In Deutschland fehlt es an Pflegefachpersonen. Um die Versorgungslücke zu füllen, wird zunehmend  Personal aus dem Ausland angeworben, zum Beispiel aus Vietnam. Was es für Fachkräfte aus Vietnam braucht, damit sie in Deutschland erfolgreich im Pflegeberuf Fuß fassen können, erzählen Thùy Linh Nguyễn-Huỳnh und Jummy Nguyễn, Gründer*innen der Social-Media-Community „viet.care“. Thùy Linh, 30 Jahre alt, ist in Deutschland geboren und aufgewachsen und bezeichnet sich daher als Viet-Deutsche. Jummy ist 28 Jahre alt und kam 2017 nach Deutschland, um seine Ausbildung in der Pflege zu beginnen. Seit Oktober 2019 arbeitet er im Vivantes Krankenhaus für Senioren.

Jummy, wie bist du in Vietnam auf die Idee gekommen, nach Deutschland zu gehen?

Jummy: Ich war an der medizinischen Universität in Vietnam und hatte überlegt, eine Karriere im Ausland zu suchen. Schon im ersten Jahr an der Uni hatte ich mich für Stipendien zu bewerben, aber leider waren meine Englisch-Kenntnisse nicht ausreichend genug. Freunde machten mir dann den Vorschlag, nach Deutschland zu gehen, ich solle es einfach probieren. Aber ich hatte Angst. Denn ich hatte keine Vorkenntnisse und ich wollte vorher Kenntnisse erwerben, bevor ich in Deutschland eine Ausbildung anfange. 

Hast du deine Ausbildung in Deutschland gemacht oder hast du in Vietnam schon Pflege studiert und bist dann nach Deutschland gekommen?

Jummy: Ich habe in Vietnam Allgemeine Krankenpflege an der Uni fertig studiert, vier Jahre. Und es gab eine Kollaboration zwischen Vivantes und der Arbeitsagentur in Vietnam. Für meine Bewerbung nach Deutschland habe ich dann an einem Deutschkurs teilgenommen und entsprechende Sprach-Zertifikate erworben. So konnte ich meine Ausbildung in Deutschland anfangen. 

In Deutschland habe ich dann meine Ausbildung innerhalb von zwei Jahren gemacht, statt drei Jahren. Weil ich in Vietnam studiert habe. Das war mein Weg nach Deutschland.

Thùy Linh, es gibt ja viele in Deutschland, die sagen, das geht nicht, dass wir Menschen aus dem Ausland holen, die dann die Lücken füllen, die wir mit unseren Bürgerinnen und Bürgern nicht füllen können. Denn dann fehlt es doch an Pflegekräften im eigenen Land.

Thùy Linh: Das ist eine sehr interessante Frage. Es gibt ja zahlreiche Kooperationen zwischen Deutschland und dem Ausland. Auf dem deutschen Pflegetag 2022 habe ich ein Startup kennengelernt, das zum Beispiel Wert darauf legt, dass man im Ausland, in diesem Fall Vietnam, keine Pflegekräfte abwirbt. In Vietnam gibt es sogar den Fall, das viele Pflegefachpersonen ihren Job verlieren oder gar keinen finden, weil es doch ein Überangebot gibt. Ich habe ja hier in Deutschland meine Ausbildung gemacht und ich konnte mir das gar nicht vorstellen. Daher sehe ich diese Frage mit Blick auf Vietnam nicht allzu kritisch. Vor allem, wenn darauf achtet, dass man die Pflegekräfte nicht wegnimmt, wie manche behaupten oder befürchten.

Jummy, wenn die Menschen aus Vietnam kommen, was ist notwendig, wenn die Pflegekräfte nach Deutschland kommen? 

Jummy: Jemand wie ich, der über Vivantes nach Deutschland gekommen sind, braucht keine größere Unterstützung, denn die erhalte ich über Vivantes. Alle anderen, die das nicht haben, brauchen Hilfe. Sie brauchen Geld, sie brauchen Deutschkurse und sie brauchen mindestens ein B1-Sprachzertifikat, allein schon um ein Visum zu kriegen. Dann brauchen sie einen Vertrag mit einer Schule und einem Krankenhaus. Wichtig ist auch ein Finanzierungsnachweis bei der Ausländerbehörde, um die 10.000 Euro. In Deutschland selbst braucht man noch weitere Deutschkurse, mindestens Level B2 sollte der Sprachnachweis dann aufweisen. Und natürlich braucht man noch Unterstützung bei der Wohnungssuche, das ist ganz wichtig. 

Thùy Linh, nun hat Jummy die Rahmenbedingungen für Vietnamesen, die nach Deutschland kommen, beschrieben. Aber was ist deiner Meinung nach darüber hinaus notwendig, damit sich die neuen Pflegefachpersonen hier wohl fühlen, um sich hier nicht nur eine berufliche sondern überhaupt eine Zukunft aufzubauen?

Thùy Linh: Netzwerke sind sehr wichtig, damit man sich austauschen kann. Wie sind gerade dabei, die Community aufzubauen. Ich sehe auf den Stationen noch nicht so viele vietnamesische Pflegekräfte, eher andere Nationalitäten. Wohlbefinden heißt eben auch, dass man sich austauschen kann. Das ist das Wichtigste. Aber auf den Stationen gibt es kaum Raum oder Zeit, miteinander zu sprechen. Abgesehen von der Arbeit. Außerdem gibt es verschiedene Formen von Diskriminierung wie Klassismus, Rassismus, mit dem man zu kämpfen hat. Das passiert, doch spricht aber leider nicht genug darüber. Es gibt vielleicht Integrationsbeauftragte im Haus, aber wichtig wäre, dass sich für Diskriminierungsthemen wirklich Zeit genommen wird. Die fehlt aber auch, denn in der Regel sind die Integrationsbeauftragten auch in der Pflege tätig. Also grundsätzlich ist zunächst einmal wohlwollende, zwischenmenschliche Kommunikation wichtig.

Jummy, wie beurteilst du die Pflegesituation in Deutschland?

Jummy: Ja, wir haben natürlich mit einem Mangel zu kämpfen. Mein Anspruch ist es, mich in meiner Arbeitszeit um alle zu kümmern, und wenn ich das nicht schaffe, dann macht mich das traurig. 

Dann mache ich mich verantwortlich dafür. Vielleicht mit dern Sorge, dass man mir das nachträgt, weil ich ja aus dem Ausland komme. Denn den Deutschen wird ja nachgesagt, dass sie sehr diszipliniert, pünklich und 100 Prozent bei der Arbeit sind. Deswegen will ich wirklich mein Bestes geben. Aber in der aktuellen Situation bleibt dann doch Vieles auf der Strecke, das Zwischenmenschlliche vor allem. 

Thùy Linh, was sind die wesentlichsten Aspekte, die deine Arbeit als Pflegefachperson besser machen würden. 

Thùy Linh: Mehr Personal, bessere Bezahlung, weil es Beruf auch attraktiver machen würde – eigentlich die Klassiker. Aber ich bin in dem Gefüge das kleinste Rädchen. Daher finde ich es wichtig, dass Führungsebene Krankenhäusern bzw. Pflegeeinrichtungen sich mit der Praxisebene austauschen, damit verstanden wird, was wir auf den Stationen leisten. Wir Pflegefachpersonen kriegen kein Gehör. 

Du bist ja auch Initiatorin von viet.care. Was ist das? 

Thùy Linh: viet.care ist eine Art digitaler, vietnamesischer Pflegestammtisch. Eine Plattform, zur Bildung, Vernetzung und Empowerment. Zielgruppe sind Menschen mit vietnamesischem Hintergrund. Es geht um den Erfahrungsaustausch und Vernetzung. Die Erfahrungen die Jummy gemacht hat sind so wertvoll, weil er in Vietnam geboren und hierher gekommen ist. Ich bin dagegen bin hier geboren und hier aufgewachsen. Diese verschiedenen Perspektiven sollen den Menschen, die aus Vietnam kommen oder Viet-Deutschen helfen. Und es macht schon viel aus, dass wir einen ähnlichen kulturellen Hintergrund haben, auch wenn ich hier geboren bin, ist mir Vieles bekannt.

Aktuell bauen wir eine Community auf, Instagram ist unser Anker. Da laden wir regelmäßig Posts hoch, es könnte mehr sein. Zur Zeit sind es vor allem Info-Karteikarten. Für mehr fehlen gerade leider die Ressourcen. Dazu wollen wir auch Community-Beiträge posten. Davon soll das Ganze leben und darüber kann man dann auch mit der Community in Kontakt treten.

Zum Abschluss an euch beide die Frage: Was wünscht ihr euch für Pflegefachpersonen aus Vietnam bzw. für Viet-Deutsche?

Jummy: Wir Pflegekräfte aus dem Ausland wünschen uns, dass man uns Vertrauen entgegenbringt. Sowohl auf der Arbeit als auch woanders. Wir brauchen eine Chance und Vertrauen, so dass wir unsere Kompetenz noch mehr entwickeln und einbringen können. 

Thùy Linh: Ich bin ja in Deutschland geboren und in Berlin aufgewachsen. Ich bin Deutsche. Dennoch ist das Aussehen nach wir vor eine große Herausforderung für mich, auch im Beruf. Ich schließe mich daher Jummy an, dass es Vertrauen braucht und auch Kommunikation. 

Vielen Dank für das Gespräch.

Hinweis:

Die Korian Stiftung für Pflege und würdevolles Altern will Pflegeanbieter ermutigen – mit einem Preis für Vielfalt und Respekt in der Pflege, der auf dem Deutschen Pflegetag verliehen wird – sich dem Thema diversitätässensible Konzepte in der Pflege anzunehmen. Erfahren Sie hier mehr.

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