus eine Verschiebung hin zu Räumen ausgelöst, die durch Einsamkeit und Selbstbetrachtung mehr Achtsamkeit hervorrufen.
Wir müssen jetzt sicherheitsbewusster planen, Layouts ändern, um die persönliche Distanzierung und die daraus resultierende Modularität und Flexibilität zu berücksichtigen.
Dazu gehören Thermoscanner, berührungslose Türen und Oberflächen, sanitäre Klimaanlagen, mehr Grün im Innenbereich und versiegelte Böden, Wände und Decken und vieles mehr. In den Städten werden wir mehr Kooperationsprojekte sehen, Projekte mit gemischter Nutzung und Menschen werden flexibler arbeiten. Flexibilität wird auch das Möbeldesign bestimmen – faltbare und stapelbare Möbel werden an Bedeutung gewinnen.
Healing Architecture ist ein Schlagwort, welches in Zusammenhang mit Klinik- und Pflegeheimbauten immer wieder fällt. Was halten Sie von diesem Begriff und wie würden Sie ihn definieren?
Matteo Thun: Gebäude interagieren mit Menschen – der menschliche Körper ist nicht von seiner Umgebung getrennt. Healing Architecture ist zwar inzwischen ein Schlagwort – aber es bringt es auf den Punkt.
Für uns Architekten geht es darum, physisches und raumsuggestiv psychisches Wohlbefinden im Zusammenspiel von Personal, Patienten und Angehörigen zu schaffen.
Der Mensch, seine Bedürfnisse, sein Wohlbefinden, seine Genesung steht beim ersten Entwurf bereits im Mittelpunkt und bleibt Zentrum der weiteren Planung.
Seit Ende Oktober vereinen die Waldkliniken Eisenberg erstmals orthopädische Spitzenmedizin mit zwei hochklassigen Hotels (4 und 5 Sterne) in einem Neubau, der in der deutschen Krankenhauslandschaft neue Maßstäbe setzt. Wie kam es zu der Idee, ein städtisches Krankenhaus mit höchstem Hotelkomfort zu kombinieren? Und was war die Vision/das Ziel?
Matteo Thun: Architektur und Interior des neuen Gebäudes der Waldkliniken in Eisenberg überzeugten das Ministerium von Thüringen als das ökologischste, nachhaltigste und wirtschaftlichste Konzept. Der Geschäftsführer der Waldkliniken, David-Ruben Thies wollte eine Klinik durchsetzen, die Spitzenmedizin, Innovation und eben ‚Healing Architecture’ zusammenbringt. Dieses Ziel hat er im gesamten Planungs- und Bauprozess nicht aus den Augen gelassen.
Das Design von Interior und Architektur der Waldkliniken soll den Heilungsprozess begünstigen und entspricht dem Konzept von ‚Hospitecture’: Die Designsprache verbindet die Ästhetik von Hospitality-Projekten mit der im Gesundheitswesen.
Mit anderen Worten: Hotelstandard für ein kommunales Krankenhaus. Um dies zu realisieren, haben wir mit den Spezialisten für Gesundheitsbauten, der HDR GmbH zusammengearbeitet.
Was sind die herausragendsten architektonischen Aspekte/Innovationen des Patientenhotels (Funktion, Form, Wirkung, Materialien)?
Matteo Thun: Umgeben von Wald und mit 55 neu gepflanzten Bäumen im direkten Außenbereich stellt die kreisförmige Holzstruktur des Gebäudes das Material Holz in den Mittelpunkt. Viel Grün für Interior und Exterior, natürliche Materialien, ein Zusammenspiel von Innen und Außen, ein überlegter Einsatz von künstlichem Licht und Tageslicht und Farbkompositionen aus Flora und Fauna. Das Interior-Konzept bietet Patienten die Möglichkeit, sich in den Z-förmigen Zweibettzimmern zurückzuziehen und ihre Privatsphäre zu genießen. Geräumige Veranden verbinden die Zimmer, die alle auf die umliegende Natur ausgerichtet sind. Zimmer, Boarding-Bereiche, ein Unit-Pflegekonzept.
Die Innenausstattung sorgt für Transparenz – nicht nur zur Natur nach draußen, sondern auch zum Personal im Gebäude.
Welche Trendentwicklungen sehen Sie für die Realisierung innovativer Gesundheitsbauten der Zukunft voraus?
Matteo Thun: Es geht um das Zusammenspiel von Medizin, Architektur, Interior, digitalem Know-how und Menschlichkeit. Um natürliche Materialien, Hygiene, ein ausgewogenes Lichtkonzept – und natürlich auch um gutes Essen.
Es geht um ein Zusammenspiel der Sinne.
Herzlichen Dank für die Beantwortung unserer Fragen.
Copyright Foto Matteo Thun: Nacho Alegre / Fotos Waldkliniken Eisenberg: Gionata Xerra / Jod-Schwefelbad Bad Wiessee: Jens Weber