Über KI-eeper, Forschungsprojekt am ifaa – Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V., sprachen wir mit M. Sc. Christian Cost Reyes (rechts im Bild), Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Unternehmensexzellenz, Dr. Holger Dander (Mitte im Bild), Geschäftsführer von sensrec service UG und Leiter der Abteilung hybride Montage am Lehrstuhl für Fertigungstechnik an der Universität Duisburg-Essen. Nicole Ottersböck (links im Bild), Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Arbeits- und Leistungsfähigkeit.

Wie kam es zum Forschungsprojekt, was sind die ausgewiesenen Ziele?

KI_eeper-Team: Das Projekt KI_eeper greift das bekannte Problem des demografischen Wandels auf und soll eine problematische Entwicklung in Unternehmen vorbeugen: den Wissensverlust durch den Ruhestand wichtiger Fachexperten. Die Generation der Babyboomer wird über die nächsten Jahre den Arbeitsmarkt über die Rente verlassen, wodurch deren Wissen mit ihnen gehen wird. Dabei meinen wir aber nicht das übliche Wissen, was man auch in Handbüchern oder Prozessdokumentationen finden kann.

Wir sprechen von Erfahrungswissen, welches essenziell ist, um eine Tätigkeit auszuüben, aber gleichzeitig nicht einfach erfassbar ist.

Ein Beispiel aus dem Alltag: Sie besitzen ein Auto und fahren dieses jeden Tag. Somit lernen Sie das Verhalten und die Eigenschaften des Autos kennen. Sie gewöhnen sich an das Lenkverhalten und die Motorleistung, die Geräusche und Gerüche. Wenn nun etwas mit Ihrem Auto nicht stimmen sollten, erkennen Sie es sofort. Ein seltsames Rattern, eine Veränderung im Geruch reicht – und Sie wissen Bescheid. Andere, welche dieses Auto nicht so oft fahren, werden dieses Wissen nicht besitzen. Wenn Sie ihre Kenntnisse über das Auto weitergeben wollen würden, könnten Sie es nicht exakt beschreiben. Sowohl die Erfassung als auch die Bereitstellung des Wissens wäre schwierig. Genau dieser Fall ist übertragbar auf beispielsweise Fertigungsmitarbeitende in einem Produktionsbetrieb, welche ihre Maschinen und Produkte in- und auswendig kennen, aber dessen Wissen schwierig an andere weiterzugeben ist. In KI_eeper nutzen wir KI-Technologie, um die Probleme des demografischen Wandels und schwierigen Wissenstransfer zu umgehen: Die KI soll dieses implizite Wissen von Fachexperten erfassen und über ein Assistenzsystem den Mitarbeitenden bereitstellen.

So soll dieses System nicht nur neuen Mitarbeitenden zur Informationsvermittlung dienen, sondern auch erfahrene Fachexperten entlasten.

Wie haben Sie die am Forschungsprojekt beteiligten langjährig Berufstätigen und Unternehmen ausgewählt (Branchen, Anzahl der Teilnehmenden/Unternehmen, Qualifikation usw.)?

KI_eeper-Team:  Wir haben eine Ausschreibung vorbereitet, in der wir die Projektidee und die Rahmenbedingungen der öffentlichen Förderung beschrieben haben. Den Zweiseiter haben wir über unser ifaa-Netzwerk, die Arbeitgeberverbände insbesondere der M+E-Industrie gestreut. Diese haben ihre Mitgliedsunternehmen informiert. Daraufhin haben wir zahlreiche Bewerbungen zur Teilnahme von Unternehmen erhalten.

Schon hier haben wir gemerkt, dass das Thema Wissenstransfer und -erhalt eine hohe Relevanz in der Wirtschaft hat.

Die von uns ausgewählten Unternehmen sind produzierende KMU aus der Metall- und Elektroindustrie. Die Ennepetaler Schneid- und Mähtechnik GmbH (ESM) hat rund 75 Mitarbeitende und die apra-norm Elektromechanik GmbH am Standort in Mehren 275 Mitarbeitende. Beide Unternehmen entsprechen den öffentlichen Förderkriterien und bieten für die Projektidee die passenden Anwendungsfälle. Die Auswahl der Anwendungsfälle und somit auch der Beschäftigten haben wir in Kooperation mit dem Leitungskreis der Unternehmen getroffen. Hier lag der Fokus auf Arbeitstätigkeiten, die besonders viel Erfahrungswissen erfordern und die Einarbeitung von neuen Beschäftigten langwierig ist.

Bei beiden Anwendungsfällen handelt es sich um implizites Erfahrungswissen, was nur in den Köpfen langjähriger Beschäftigter verankert ist. Es gibt keine Aufzeichnungen dazu, denn das Wissen ist den Expertinnen und Experten oftmals nicht bewusst und daher auch schwierig zu erfassen/erfragen. 

Welche Daten werden erhoben? 

KI_eeper-Team: Dadurch, dass sich die Anwendungsfälle so radikal unterscheiden, werden für die Datenbasis der KI unterschiedliche Ansätze gewählt. Für das Unternehmen ESM verwenden wir einen sensorgetriebenen KI-Ansatz.

Mithilfe von Sensoren soll hier eine entsprechende Datenbasis aufgebaut werden.

Erhobene Daten sind beispielsweise geometrische Daten der zu richtenden Balken und Maschinendaten wie beispielsweise der verwendete Druck, um den Balken in die gewünschte Form zu bringen.

Bei apra-norm ist die Datenbasis hingegen mitarbeiterbasiert, das heißt, dass die Mitarbeitenden ihr Wissen direkt an die KI weitergeben und daraus eine Datenbasis entsteht. Die KI lernt daraus.

Sie lernt, wie und womit bestimmte Teile aufgehängt werden, und stellt dieses Wissen den Mitarbeitenden über dieselben Terminals bereit. Beispielhafte Daten sind Produktgruppen, verwendete Hängevorrichtungen (Haken, Rahmen, etc.), Bilddaten von Fotografien der vollbestückten Wagen, die Information über die Notwendigkeit von zusätzlichen Arbeiten (Umhängen an anderen Stationen, Schleifen, Abstecken, etc.).

Wie funktioniert die Datenerhebung im Arbeitsprozess und wie werden die Daten verarbeitet (Rolle der KI)? 

KI_eeper-Team: Bei ESM werden Sensoren an der Vorrichtemaschine und an der Eckold-Presse montiert. Der Balken wird beim Durchlaufen durch die Maschinen gescannt und es wird ein digitaler Zwilling erstellt, der die exakte Form des Balkens widerspiegelt. Der Sensor an der Eckold-Presse erfasst den verwendeten Druck, um den Balken in die gewünschte Form zu bringen. Die KI soll Muster zwischen der Form und dem verwendeten Druck der Presse erkennen, um zu verstehen, wie die Balken gerichtet werden müssen. 
Im Beispiel apra-norm geben die Mitarbeitenden die Daten in interaktive Terminals, beispielsweise Tablets, ein und füttern so die KI auf diese Weise mit Daten. Auch hier geht es um die Mustererkennung zwischen bestimmten Produkten, ihren Eigenschaften und verwendeten Aufhängevorrichtungen.

In welcher Form soll neuen Beschäftigten das strukturiert gespeicherte Erfahrungswissen zur Verfügung stehen (Wie profitieren/lernen neue Beschäftigte)? 

KI_eeper-Team: Beim Anwendungsfall von apra-norm werden Informationen zur Ausführung der Tätigkeiten über ein mobiles Endgerät, wahrscheinlich eine Art Industrietablet, zur Verfügung gestellt.

Die Beschäftigten an der Station erhalten je nach Bedarf über das Industrietablet Informationen zu den unterschiedlichen Produkten, ihrer Behandlung, Besonderheiten u.v.m. 

Bei ESM werden voraussichtlich Licht- und Tonsignale im Arbeitsprozess Hilfestellung bieten. Anhand von Lichtsignalen können hier neue, unerfahrene Beschäftigte erkennen, wie sie das Werkstück handhaben müssen und auf welchen Stellen des Materials die Presse Druck ausüben muss.

Wo (und ab wann) soll KI_eeper konkret eingesetzt werden?

KI_eeper-Team: Das KI_eeper-Assistenssystem befindet sich aktuell in der Entwicklung.

Ab circa September sollen erste Demonstratoren zur Verfügung stehen.

Diese werden dann in unseren beiden Anwenderbetrieben getestet. Bei erfolgreicher Testung werden wir die Ergebnisse in einem erweiterten Anwenderkreis, in dem mehrere Unternehmen vertreten sind (unseren sogenannten Transferpartnern), präsentieren und von diesen die Demonstratoren und ihre Übertragbarkeit auf ihr Unternehmensumfeld bewerten lassen. 

Könn(t)en Sie sich den Einsatz von KI_eeper im Bereich Pflege vorstellen, wie könnte/würde das aussehen?

KI_eeper-Team: Aktuell wird KI_eeper entwickelt und erprobt in Industriebetrieben in der Produktion. Die Technik soll jedoch so generalistisch entwickelt werden, dass sie auf die unterschiedlichsten Anwendungsfälle übertragbar ist. Ob es sich dabei um das Trainieren der KI durch erfahrene Mitarbeitende handelt, wie in dem Anwendungsunternehmen apra-norm, oder ob Daten mittels Sensoren erhoben werden, wie bei dem Unternehmen ESM, bleibt dabei frei.

Denn die Entwicklung sieht einen generalisierten Ansatz vor, der sowohl von Sensordaten, wie auch von Prozessdaten gespeist werden kann. Für die Pflegebranche kann das sowohl Auswirkungen auf das Anlernen neuer Mitarbeitende haben, wie auch auf das selbstbestimmte Leben von Patientinnen und Patienten, die zukünftig durch Technikeinsatz eine direkte Unterstützungsleistung erfahren können. Eine Entlastung des Pflegepersonals wäre die Folge

Welche Vorteile sehen Sie?

KI_eeper-Team: Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in der Pflege, könnten Assistenzsysteme, wie wir sie in KI_eeper entwickeln, dazu beitragen, neue oder gar ungelernte Arbeitskräfte schneller und effizienter „On-the-Job“ einzuarbeiten. Mittelfristig kann so messbar gemacht werden, welche Tätigkeiten körperlich besonders anspruchsvoll sind und wie diese zu ändern wären. Nicht zu unterschätzen ist jedoch die Entlastung von Pflegekräften durch Technikeinsatz für Patientinnen und Patienten.

Kann sich die Pflegekraft beispielsweise durch Nutzung intelligenter Systeme zu jeder Zeit über das Wohlbefinden eines Patienten sicher sein, ist es der Fachkraft möglich, sich auf andere Arbeiten zu konzentrieren.

In der Technik sprechen wir da von Primär- und Sekundärtätigkeit und meinen damit, dass es in einem Arbeitsprozess oftmals eine Vielzahl von Handlungsfolgen gibt, die zwar wichtig und notwendig sind, jedoch keinen direkten Mehrwert bieten.  

Könnte KI_eeper helfen, dem Fachkräftemangel im Pflegesektor entgegenzuwirken?

KI_eeper-Team: Wie bereits bei der Beantwortung der vorhergehenden Frage erwähnt, könnten die Assistenzsysteme dazu beitragen, neue oder gar ungelernte Arbeitskräfte schneller und effizienter direkt am Arbeitsplatz einzuarbeiten. Wir erhoffen uns auch durch Einbringung von Technik die Wertschätzung eines Arbeitsplatzes zu steigern und somit Mitarbeitenden zu zeigen, dass die Tätigkeit werthaltig und gewinnbringend ist.

Da der Mensch stets im Fokus der Entwicklung steht, sollen Arbeitsplätze mit entsprechender Assistenz aufgewertet werden, Beschäftigte somit den Wert ihrer Arbeit direkt wahrnehmen können.  

Weitere Informationen zum Projekt unter: www.kieeper.net

Förderhinweis: Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt KI_eeper wird im Rahmen des Programms „Zukunft der Arbeit“ (Förderkennzeichen: 02L20C500 – 02L20C505) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.

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