Seit 2013 ist Heike Baehrens Mitglied des Bundestages. Sie ist Mitglied im Ausschuss für Gesundheit, stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales, war von 2018-2021 Vorsitzende Unterausschuss Globale Gesundheit, seit 2021 Sprecherin der AG-Gesundheit der SPD-Bundestagsfraktion sowie gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion
Wie sehen die Eckpfeiler der Gesundheitspolitik Ihrer Fraktion aus? Welche Schwerpunkte setzen Sie/werden Sie zukünftig setzen?
Heike Baehrens: In der kommenden Wahlperiode müssen wir die Finanzierung von Kranken- und Pflegeversicherung stabilisieren und die begonnenen Strukturreformen fortsetzen. Wir bekennen uns ausdrücklich zur Umlagefinanzierung in der Kranken- und Pflegeversicherung. Grundsätzlich sollen alle versicherungsfremden Leistungen aus Steuermitteln finanziert werden. Um die Kranken- und Pflegeversicherung krisenfest und unabhängiger von der wechselnden Lage des Bundeshaushaltes zu machen, wollen wir die Beitragsfinanzierung stärken.
Wir halten an unserem Ziel einer umfassenden Bürgerversicherung fest, in der alle versichert sein sollen.
Zu einer stärker solidarischen und damit auch gerechteren Finanzierung gehört perspektivisch für uns auch die Verbreiterung der Einkommensbasis. Gerade Bezieherinnen und Bezieher von geringen Erwerbseinkommen werden durch das Beitragsrecht heute unverhältnismäßig stark belastet im Vergleich zu Bezieherinnen und Beziehern hoher Einkommen sowie Vermögenseinkommen.
Außerdem wollen wir begonnene Strukturreformen fortsetzen. Mit dem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz haben wir eine der größten Reformen im Gesundheitswesen der letzten Jahrzehnte beschlossen. Es sind jedoch weitere Schritte nötig. Dazu zählen vor allen Dingen die Reformen der Notfallversorgung und des Rettungsdienstes sowie die weitere Stärkung der ambulanten Versorgung. Starre Sektorengrenzen müssen weiter abgebaut werden, um die Versorgung der Patienten zu verbessern.
Was sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Themen der aktuellen Pflegepolitik? Wie möchten Sie diese Themen anpacken?
Heike Baehrens: Eine der größten Herausforderungen in der Pflege ist der Personalmangel. Um mehr Menschen für die Berufe in der Pflege zu begeistern, zurückzugewinnen und zu halten, müssen die Arbeitsbedingungen dringend weiter verbessert werden. Deswegen setzen wir uns für gute Tarifbezahlung, familienfreundliche Arbeitszeiten, aber auch eine moderne durchlässige Ausbildung ein.
Wir wollen, dass gut ausgebildete Pflegefachkräfte mehr Verantwortung erhalten, denn sie können mehr als sie heute dürfen.
Das hilft, das Ansehen dieser Berufe zu stärken, sie attraktiver zu machen und die Versorgung effizienter zu gestalten.
Die Zahl der Pflegebedürftigen wird in naher Zukunft weiter steigen, was den Druck auf die pflegenden Angehörigen, die Beschäftigten in der Pflege und die Finanzierung der Pflegeversicherung deutlich erhöht. Mittlerweile werden 85 % der Pflegebedürftigen zu Hause versorgt und diese Zahl steigt weiter, während die Zahl der Pflegebedürftigen in Heimen seit Jahren stagniert. Um also vor allem die Pflege zu Hause zu stärken, ist es wichtig, die Leistungen der Pflegeversicherung regelmäßig an die steigenden Kosten anzupassen. So können wir verhindern, dass Betroffene aufgrund steigender Kosten immer weniger Leistungen in Anspruch nehmen. Außerdem wollen wir pflegende Angehörige und Familien durch ein Familienpflegegeld besser unterstützen. Beratung, Vernetzung, Anlaufstellen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sowie die Tagespflegeeinrichtungen müssen weiter verbessert und ausgebaut werden.
Die Kosten für die gesetzlichen und die privaten Krankenkassen steigen und steigen. So befürchtet der Chef der größten deutschen Krankenkasse TK, Jens Baas, ohne politisches Eingreifen einen mittelfristigen Anstieg der Krankenkassenbeiträge auf 20 %. Wie kann/muss von politischer Seite hier gegengesteuert werden?
Heike Baehrens: Als SPD setzen wir uns dafür ein, dass die Beiträge für Versicherte sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber stabil bleiben und Ungerechtigkeiten zwischen den verschiedenen Versichertengruppen beendet werden.
Ein solidarisches Finanzierungssystem schafft Vertrauen und nimmt den Bürgerinnen und Bürgern die Sorge vor finanzieller Überforderung.
Versicherte dürfen nicht durch ihre Wahl der Krankenkasse benachteiligt werden. Deshalb stärken wir das beitragsfinanzierte Umlagesystem. Außerdem werden wir versicherungsfremde Aufgaben im Gesundheitswesen zukünftig verstärkt aus Steuermitteln finanzieren.
Die Beiträge der Versicherten sollen sich noch stärker als jetzt an ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit orientieren.
Außerdem müssen Prävention und Gesundheitsvorsorge mehr Gewicht in gesundheitspolitischen Entscheidungen bekommen. Das spart Kosten und fördert gleichzeitig Lebensqualität.
Viele Pflegeeinrichtungen stehen aufgrund hoher Inflation, explodierender Energie- sowie steigender Personalkosten und Problemen bei der Refinanzierung vor der Insolvenz. Welche Maßnahmen sehen Sie konkret vor, um die immer weiter steigenden Kosten für Betreiber abzufedern?
Heike Baehrens: Pflegeeinrichtungen müssen ihre Kosten zeitnah refinanziert bekommen. Dafür ist aus unserer Sicht unbedingt nötig, die Verhandlungs- und Vergütungsverfahren zu verschlanken und zu entbürokratisieren. Vor dem Hintergrund des steigenden Personalmangels, ist es für Einrichtungen unerlässlich, gute Löhne zu zahlen und sie auch refinanziert zu bekommen.
Deswegen war es wichtig gesetzlich zu verankern, dass das Zahlen von Tariflöhnen und Tarifsteigerungen von den Kostenträgern nicht mehr als unwirtschaftlich abgelehnt werden darf.
Das haben wir als SPD durchgesetzt.
Besuchen Sie regelmäßig Pflegeeinrichtungen, um sich ein Bild der Lage zu machen? Welche Eindrücke haben Sie mitgenommen? Gibt es konkrete Anregungen/Forderungen/Kritik seitens der Bewohnerinnen/Bewohner und/oder dem Pflegepersonal?
Heike Baehrens: Das ist eine überraschende Frage an eine Abgeordnete, die sich seit 12 Jahren für gute Rahmenbedingungen in der Pflege einsetzt und davor bereits 17 Jahre als Vorständin eines großen Wohlfahrtsverbandes für die Bereiche Gesundheit, Alter und Pflege Verantwortung getragen hat. Natürlich habe ich in den letzten drei Legislaturperioden sowohl in meinem Wahlkreis Göppingen als auch zu Besuch bei anderen Abgeordneten sehr viele ambulante und (teil-)stationäre Pflegeeinrichtungen besucht und bin regelmäßig mit Praktikern aus der Pflege im Austausch. Selbstverständlich sind diese Erfahrungen in meine parlamentarische Arbeit eingeflossen. Darum habe ich mich beispielsweise durchgängig für gute Personalschlüssel in Pflegeheimen und Krankenhäusern sowie für ordentliche Tarifbezahlung eingesetzt. Und dass es notwendig ist, die Rolle der Pflege in unseren gesamten Gesundheitssystem weiter zu stärken, wird insbesondere von Pflegefachpersonen zurecht eingefordert. Von daher hoffe ich sehr, dass das Pflegekompetenzgesetz in der nächsten Legislaturperiode rasch aufgegriffen und umgesetzt wird.
Wie können die steigenden Eigenanteile der Bewohnerinnen und Bewohner abgefedert werden?
Heike Baehrens: Die Eigenanteile der Heimbewohnerinnen und -bewohner setzen sich zusammen aus den Pflegekosten, den Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie den Investitions- und Ausbildungskosten.
Aus unserer Sicht ist es nicht richtig, dass all diese Kosten von den zu Pflegenden finanziert werden müssen.
Wichtig ist, die pflegebedingten Kosten für die Bewohnerinnen und Bewohner zu begrenzen. Die Ausbildungsumlage muss aus den Eigenanteilen herausgenommen und öffentlich finanziert werden, denn Bildung ist eine staatliche Aufgabe. Außerdem ist es die Aufgabe der Bundesländer, für eine bedarfsgerechte Pflegeinfrastruktur zu sorgen und die Investitionskosten zu übernehmen oder zumindest abzufedern. Wird der Bau von Pflegeeinrichtungen öffentlich gefördert, so vermindert sich der von den Pflegebedürftigen zu tragende Eigenanteil erheblich.
Das alles muss bezahlt werden: Welche Finanzierungsvorschläge haben Sie?
Heike Baehrens: Wir wollen die Pflegeversicherung nicht nur kurzfristig stabilisieren, sondern langfristig auf sichere Füße stellen und dabei solidarisch finanzieren. Dazu gehört, dass versicherungsfremde Leistungen, wie zum Beispiel die Rentenbeiträge der pflegenden Angehörigen, durch einen Bundeszuschuss, also Steuermittel, finanziert werden. Auch müssen die Kosten der medizinischen Behandlungspflege in Heimen endlich vollständig von der Krankenversicherung übernommen werden. In einem ersten Schritt setzen wir uns für einen Risikoausgleich zwischen der privaten und gesetzlichen Pflegeversicherung ein und wollen langfristig dafür sorgen, dass die private und gesetzliche Pflegeversicherung zusammengeführt werden.
Zu einer solidarischen Finanzierung der Pflegeversicherung gehört auch, dass höhere Einkommen stärker als bisher zur Verantwortung gezogen werden, zum Beispiel durch eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze und den Einbezug anderer Einkommensarten.
Besten Dank, dass Sie unsere Fragen beantwortet haben.