Mit Beschluss des Bundeskabinetts vom 12. Januar 2022 wurde Claudia Moll, MdB, zur Pflegebevollmächtigten bestellt. Claudia Moll ist seit 1998 Mitglied der SPD und seit mehr als vier Jahren Bundestagsabgeordnete, zudem hat sie knapp 30 Jahre Erfahrung als Altenpflegerin. Die Pflegebevollmächtigte tritt für die Interessen der Pflegebedürftigen im politischen Raum ein und setzt sich dafür ein, dass ihre Belange im Mittelpunkt des Pflege- und Gesundheitssystems stehen. Sie ist Ansprechpartnerin für alle in der Pflege Beteiligten. Die Bundesministerien und -behörden beteiligen die Pflegebevollmächtigte bei allen Gesetzes-, Verordnungs- und sonstigen wichtigen Vorhaben mit Pflegebezug (www.pflegebevollmaechtigte.de/).

Welche konkreten Schwerpunkte möchten Sie setzen?

Claudia Moll: Ich sehe drei Schwerpunkte: die Pflegebedürftigen, die pflegenden Angehörigen und die professionelle Pflege. Alle drei Bereiche haben mit unterschiedlichen Problemen zu kämpfen, die kurzfristig oder perspektivisch zu lösen sind. Pflegebedürftige brauchen für ein selbstbestimmtes Leben weniger Bürokratie und mehr Entlastung, Individualität und Flexibilität. Dazu zählen eine bessere Beratung und ein Entlastungsbudget. Pflegende Angehörige brauchen eine echte Lohnersatzleistung für pflegebedingte Auszeiten. Und für die Pflegekräfte müssen die Arbeitsbedingungen in Pflegeeinrichtungen noch besser werden, durch bessere Personalschlüssel, höhere Löhne und verlässliche Arbeitszeiten. Dies sind nur ein paar Beispiele, wo ich Schwerpunkte setzen möchte.

Was sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Themen der aktuellen Pflegereform?

Claudia Moll: Die nächste Pflegereform muss ein Befreiungsschlag werden und mehrere Dinge gleichzeitig anpacken. Ganz vorn muss die Dynamisierung aller ambulanten Pflegeleistungen stehen, die bereits 2021 hätte erfolgen sollen. Die Menschen warten darauf und haben kein Verständnis mehr, dass für Corona-Wirtschaftshilfen die Geldbörsen geöffnet werden, aber Pflegebedürftige und ihre Angehörigen leer ausgehen. Ideal wäre es, wenn gleichzeitig das Entlastungsbudget eingeführt wird. Pflegebedürftige wollen Leistungen der Pflegeversicherung vor allem flexibel und individuell für ihre Bedarfe und Bedürfnisse einsetzen, um beispielsweise mehr stundenweise Verhinderungspflege zu nutzen. Denn wer vorher schon bestimmte Leistungen nicht in Anspruch genommen hat, braucht davon nicht mehr.

Für die professionelle Pflege muss die Personalbemessung rasch und verbindlich eingeführt werden. Langfristig brauchen wir mehr Hände im System. Um das zu erreichen, müssen wir den Beruf jetzt attraktiver machen, etwa mit Steuerbefreiung von Zuschlägen, durch die Abschaffung geteilter Dienste, die Einführung trägereigener Springerpools und einen Anspruch auf familienfreundliche Arbeitszeiten.

Auch die Kostenträger sollen sich ihres Sicherstellungsauftrages bewusster werden und Angebotsvielfalt unterstützen. Dass das alles Geld kostet, ist keine Frage. Vielleicht sollten wir aber erstmal alle Ideen auf den Tisch legen, die sinnvoll und erforderlich sind und uns dann Gedanken über die Umsetzung machen – anstatt so zu tun, als ob Aussitzen eine Lösung wäre.

Ab September 2022 soll die (Neu-)Zulassung von Altenheimen und Pflegediensten von einer Entlohnung nach Tarif abhängig gemacht werden. Wie wird sich das auf die Lage und die (Weiter-)Entwicklung der stationären Pflege auswirken?

Claudia Moll: Mittelfristig wird es die Langzeitpflege stärken. Denn die Bezahlung der Pflegekräfte in Krankenhäusern ist bekanntlich deutlich höher.

Wenn sich nun endlich die Tarifpartner in der Langzeitpflege ins Zeug legen, dann kann sich die Gehaltsschere langsam schließen und der Sog der Pflegekräfte ins Krankenhaus unterbunden werden.

Die Kostenbelastung in der stationären Pflege werden wir uns aber genau anschauen und notfalls reagieren.

Und zu welchen Auswirkungen wird es dahingehend in der ambulanten Pflege kommen?

Claudia Moll: Im Grunde trifft das eben Gesagte auf die Pflegedienste zu. Es braucht mehr Personal und dazu höhere Vergütungssätze. Eventuell müssen wir aber gesetzlich nachbessern und Pflegediensten dabei helfen, vernünftige Preise auch tatsächlich gegenüber den Kassen durchzusetzen. Ich höre, dass sie derzeit am meisten darunter leiden, Pflegekräfte an Pflegeheime und Krankenhäuser zu verlieren.

Allerdings muss hier mehr passieren, als Löhne anzuheben. Dreh- und Angelpunkt sind gute Arbeitsbedingungen.

Geteilte Dienste oder Rückrufe aus dem Frei müssen der Vergangenheit angehören. Ich möchte an dieser Stelle auch alle Pflegeeinrichtungen ermuntern, sich über das bereits gestartete Projekt zur Umsetzung guter Arbeitsbedingungen unter www.gap-pflege.de zu informieren und anzumelden.

Nur rund die Hälfte der 1,2 Millionen Pflegekräfte bekommt derzeit überhaupt Tariflohn. Ab Herbst 2022 müssen Pflegeeinrichtungen entweder tarifgebunden sein oder zumindest Löhne in Höhe eines Pflege-Tarifvertrages zahlen. Das soll auch für bestehende Pflegeeinrichtungen gelten. Nicht tarifgebundene Pflegeeinrichtungen sollen einen Anreiz erhalten, Tarifverträge anzuwenden. Wie bewerten Sie diese Maßnahme?

Claudia Moll: So steht es im Gesetz. Ich finde das richtig und habe nicht vor, diese Regelungen aufzuweichen. Im Gegenteil. Wenn sich herausstellt, dass jetzt massenhaft Haustarifverträge den Status quo zementieren, wird es weitere Detailregelungen geben, bis das Ziel einer fairen Vergütung erreicht ist.

Außerdem ist eine Begrenzung des Eigenanteils für Heimbewohner an den Pflegekosten vorgesehen, damit eine bessere Bezahlung von Pflegekräften nicht zu ihren Lasten geht. Finanziert werden soll das gesamte Vorhaben durch eine Anhebung des Beitragssatzes zur Pflegeversicherung für Kinderlose um 0,1 Punkte auf 3,4 Prozent des Bruttolohns sowie einen Zuschuss des Bundes in einstelliger Milliardenhöhe. Werden damit die Herausforderungen, die der demografische Wandel mit sich bringt, in den Griff zu bekommen sein?

Claudia Moll: Ich glaube allen ist klar, dass höhere Löhne und bessere Personalschlüssel steigende Kosten verursachen werden, insbesondere in einer alternden Gesellschaft.

Das darf nicht allein zulasten der Betroffenen gehen.

Wir müssen die Finanzierung der Langzeitpflege deshalb im Blick behalten, im Koalitionsvertrag findet sich dazu ja ein Prüfauftrag. Hier werden wir genau die Entwicklung beobachten und wenn Anlass besteht, schnell handeln. Eins ist aber klar: Jetzt nicht zu handeln, ist teurer!

Wird sich durch die Pflegereform die Wahrnehmung (bzw. das Image) des Pflegeberufs in der Gesellschaft ändern?

Claudia Moll: Um dies zu erreichen, braucht man frische Ideen, um junge Menschen anzusprechen. Vielleicht können das Kooperationen während der Schulzeit sein oder spezielle Anreize für ein freiwilliges soziales Jahr, wie kostenloses Wohnen in einer Stadt der Wahl.

Ich könnte mir vorstellen, dass dadurch mit vielen Vorurteilen aufgeräumt wird und die Zahl der Interessierten an diesem wunderbaren Beruf mit all seinen Facetten und Chancen sprunghaft steigt.

Meine Tochter kam beispielsweise so zu ihrem Berufswunsch der Notfallsanitäterin.

Grundvoraussetzung bleibt, dass die Arbeitgeber zuvor ihre Hausaufgaben gemacht haben und mit attraktiven Arbeitsbedingungen glänzen.

Und wie kann der Fachkräftemangel bewältigt werden?

Claudia Moll: Wenn wir ehrlich sind, gibt es den Fachkräftemangel schon seit Jahrzehnten. Ich selbst bin für eine bessere Personalausstattung schon vor Jahren auf die Straße gegangen. Allerdings war die Personalausstattung bislang vom Verhandlungsgeschick der Pflegeeinrichtung abhängig. Das muss sich ändern.

Es braucht ein bundesweit einheitliches, verbindlich geltendes Personalbedarfsbemessungsverfahren.

Die Vorarbeiten dazu sind schon lange erledigt. Es fehlt einzig die rasche Umsetzung, um der weiteren Arbeitsverdichtung und Berufsflucht entgegen zu wirken. Folgeänderungen bei der bislang starren, wissenschaftlich nicht mehr haltbaren Fachkraftquote von 50 Prozent bringen kurzfristig mehr Köpfe in die Pflege und verbessern die Arbeitsbedingungen. Nur wenn diese attraktiv und mit dem Privatleben gut vereinbar sind, werden auch die vielen Auszubildenden und vom Ausland angeworbene Pflegekräfte Lust haben zu bleiben und die Stammbelegschaft entlasten. Darum muss die verbindliche Personalbemessung zügig kommen, sowohl in der Langzeitpflege als auch im Krankenhaus. Außerdem brauchen wir familienfreundliche, verlässliche Arbeitszeitmodelle in Tarifverträgen, die von den Kostenträgern refinanziert werden. Alles dicke Bretter, die jetzt gebohrt werden müssen.

Was wünschen Sie sich zusätzlich von der Politik?

Claudia Moll: Die Probleme sind bekannt und Lösungen liegen auf dem Tisch. Wir müssen nun schnell ins Arbeiten kommen. Das ist wie mit dem Klatschen für die Pflegekräfte. Der Applaus war gut und richtig. Aber auf Dauer reicht so ein Signal alleine nicht. Da muss auch im Arbeitsalltag der Pflegekräfte etwas ankommen. Und dafür will ich sorgen.

Besten Dank!

Foto: © Pflegebevollmächtigte, Fotograf Thomas Ecke

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