Kordula Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen, ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie ist als ordentliches Mitglied im Ausschuss für Gesundheit und im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement tätig. Zusätzlich ist sie Mitglied im Unterausschuss für globale Gesundheit und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. In der Fraktion fungiert Frau Schulz-Asche als Sprecherin für Alten- und Pflegepolitik sowie Berichterstatterin für Infektionsschutz, Arzneimittel und Medizinprodukte.

Hatten Sie schon einmal Gelegenheit, eine oder mehrere Pflegeeinrichtungen zu besuchen, um sich ein Bild der Lage zu machen? Welche Eindrücke haben Sie mitgenommen?

Kordula Schulz-Asche: Der regelmäßige Besuch von Pflegeeinrichtungen und Pionierprojekten der Prävention in der Pflege gehört für mich als Berichterstatterin für Alten- und Pflegepolitik meiner Fraktion zu meinen wichtigsten Aufgaben. Es geht mir nicht nur darum, mich immer weiter zu informieren, sondern genauso den unterschiedlichen Trägern zu zeigen, dass jemand für sie da ist und zuhört.

Dabei merke ich verstärkt, vor welche enormen Herausforderungen der demografische Wandel die Pflegeeinrichtungen stellt.

Auf beiden Seiten ist der Druck groß: lange Wartelisten für die Pflegebedürftigen und erheblicher Personalmangel unter den Fachkräften.

Gab es konkrete Anregungen/Forderungen/Kritik seitens der Bewohner?

Kordula Schulz-Asche: Was mir die Bewohnerinnen und Bewohner eigentlich immer widerspiegeln, ist, dass sie sich genau dann am wohlsten fühlen, wenn sie noch in eigener Häuslichkeit oder heimähnlichen, vertrauten Strukturen leben können. Der Auftrag gilt, ihre Selbstständigkeit möglichst lange zu wahren.

Dafür braucht es vor allem Integration in die Strukturen vor Ort, sei es durch Modelle wie die „Pflege im Quartier“ oder durch lokale Projekte mit Ehrenamtlichen.

Wichtig ist es mir ebenfalls, das Potenzial von Digitalisierung zu betonen. Ein sinnvoller Einsatz kann Pflegebedürftigen Netzwerke aufbauen, die ihnen helfen, in Kontakt zu bleiben und weniger zu vereinsamen. 

Und seitens des Personals?

Kordula Schulz-Asche: Auch dem Pflegepersonal selbst ist Digitalisierung wichtig. Eine fachgerechte Anwendung kann sie wirksam entlasten. Pflegeeinrichtungen, die diese Chance nutzen und in digitale Infrastruktur investieren, bekommen deshalb finanzielle Unterstützung.

Das A und O bleibt aber eine effizientere Fachkräftegewinnung. Wir sind dabei ganz klar auf Einwanderung angewiesen, aber eben nicht nur auf die Anwerbung bereits hochqualifizierter ausländischer Kräfte, sondern genauso auf die Menschen in Ausbildung.

So wird Deutschland als Ausbildungs- und Arbeitsstandort für eine breitere Masse attraktiv und hilft den Menschen, sich dank der direkten Einbindung in lokale Lehrstrukturen und Sprachkurse schneller zu integrieren.

Viele Pflegeeinrichtungen stehen aufgrund hoher Inflation, explodierender Energie- sowie steigender Personalkosten und Problemen bei der Refinanzierung vor der Insolvenz. Welche Maßnahmen sieht die Bundesregierung konkret vor, um die immer weiter steigenden Kosten für Betreiber abzufedern?

Kordula Schulz-Asche: Die Entwicklungen und Berichte zu Insolvenzen von Pflegeeinrichtungen nehmen wir sehr ernst. Allerdings konnte eine massive Schließungswelle glücklicherweise verhindert werden.

Denn mit etwa 13 Milliarden Euro Steuerzuschüssen und Mitteln der sozialen Pflegeversicherung wurden die pandemiebedingten Kosten der Betreiber weitestgehend abgefedert. 

Gerade zum Höhepunkt der Energiekrise konnten wir mit der Übernahme sämtlicher Voraus- und Abschlagszahlungen für Dezember letzten Jahres und mit der allgemeinen Strom- und Gaspreisbremse auch den Pflegeeinrichtungen helfen. Dazu kommen die Ergänzungshilfen für stationäre Einrichtungen. Sie werden über die Pflegekassen abgerechnet und entlasten angesichts gestiegener Energiekosten noch zusätzlich.

Der medizinische Fortschritt und die Alterspyramide sorgen für einen schnell wachsenden Bedarf an stationären Pflegeheimplätzen in den nächsten 5 bis 10 Jahren. Die zu versorgenden Menschen werden tendenziell älter und kränker. So wird auch die Anzahl an schwer pflegebedürftigen Menschen stark ansteigen. In den nächsten Jahren werden ca. 15.000 zusätzliche Pflegeheimplätze pro Jahr benötigt (man geht sogar von 100.000 in den nächsten 7 Jahren aus), die Bautätigkeit jedoch stagniert. Wie möchte die Bundesregierung die Investitionen (wieder) anschieben und fördern?

Kordula Schulz-Asche: Für die Planung und Förderung von Investitionskosten sind die Länder zuständig. In Anbetracht des enormen Handlungsbedarfs können steigende Eigenanteile und ausstehende Investitionen nicht mehr länger in Kauf genommen werden. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung die Verantwortung der Länder erneut betont.

Gleichzeitig darf man nicht vergessen, wie stark die gesamte Baubranche momentan belastet ist. Hohe Rohstoff- und Energiepreise genauso wie gestiegene Zinsen bremsen den Bau neuer Pflegeeinrichtungen spürbar. Schnelle Lösungen hätten wir alle gerne, nur die kann es in der aktuell angespannten Lage nicht geben.

Was allerdings nicht heißen soll, dass wir untätig bleiben:

Neben der klassischen Pflegeeinrichtung müssen alternative Wohnformen stärker ins Blickfeld rücken.

Im Pflegeunterstützungs- und Pflegeentlastungsgesetz haben wir mehr finanzielle Förderung für die Modellvorhaben zu „Pflege im Quartier“ und eine Anhebung des Wohngruppenzuschlags zum Jahr 2025 und 2028 beschlossen. Und in kommenden Gesetzesverhandlungen wollen wir uns auch weiterhin für die Belange von ambulanten Wohngemeinschaften einsetzen.

Auch der Fachkräftemangel macht der Pflegebranche mehr als nur zu schaffen. Welche Maßnahmen zur Lösung des Personalproblems müssen zeitnah greifen, und wie soll das erreicht werden?

Kordula Schulz-Asche: Am schnellsten reagieren wir mit richtiger Einwanderungspolitik.

Mit dem Pflegestudiumstärkungsgesetz, das zurzeit noch den parlamentarischen Prozess durchläuft, erreichen wir unter anderem, dass Einwanderung von ausländischen Pflegekräften durch bundesweit einheitliche Regelungen einfacher wird.

Zusätzlich hat die Bundesregierung mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz ein modernes System geschaffen, das langwierige Verfahren der Anerkennung von Berufsabschlüssen und Bürokratie endlich abbaut.

Langfristig kann der Pflegestandort Deutschland aber nur attraktiv bleiben, wenn Familie und Beruf wirklich vereinbar sind. Deshalb haben wir im Pflegeunterstützungs- und Pflegeentlastungsgesetz beschlossen, das Förderprogramm „Gute Arbeitsbedingungen in der Pflege“ zu verlängern und Pflegeeinrichtungen bei entsprechender Umsetzung der Maßnahmen mit bis zu 10.000 Euro zu unterstützen.

Die zweite und langfristig wichtigste Säule neben der Einwanderung ausländischer Fachkräfte ist die Stärkung und Aufwertung der Pflegeausbildung.

Nur so können wir der aktuell rückläufigen Entwicklung bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen entschieden entgegentreten. 

Die Reform der Pflegeausbildung zum Januar 2020 wird dementsprechend weiterhin von der „Ausbildungsoffensive Pflege“ von Bund, Ländern und Verbänden sowie durch die zielgruppenspezifische Werbekampagne des Familienministeriums begleitet.

Wie im Koalitionsvertrag beschlossen, muss neben der Pflegefachausbildung genauso die Pflegeassistenzausbildung bundesweit vereinheitlicht werden – dazu ist der Bund mit den Ländern im Gespräch.

Vor dem Hintergrund immer größer werdender Anforderungen an den Pflegeberuf braucht es aber genauso hochschulisch ausgebildete Pflegerinnen und Pfleger, die einen betont wissenschaftlichen und ganzheitlichen Blick bieten und es wissen, die vorhandenen Kräfte effizient zu koordinieren.

Mit dem Pflegestudiumstärkungsgesetz wird das Studium zum dualen und somit während der Praxisphasen angemessen finanziert – so stärken wir alle Schienen der Ausbildung und schaffen Pflege, die Deutschland verdient hat.

Bei all den genannten Herausforderungen wird es nicht zu vermeiden sein, dass der Eigenanteil der Pflegebedürftigen in Pflegeeinrichtungen (deutlich) steigt. Immer mehr Pflegebedürftige sind bereits heute auf Sozialhilfe angewiesen. Welche Anstrengung unternimmt die Bundesregierung, damit Pflegebedürftige (und auch Angehörige) entlastet werden?

Kordula Schulz-Asche: Die in über vier Millionen deutschen Haushalten lebenden pflegenden Angehörigen gebührt ein Höchstmaß an Wertschätzung und Respekt. Wichtige Schritte dazu sind im Pflegeunterstützungs- und Pflegeentlastungsgesetz getan worden:

Das Pflegegeld, Zuschüsse zum ambulanten Pflegedienst und zu den Eigenanteilen in Pflegeeinrichtungen werden gestaffelt angehoben.

Damit pflegende Angehörige Beruf, Pflege und Privatleben besser koordinieren können, werden die Leistungen der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege ab Juli 2025 flexibel kombinierbar. Für Eltern von pflegebedürftigen Kindern gilt die Regelung schon ab dem 1. Januar 2024.

Welche weiteren Maßnahmen zur Unterstützung der Pflegebranche sind geplant? Was wird die Bundesregierung weiter unternehmen?

Kordula Schulz-Asche: Weitere Erfolge konnten im Bereich Digitalisierung erzielt werden. Beispielsweise soll die gesamte pflegerische Versorgung nun bis zum 1. Juli 2025 die elektronische Patientenakte nutzen und elektronisch Abrechnungen sowie Verordnungen – insbesondere für die ambulante Pflege – abwickeln. Ergänzend wollen wir ein Kompetenzzentrum „Digitalisierung und Pflege“ aufbauen und die digitale Vernetzung von Akteuren in der Pflege, sprich die Telepflege, weiter stärken.

Gerade für den ländlichen Raum ist dieses Netzwerk essenziell und kann auch bei der von uns Grünen geforderten kommunalen Mitgestaltung von Pflegestrukturen helfen.

Denn nur durch ein ausgeklügeltes Zusammenspiel von Digitalisierung und lokaler Bedarfsplanung gelingt uns Pflege, die ihren Herausforderungen gewachsen ist.

Besten Dank für die Beantwortung unserer Fragen.

Foto: © Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, S. Kaminski

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