Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und das Bundesministerium für Gesundheit haben im Rahmen der am 1. Juli 2020 im Bundeskabinett verabschiedeten Nationalen Demenzstrategie die Initiative „Teamgeist für Menschen mit Demenz“ ins Leben gerufen. Denn gerade ältere Menschen und Menschen mit Demenz wollen (und sollten) so lange wie möglich aktiver Teil der Gesellschaft bleiben. Wichtige Orte dafür sind die Vereine in Deutschland. Darum arbeitet die Initiative daran, den Sport und das Vereinsleben in Deutschland demenzfreundlicher zu machen. Die Corona-Krise stellt dabei alle vor neue Herausforderungen. Interessierte finden ausführliche Informationen unter www.zusammengegencorona.de/teamgeistwww.wegweiser-demenz.de sowie www.nationale-demenzstrategie.de

Wir sprachen mit Martina Voss-Tecklenburg, Bundestrainerin der deutschen Fußballnationalmannschaft der Frauen und Demenzbotschafterin der Initiative „Teamgeist für Menschen mit Demenz“.

Wie sind Sie zur Initiative „Teamgeist für Menschen mit Demenz“ gekommen?

Martina Voss-Tecklenburg: Ich bin über eine Anfrage des Bundesgesundheitsministeriums zur Initiative gekommen, da einem Kontakt bekannt war, dass ich bereits familiäre Erfahrungen mit Demenz gemacht habe. Zudem stehe ich als Bundestrainerin ein Stück weit in der Öffentlichkeit und kann einen großen Teil der Menschen erreichen.

Während eines Treffens mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sprachen wir dann konkret über die geplanten Aktionen der Initiative und darüber, welche Aufgaben ich als Demenzbotschafterin ausfüllen kann. Für mich war klar, da brauche ich nicht lange überlegen, und so habe ich die Rolle der Demenzbotschafterin sehr gerne übernommen.

Was waren Ihre Gründe, sich als Demenzbotschafterin auf dieses Projekt einzulassen?

Martina Voss-Tecklenburg: Ich bin der Meinung, dass es dringend nötig ist, noch mehr Aufklärung über diese Erkrankung zu leisten. Da viele Menschen doch noch nicht wissen, was ist genau Demenz? Was ist Alzheimer? Und wie gehe ich mit Demenzkranken am besten um? Außerdem darf man die Angehörigen nicht vergessen, die sich einer großen Belastung stellen müssen. 

Ich habe selbst diese Erfahrung gemacht, da meine Oma über zehn Jahre lang schwerst an Demenz erkrankt war und später im Pflegeheim nur noch dahinvegetiert ist. Ich konnte sehen und spüren, wie sehr die ganze Situation auch meine Mutter belastet hat und wie schwer es war, Entscheidungen zu treffen (zum Beispiel über künstliche Ernährung usw.).

Auch in meinem sportlichen Umfeld begegnet mir die Erkrankung immer wieder. Ich habe mittwochs immer Fußball mit den Altinternationalen des MSV Duisburg gespielt, und auch dort sind zwei Fußballkollegen an Demenz erkrankt, und ich habe den Krankheitsprozess hautnah miterlebt.

Von daher war und ist es mir wichtig, dass ich als Demenzbotschafterin dazu beitragen kann, Aufklärungsarbeit zu leisten. Zudem wurde bereits in Studien belegt, dass Sport und Bewegung eine vorbeugende Wirkung gegen Demenz entfaltet. Sport ist für mich ein Thema, bei dem ich präventiv einwirken kann, und so identifiziere ich mich auch voll und ganz mit der Rolle der Demenzbotschafterin.

Und gab es bereits Begegnungen, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind bzw. die Sie ganz besonders berührt haben – im positiven Sinne?

Martina Voss-Tecklenburg: Ich erinnere mich an den leider im Dezember 2019 verstorbenen Detlef Pirsig. Oft habe ich früher mit ihm Fußball gespielt, und ich habe auch seine Spiele beim MSV Duisburg verfolgt. Später konnte ich den körperlichen Abbau aufgrund seiner Demenzerkrankung beobachten. Was mich besonders berührt hat und was ich sehr bewundere, war die Stärke, der Zusammenhalt und die Unterstützung seiner Familie, die bis zuletzt fest zu ihm gestanden und die Situation mitgetragen hat. Doch die Situation hat die Familie zweifelsohne auch gefordert.

Umso wichtiger ist es, sich mit der Erkrankung auseinanderzusetzen, da es leider immer mehr Menschen betrifft – als Betroffene oder als Angehörige. 

Gab es auch besonders traurige Momente?

Martina Voss-Tecklenburg: Ich empfinde es als besonders traurig, wenn man als Betroffener noch körperlich stark und fit ist und doch bemerkt, dass etwas im Kopf passiert. Das bewusste Wahrnehmen des Krankheitsprozesses und der Umgang damit ist schwer. Und auch für alle Angehörigen und alle anderen Beteiligten ist das enorm fordernd und anstrengend.   

Ich habe das hautnah bei meiner Oma miterleben müssen. Wie sie am Ende nur noch im Bett lag, mit dünnen Ärmchen. Wie sie immer weniger wurde. Diesen Verfall zu sehen, ohne sich dagegen wehren und aktiv dagegen angehen zu können, auf die extreme Pflege fremder Menschen angewiesen zu sein, das sind sehr traurige Momente. Wenn es das Einzige ist, was bleibt, dem Erkrankten zur Seite zu stehen.

Was nehmen Sie für sich persönlich aus den Begegnungen mit den an Demenz erkrankten Menschen mit?

Martina Voss-Tecklenburg: Ganz persönlich nehme ich mit, sich immer wieder mit der Krankheit auseinanderzusetzen und damit auch mehr Verständnis für die Krankheit zu entwickeln. Dazu fällt mir folgendes Beispiel ein: Es passiert schon, dass ältere Menschen an der Supermarktkasse stehen und alles sehr, sehr langsam geht. Nicht selten reagieren viele Menschen ungeduldig und genervt, anstatt vielleicht einfach einmal zu helfen, zu unterstützen.

Wir wollen dieses Thema auch in der Frauennationalmannschaft aktiv angehen. Beispielsweise soll ein Demenzcoach für alle Spielerinnen zur Verfügung stehen. Ich bin davon überzeugt, dass es Sinn macht und hilfreich ist, auf diese Weise junge und ältere Menschen zusammenzubringen. Ich erlebe das auch bei einigen Nationalspielerinnen, die sich – gerade in der Corona-Zeit – in Alten- und Pflegeheimen sehr aktiv einsetzen.

Wir sind eine starke Gesellschaft, die solche Herausforderungen und schwierigen Situationen auffangen kann, die aber immer noch viel Aufklärung braucht.

Hat ein Sportverein auch eine gewisse Fürsorgepflicht für erkrankte Spieler und Mitarbeiter? Und wie können wir noch mehr Verständnis und einen enttabuisierten Umgang mit Erkrankungen erreichen? 

Martina Voss-Tecklenburg: Ich denke ja. Sportvereine haben eine Fürsorgepflicht! Diese Fürsorgepflicht ist für Sportvereine sehr einfach zu lösen, indem sie passende Kurse zur Bewegung anbieten. Diese Angebote können sehr vielfältig sein, und sie sind keinesfalls auf Menschen mit Demenz beschränkt. Sportvereine bieten allen Menschen Möglichkeiten zur körperlichen Ertüchtigung – ungeachtet ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrer Staatsbürgerschaft, mit oder ohne Erkrankung, mit oder ohne Behinderung!

Die Synergien, die dabei entstehen, wenn wir gesunde mit kranken Menschen zusammenbringen, können und sollten wir noch viel mehr nutzen und ausbauen. Denn ich bin sicher, dass beide Seiten einen Mehrwert daraus ziehen können. Oft wird gefragt, was hat der kranke Mensch davon? Dabei ist es genauso wichtig zu betrachten, dass auch der gesunde Mensch durch den Kontakt mit einer erkrankten Person, die in der Regel sehr viel Stärke im Umgang mit ihrer Krankheit braucht, profitieren und gewinnen kann. Daraus erwächst Verständnis, Berührungsängste werden abgebaut und echte Teilhabe entsteht.

Die Corona-Krise beschert uns Kontaktbeschränkungen und Besuchsverbote. Es fehlen nicht nur die gewohnte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und persönliche Kontakte, sondern auch Aktivitäten und Bewegung, die vorher in Vereinen oder privaten Gruppen stattfanden. Wie können wir Menschen mit Demenz trotz allem mit einbeziehen?

Martina Voss-Tecklenburg: Eine sehr wichtige Frage, auf die wir bereits reagiert haben. Gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium wurden Videos mit Bewegungsübungen gedreht, die speziell auf Menschen mit Demenz zugeschnitten sind. Diese Videos sind so angelegt, dass sie jeder – ob zu Hause oder in einer Pflegeeinrichtung – alleine, mit einem Partner oder in der Gruppe durchführen kann. Sie sind im Internet veröffentlicht und können heruntergeladen werden (www.zusammengegencorona.de/teamgeist). Die Anleitungen findet man dort auch in schriftlicher Form. Die Videos kommen gerade jetzt zum Tragen, da man aufgrund des Teil-Lockdowns nicht aktiv im Verein Sport treiben darf. Und sie kommen auch zum Tragen, wenn es zu weiter verschärften Kontaktbeschränkungen kommen sollte.

Allerdings muss sichergestellt sein, dass die entsprechende Technik zur Verfügung steht. Hier brauchen wir noch viel Support und Unterstützung. Wir brauchen Menschen mit Geduld, die sich engagieren und die die älteren Menschen an den Umgang mit der Technik heranführen.

Gerade was den Sport angeht, benötigen wir wieder mehr Öffnung. Ich hoffe, dass wir es schaffen, den Menschen – trotz Corona – bald wieder mehr Sportangebote machen zu können.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

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