Die PFLEGEN & WOHNEN HAMBURG GmbH bietet circa 2.700 Plätze an, die sich derzeit auf zwölf Pflegeeinrichtungen an 13 Standorten über das Stadtgebiet verteilen. Das Unternehmen beschäftigt circa 2.000 Mitarbeitende. Damit ist PFLEGEN & WOHNEN HAMBURG der größte private Anbieter für stationäre Pflege in der Hansestadt. Wir sprachen mit Thomas Flotow, Geschäftsführer und Sprecher der Geschäftsführung.

Die Anfänge von PFLEGEN & WOHNEN HAMBURG reichen mehr als 400 Jahre zurück. Auf welches Angebotsportfolio setzen Sie aktuell?

Thomas Flotow: Seit 404 Jahren sind wir für Menschen unterwegs, die auf Hilfe angewiesen sind. Das Unternehmen hat sich seit seiner Ausgründung und Privatisierung 2005/2007 diesem Ziel weiterhin verschrieben und dabei stets die Bedürfnisse der zu Pflegenden in den Fokus genommen. Für uns steht das Angebot von 2.400 stationären Langzeit- sowie eingestreuten Kurzzeitpflegeplätzen mit einer Vielzahl von Pflegebildern im Vordergrund.

Seit mehr als 40 Jahren engagieren wir uns in der Betreuung demenziell veränderter Bewohnenden, deren Verhalten deutlich herausfordernd ist.

Neben rund 300 Plätzen des sogenannten, von der Freien und Hansestadt Hamburg gesondert finanzierten Besonderen Dementenprogramms zählen auch 180 geschlossene Plätze zum Portfolio, die 50 Plätze für an Korsakow erkrankte Männer umfassen. Darüber hinaus stehen zwei Fachwohnbereiche für Wachkomaversorgung sowie das Haus ÖJENDORF für die Betreuung von Alkohol konsumierenden Menschen ohne Abstinenzwillen bereit. Für alle Einrichtungen ist Hilfe zur Pflege kein Ausschlusskriterium.

Unsere aktuelle, im Bau befindliche Portfolioerneuerung an fünf Standorten schließt den Aufbau von Servicewohnungen, versorgt durch einen ambulanten Dienst, sowie Tagespflegen ein.

Wie beeinflussen die sich verändernden Bedürfnisse und Ansprüche älterer Menschen neue Lebensmodelle und Wohnformen?

Thomas Flotow: Die Generationen der Genüg- und Duldsamen bilden unverändert das Gros der Bewohnenden, aber die 1968er stehen ante portas.

Mit ihnen wird eine stärkere Selbstbestimmung, freiere Tagesgestaltung und die Nichtakzeptanz überkommener Strukturen Einzug halten.

Selbst wissen, was gut ist, auch wenn es wissenschaftlichen Erkenntnissen widerspricht, muss akzeptiert werden. Technisierung wie Digitalisierung wird erwartet und muss verfügbar sein, denn sie wird zunehmend die Auswahl einer Wohnform oder eines Pflegeplatzes bestimmen. Vernetzte Leistungen, vermittelt durch Dienst oder Einrichtung, Service wie Komfort, werden vorausgesetzt. Sicherheit – für Zugang und Versorgung – wird ein Fokusthema werden. Ich im Standard, wir, wenn es gewollt ist und temporär. Über allem aber wird der heutige Ansatz uneingeschränkt Platz greifen, daheim, solange es geht und Spaß macht. Hier müssen wir ansetzen, mit attraktiven Angeboten, in einer Aufweichung klassischer stationärer Angebote und ihrer Durchmischung mit Wohnen neue Lebensräume zu definieren, die den länger werdenden Abschnitt des Ruhestandes aktiv gestalten.

Budgethoheit der/dem Einzelnen als Zukunftstrend wird unaufhaltsam sein.

Was halten Sie von einer denkbaren Erhöhung der Investitionskostensätze?

Thomas Flotow: Die Baukosten für die Sanierung von Bestandsgebäuden beziehungsweise die Errichtung von Neubauten sind in den vergangenen Jahren förmlich explodiert. Die seitens des Europaparlaments jüngst beschlossenen Rahmenvorgaben zur energetischen Sanierung werden ein Übriges tun, die Kosten in die Höhe zu treiben.

Ich kann derzeit keine Alternative erkennen, als die Investitionskosten dieser Entwicklung anzupassen, sollen die Bestandgebäude nicht auf Substanzverlust betrieben und neue Einrichtungen nicht mehr errichtet werden.

Die in einigen Bundesländern geregelte Investitionskostenförderung steht in direkter Konkurrenz zu immer stärker anwachsenden Staatsausgaben, deren Refinanzierung dauerhaft kreditär nicht denkbar ist. In der Priorisierung dieser Ausgaben erscheint mir Pflege kaum den Stellenwert zu erreichen, wie sie die Themen Bildung, Innere Sicherheit, Soziale Sicherung oder Landesverteidigung aufweisen. Wir sollten jedoch nicht allein auf die Baukosten schauen, denn auch die Folgekosten haben sich teils dramatisch nach oben entwickelt. Ich denke hier insbesondere an die Kostenblöcke für Wartung, Prüfungen sowie die klassische Bauunterhaltung, die ebenfalls einer Gegenfinanzierung bedürfen. Keines dieser Themen ist disponibel, wollen wir nicht die Sicherheit unserer Bewohnenden wie Beschäftigten aufs Spiel setzen.

Neben der Erhöhung der Investitionskostensätze werden demzufolge auch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung zu betrachten sein.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, um auch Pflegebedürftige finanziell zu entlasten?

Thomas Flotow: Schon die auf Referentenentwurfsebene vorliegende Reform der Pflegeversicherung zeigt die engen finanziellen Spielräume. Die Etablierung eines dauerhaften Steuerzuschusses für die Pflegeversicherung erscheint mir neben den Erfordernissen der Renten- und Krankenversicherung kaum vorstellbar. Das Gesetz der großen Zahl ist wirksam, das heißt, auch kleine Veränderungen addieren sich in der Vielzahl der Einzelfälle zu beträchtlichen Summen. Sollen die Lohnnebenkosten wenigstens in der Nähe der ursprünglich anvisierten rund 40 Prozent gehalten werden, verbietet sich ein weiterer Aufwachs überbordender Regularien. Stattdessen müssen alle Kosten des Gesundheitswesens einer kritischen Würdigung unterzogen und Sektorengrenzen der Sozialgesetzbücher dringend überwunden werden. Wir müssen einen Leistungskanon „aus einem Guss“ entwickeln, der Friktionen überwindet, Effizienzen hebt und die Selbstbestimmung der zu Pflegenden berücksichtigt.

Dabei werden wir auch vor Leistungseinschränkungen nicht zurückweichen dürfen, wollen wir das Gefüge der solidarischen Vorsorge nicht gefährden.

Der Sachverständigenbeirat des BMWK hat eine exzellente Analyse der Finanzsituation der Pflegeversicherung vorgelegt und Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt. Wir müssen in der Verantwortung für uns und nachfolgende Generationen zwingend den Mut finden, hierüber schnell in einen Diskussionsprozess einzusteigen, soll Pflege nicht zunehmend verarmen.

Wie reagieren Sie auf die gestiegenen Energiekosten und greift die Energiepreisbremse?

Thomas Flotow: Bisher haben uns wenigstens in Teilbereichen langfristige Lieferverträge geholfen, die Brisanz der Energiepreisentwicklung abzumildern. Eine größere Anzahl unserer Häuser im Hamburger Stadtgebiet wird zudem mit Fernwärme versorgt, deren Preissteigerung im Vergleich moderat ausfiel. 2022 waren über einen langen Zeitraum keine tragfähigen Angebote der Energieversorger zu erhalten. Erst gegen Jahresende beruhigte sich die Situation auf hohem Niveau. Gemeinsam mit unseren langjährigen Vertragspartnern haben wir sowohl für die Gas- wie Strombelieferung den Einstieg in den Spotmarkt vereinbart, der die Kosten zeitabhängig berechnet. Ein erster Referenzzeitraum wird das I. Quartal 2023 sein, um den Erfolg dieser Entscheidung zu bewerten. Die Ergänzungshilfen-Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes wurden spät veröffentlicht und gestalten sich mit Anforderungen, wie zwingend zu nutzenden Formblättern, nicht eben benutzerfreundlich.

Für mich ist es vollkommen unverständlich, warum die Antragstellung mit einem gravierenden Zeitdruck in Form eines sehr knappen Abgabedatums versehen wurde.

Größere Träger werden diese einhalten, aber wie ergeht es Einzelunternehmen, die nicht auf vergleichbare Administrationsstrukturen zugreifen können? Werden sie eventuell die Frist nicht halten können und so ausgeschlossen bleiben? Die gesetzte Frist korrespondiert zudem nicht mit der Rechnungslegung der Energieversorger, sodass vorläufige Werte ermittelt, gemeldet und später spitz rückgerechnet werden müssen, eine Aufgabe, die bei Kostenträgern wie Leistungserbringern zusätzlichen Aufwand erzeugt. Wieder einmal gilt es, Praxiserwägungen rechtzeitig einzubeziehen und keine Verfahren am „Grünen Tisch“ zu ersinnen.

Wie kritisch schätzen Sie die momentane Marktlage ein? Zum Beispiel sagte bpa-Präsident Bernd Meurer kürzlich in einem Interview mit der Bild am Sonntag, dass er 68 Prozent der privaten Betreiber von einer Insolvenz bedroht sieht.

Thomas Flotow: Der morgendliche Blick in Newsletter und Fachzeitungen unterstreicht die Einschätzung des bpa. Die schon länger erwartete Marktbereinigung vor allem kleiner Häuser findet unbemerkt und leise statt. Hier ist nicht die Insolvenzmeldung nachzulesen, sondern die Entscheidung der Betreiberseite, den Betrieb einzustellen. Dies gilt uneingeschränkt auch für ambulante Dienste, die Kunden in Ermangelung von Personal kündigen müssen und später die Reißleine ziehen. Überrascht hat mich die Entwicklung verschiedener größerer Betreiber, insbesondere einiger, die eine beachtliche Entwicklungspipeline mit Leben erfüllt haben.

Wir alle wissen, es mangelt weder heute noch in langer Zukunft an Kunden, ambulant wie stationär, auch nicht vordergründig an Einrichtungen, sondern primär an Pflegenden.

Sie sind der Dreh- und Angelpunkt unseres Geschäfts. Der Backbone der Kranken- wie Langzeitpflege, die Boomer-Jahrgänge, liegen mit ihrer Verrentung erst noch vor uns und werden die Situation weiter verschärfen. Parallel gewinnt die Work-Life-Balance einen immer größeren Stellenwert und ist mit einer Arbeitszeit im Format 24/7 immer weniger kompatibel. Ihre Realisierung übersteigt auch den Wunsch, ein möglichst hohes Einkommen zu erzielen, weshalb der Anteil der gewünschten Teilzeitbeschäftigung deutlich anwächst. Hat die unbestritten positive, deutliche Verbesserung der Entlohnung von Pflegenden eventuell Arbeitskapazitäten reduziert? Ich möchte keinesfalls missverstanden werden, der Lohnnachholbedarf im Bereich pflegender Berufe war groß und hat sich berechtigt seinen Weg erkämpft.

Und doch müssen wir konstatieren, dass die persönliche Lebensplanung in Korrelation mit dienstlichen Notwendigkeiten die Attraktivität im Vergleich mit anderen Berufen nicht eben erhöht.

Wenn es uns gemeinsam nicht gelingt, diesen Trend zu durchbrechen, wird eine Versorgung vor Ort in der Fläche nicht mehr haltbar sein. Der Weg dorthin ist steinig und wird tradierte Regelungen – Fachkraftquote – und zusätzliche Anforderungen – Qualifikationsdauer – auf den Prüfstand stellen müssen.

Ein rosarotes Wolkenkuckucksheim hilft keinem zu Pflegenden.

Fakten anerkennen, sie analysieren, Maßnahmen ableiten und umsetzen, iterativ, bereit sein, Korrekturen vorzunehmen und kraftvoll neu anzusetzen. Höre ich da eine Ähnlichkeit mit dem uns doch bestens vertrauten PDCA-Zyklus? Wir dürfen nicht warten, die Entwicklung der Zahl der Erwerbspersonen verläuft diametral entgegengesetzt zur Entwicklung der Anzahl der Pflegebedürftigen. Visier öffnen, für alle Beteiligten, mutig sein und vor allem umsetzen, damit der Blick in die Morgenlektüre nicht weiter den Tag verdirbt.

Welche Erwartungen und Forderungen haben Sie als Pflegedienstleistungsunternehmen an die Politik?

Thomas Flotow: Die skizzierten Entwicklungen sind außerordentlich komplex und lassen keine monokausalen Lösungen zu. Deshalb wäre es auch nicht angemessen, der Politik – gleich in welcher Ebene – allein die Verantwortung an Lösungswegen zuzuweisen.

Politik sollte aber zuhören, sich beraten lassen und Erwägungen, die an vermeintlichen Grundfesten bisheriger Regularien kratzen, nicht von vornherein verwerfen.

Es ist nicht die Zeit für Junktims, das schulden wir der Generation unserer Eltern, unseren Kindern, und das wollen wir schließlich auch für uns selbst.

Denn wir sind die Generation, die von dann ausgeschiedenen Boomern nicht mehr versorgt wird.

Politik und ihre Administration müssen auf den Anspruch verzichten, allein Lösungen zu kennen beziehungsweise erarbeiten zu können. Es gibt viele Beispiele in jüngerer Vergangenheit, wo Leistungserbringerverbände, Kassen, Träger und Berufsverbände auf Risiken wie Fehlentwicklungen hingewiesen haben, ohne durchzudringen. Immer komplexere und leider auch realitätsfernere Normen und Regelungen belegen diesen Irrweg. Selbst für uns ist es ohne Verbandsunterstützung des bpa nicht mehr möglich, alle Anforderungen zu kennen, zu durchdringen, aufzuarbeiten und umzusetzen. Der Schutz der zu Pflegenden liegt uns wie der Politik am Herzen. Aus der äußerst geringen Anzahl schwarzer Schafe einen Normen- wie Kontrollmoloch abzuleiten und Träger häufig in die Nähe eines Anfangsverdachts zu rücken, ist unangemessen. Ich wünsche mir einen gemeinsamen Aufbruch, der einer Zeitenwende im Sozialbereich angemessen ist. Wir versorgen Deutschland! 

Herzlichen Dank für die Beantwortung unserer Fragen.

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