Mit Beschluss des Bundeskabinetts vom 21. März 2018 wurde Dr. h.c. Andreas Westerfellhaus zum Pflegebevollmächtigten ernannt. Er ist seit dem 15. April 2018 im Amt. Der Pflegebevollmächtigte tritt für die Interessen der Pflegebedürftigen im politischen Raum ein und setzt sich dafür ein, dass ihre Belange im Mittelpunkt des Pflege- und Gesundheitssystems stehen. Er ist Ansprechpartner für alle in der Pflege Beteiligten. Die Bundesministerien und -behörden beteiligen den Pflegebevollmächtigten bei allen Gesetzes-, Verordnungs- und sonstigen wichtigen Vorhaben mit Pflegebezug.
Ab September 2022 soll die (Neu-)Zulassung von Altenheimen und Pflegediensten von einer Entlohnung nach Tarif abhängig gemacht werden. Wie wird sich das auf die Lage und die (Weiter-)Entwicklung der stationären Pflege auswirken?
Andreas Westerfellhaus: Bezahlung nach Tarif – das ist Anerkennung für die wertvolle Arbeit, die Pflegekräfte nicht nur in der Pandemie täglich leisten. Tariflöhne sind keine bloße Gefälligkeit für Pflegekräfte, sondern bringen auch eine gesellschaftliche Anerkennung zum Ausdruck. Vor allem aber soll das Tariftreuegesetz dabei helfen, die Versorgung von Pflegebedürftigen sicherzustellen.
Sowohl stationäre als auch ambulante Pflegeeinrichtungsbetreiber werden es mit höheren Gehältern leichter haben, qualifiziertes Personal zu finden und zu halten.
Das zeigen die Erfahrungen anderer Branchen. Leider hat es der Pflegemarkt allein nicht gerichtet, in einer Branche mit massivem Fachkräftemangel flächendeckend vernünftige Arbeitsbedingungen zu bieten. Folge ist, dass viele Pflegekräfte den Beruf verlassen oder ihre Arbeitszeit reduzieren. Deshalb war die Politik gefordert und hat gehandelt. Nach dem Scheitern allgemeinverbindlicher Tarifverträge gibt die Bundesregierung die richtige Antwort, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen.
Und zu welchen Auswirkungen wird es dahingehend in der ambulanten Pflege kommen?
Andreas Westerfellhaus: Mit der Tarifzahlung als Zulassungsvoraussetzung sowie entsprechenden Prüfrechten der Pflegekassen werden Tarifgehälter in der Langzeitpflege endlich die Regel und eine Lohnerhöhungsspirale wird kommen.
Damit höhere Löhne nicht allein von den Pflegebedürftigen zu tragen sind, werden die zu erwartenden Preisanstiege in der ambulanten Pflege durch die Anhebung der Sachleistungsbeträge abgefedert.
Nur rund die Hälfte der 1,2 Millionen Pflegekräfte bekommt derzeit überhaupt Tariflohn. Ab Herbst 2022 müssen Pflegeeinrichtungen entweder tarifgebunden sein oder zumindest Löhne in Höhe eines Pflege-Tarifvertrages zahlen. Das soll auch für bestehende Pflegeeinrichtungen gelten. Nicht tarifgebundene Pflegeeinrichtungen sollen einen Anreiz erhalten, Tarifverträge anzuwenden. Wie bewerten Sie diese Maßnahme?
Andreas Westerfellhaus: Die Regelung ist ein echter Meilenstein, denn künftig kann kein Träger in der Langzeitpflege mehr Tariflöhne verweigern. Allerdings kann der Gesetzgeber nur den Rahmen vorgeben. Was faire Gehälter sind, legen die Sozialpartner vor Ort fest. Damit am Ende gute Löhne herauskommen, werden Gewerkschaften deshalb erheblich mehr Pflegekräfte unter ihren Mitgliedern brauchen. Im Übrigen bin ich ein großer Verfechter von Tarifverträgen, die fair zwischen den Sozialpartnern vereinbart werden.
Ein entscheidender Vorzug von Tarifverträgen ist, dass in ihnen außer dem Arbeitsentgelt innovative Arbeitszeitmodelle, höhere Zuschläge, stabile Dienstpläne und vieles mehr vereinbart werden kann, was sich Pflegekräfte wünschen, um im Beruf zu bleiben.
Außerdem ist eine Begrenzung des Eigenanteils für Heimbewohner an den Pflegekosten vorgesehen, damit eine bessere Bezahlung von Pflegekräften nicht zu ihren Lasten geht. Finanziert werden soll das gesamte Vorhaben durch eine Anhebung des Beitragssatzes zur Pflegeversicherung für Kinderlose um 0,1 Punkte auf 3,4 Prozent des Bruttolohns sowie einen Zuschuss des Bundes in einstelliger Milliardenhöhe. Werden damit die Herausforderungen, die der demografische Wandel mit sich bringt, in den Griff zu bekommen sein?
Andreas Westerfellhaus: Mit der Begrenzung der Eigenanteile und der Einführung bundeseinheitlicher Personalschlüssel in der stationären Pflege sowie der verpflichtenden Entlohnung von Pflege- und Betreuungskräften nach Tarif werden auf den letzten Metern der Legislaturperiode dringende Schritte gemacht, um die künftige Pflegeversorgung sicherzustellen. Mehr Lohn, mehr Personal, mehr Kompetenzen für Pflegekräfte – die Bundesregierung hält Wort und verbessert die Arbeitsbedingungen in der Langzeitpflege. Pflegebedürftige werden mit den Mehrkosten nicht allein gelassen, sie erhalten von der Pflegeversicherung höhere Leistungsbeträge und Zuschüsse zu den Eigenanteilen. Erstmals wird auch in der Pflege Steuergeld in die Hand genommen, um die Finanzierung für faire Löhne Arbeitsbedingungen auf breite Schultern zu verteilen.
Allerdings ist diese Pflegereform nicht das Ende der Fahnenstange, weitere Schritte müssen folgen.
Wird sich durch die Pflegereform die Wahrnehmung (bzw. das Image) des Pflegeberufs in der Gesellschaft ändern?
Andreas Westerfellhaus:
Ich glaube, dass die gesellschaftliche Anerkennung von Pflegearbeit immer schon enorm war und in der Pandemie weiter gestiegen ist. Aber sie hat sich in den Augen vieler Beschäftigter in der Langzeitpflege nicht in den Arbeitsbedingungen niedergeschlagen.
Durch die Pflegereform machen wir nun Schritte mit Siebenmeilenstiefeln, um die Wünsche der Pflegekräfte nach mehr Personal, mehr Kollegen und Kolleginnen und mehr Berufsautonomie endlich zu erfüllen. Das alles sind Dinge, die ich bereits als Präsident des Deutschen Pflegerates und nun als Pflegebevollmächtigter seit vielen Jahren gefordert habe. Nach dem Klatschen in der Pandemie werden Pflegkräfte konkrete Verbesserungen im Portemonnaie, bei den Arbeitszeiten und der Zusammenarbeit mit Ärzten spüren. Meine Hoffnung ist, dass dann aus dem Beruf geflüchtete Pflegekräfte zurückkehren und Teilzeitkräfte ihre Arbeitszeiten aufstocken. Ein verbessertes Image der Langzeitpflege wird außerdem dazu beitragen, noch mehr Nachwuchs in die Pflege zu holen. Denn wir brauchen jedes Jahr mehr und mehr Pflegekräfte, um die rasant steigende Zahl alter und pflegebedürftiger Menschen zu versorgen.
Was würden sich zusätzlich von der Politik wünschen?
Andreas Westerfellhaus:
Der sogenannte „größte Pflegedienst Deutschlands“, die pflegenden Angehörigen, und die Pflegebedürftigen müssen noch stärker bei der Pflege zu Hause unterstützt werden – durch eine passgenaue Beratung, deutlich mehr Flexibilität und Transparenz der Pflegeversicherungsleistungen sowie eine Dynamisierung des Pflegegeldes.
Ich habe mit meinem Vorschlag zum Entlastungsbudget dazu einen praktikablen Vorschlag gemacht. Die nächste Bundesregierung muss das Thema Pflege weiterhin ganz oben auf die Agenda setzen.
Herzlichen Dank für die Beantwortung unserer Fragen.
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